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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.

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allgemeinen Aufregung. Der einzige fast nüchterne war ich. In einem gewissen ästhetischen Empfinden fand ich alles, was ich da eben über die Schloßplatzhergänge gehört hatte, so bourgeoishaft ledern, daß ich mich mehr zum Lachen als zur Empörung gestimmt fühlte. Das war aber nur von kurzer Dauer. Als ich gleich danach auf die Straße trat und die Menschen wie verstört an mir vorüber stürzen sah, wurde mir doch anders zu Sinn. Am meisten Eindruck machten die auf mich, die nicht eigentlich verstört, aber dafür ernst und entschlossen aussahen, als ging' es nun an die Arbeit. Ich hielt mich von da ab abseits von meinen Kollegen, die ganz stumpfsinnig da standen oder sich an Berliner Witzen aufrichteten, während ich ganz im stillen meine Winkelriedgefühle hatte. Daß ich in Thaten sehr hinter diesen Gefühlen zurückblieb, sei hier gleich vorweg ausgesprochen.

Draußen hatte sich das Bild rasch verändert. Die Straße wirkte wie gefegt und nur an den Ecken war man mit Barrikadenbau beschäftigt, zu welchem Zweck alle herankommenden Wagen und Droschken angehalten und umgestülpt wurden. In meinem Gemüt aber wurden plötzlich allerhand Balladen- und Geschichtsreminiscenzen lebendig, darunter dunkle Vorstellungen von der ungeheuren Macht des Sturmläutens; alles

allgemeinen Aufregung. Der einzige fast nüchterne war ich. In einem gewissen ästhetischen Empfinden fand ich alles, was ich da eben über die Schloßplatzhergänge gehört hatte, so bourgeoishaft ledern, daß ich mich mehr zum Lachen als zur Empörung gestimmt fühlte. Das war aber nur von kurzer Dauer. Als ich gleich danach auf die Straße trat und die Menschen wie verstört an mir vorüber stürzen sah, wurde mir doch anders zu Sinn. Am meisten Eindruck machten die auf mich, die nicht eigentlich verstört, aber dafür ernst und entschlossen aussahen, als ging’ es nun an die Arbeit. Ich hielt mich von da ab abseits von meinen Kollegen, die ganz stumpfsinnig da standen oder sich an Berliner Witzen aufrichteten, während ich ganz im stillen meine Winkelriedgefühle hatte. Daß ich in Thaten sehr hinter diesen Gefühlen zurückblieb, sei hier gleich vorweg ausgesprochen.

Draußen hatte sich das Bild rasch verändert. Die Straße wirkte wie gefegt und nur an den Ecken war man mit Barrikadenbau beschäftigt, zu welchem Zweck alle herankommenden Wagen und Droschken angehalten und umgestülpt wurden. In meinem Gemüt aber wurden plötzlich allerhand Balladen- und Geschichtsreminiscenzen lebendig, darunter dunkle Vorstellungen von der ungeheuren Macht des Sturmläutens; alles

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[584/0593] allgemeinen Aufregung. Der einzige fast nüchterne war ich. In einem gewissen ästhetischen Empfinden fand ich alles, was ich da eben über die Schloßplatzhergänge gehört hatte, so bourgeoishaft ledern, daß ich mich mehr zum Lachen als zur Empörung gestimmt fühlte. Das war aber nur von kurzer Dauer. Als ich gleich danach auf die Straße trat und die Menschen wie verstört an mir vorüber stürzen sah, wurde mir doch anders zu Sinn. Am meisten Eindruck machten die auf mich, die nicht eigentlich verstört, aber dafür ernst und entschlossen aussahen, als ging’ es nun an die Arbeit. Ich hielt mich von da ab abseits von meinen Kollegen, die ganz stumpfsinnig da standen oder sich an Berliner Witzen aufrichteten, während ich ganz im stillen meine Winkelriedgefühle hatte. Daß ich in Thaten sehr hinter diesen Gefühlen zurückblieb, sei hier gleich vorweg ausgesprochen. Draußen hatte sich das Bild rasch verändert. Die Straße wirkte wie gefegt und nur an den Ecken war man mit Barrikadenbau beschäftigt, zu welchem Zweck alle herankommenden Wagen und Droschken angehalten und umgestülpt wurden. In meinem Gemüt aber wurden plötzlich allerhand Balladen- und Geschichtsreminiscenzen lebendig, darunter dunkle Vorstellungen von der ungeheuren Macht des Sturmläutens; alles

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Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T10:02:20Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T10:02:20Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/593>, abgerufen am 18.04.2024.