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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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haben. Die Kranke hätte, nach des Arztes Ausspruch,
ohne Gefahr nach Reckenburg übersiedelt werden dürfen;
aber nicht einmal einer Antwort würdigte uns die
Gräfin auf meine Anzeige des erlittenen Verlustes,
auf des Probstes wiederholte Darstellung unserer Lage.
Mit Recht hob dieser fürsorgliche Freund hervor, daß
auch alle Aussichten für die Zukunft mir entschlüpfen
würden, wenn ein Anderer den von mir verlassenen
Verwaltungsposten einnehmen und sich geschickt auf
demselben behaupten sollte, und wie viel bedeutender,
wie viel mächtiger lockend als ich mir bis dahin ein¬
gestanden hatte, stellten diese Aussichten sich jetzt mir
dar. Alles in Allem: ich sah keine Ausflucht aus
meiner Bedrängniß und das Pförtchen, das sich mir
endlich erschloß, das Pförtchen, welches heute von dem
Immergrün der Treue bekränzt, leuchtender vor der
Erinnerung steht als das Portal zu dem Goldthurme der
Reckenburg: damals war es eng und drückend für den
stolz gewöhnten Sinn.

Das Asyl, welches die reiche Verwandtin in ihrem
leerstehenden Palaste verweigerte, die arme Dienerin
eröffnete es in ihrer dürftigen Hütte. Muhme Justine
erbot sich, ihre einstige Herrin aufzunehmen und zu
verpflegen, während die Tochter in das Amt zurücktrat,

haben. Die Kranke hätte, nach des Arztes Ausſpruch,
ohne Gefahr nach Reckenburg überſiedelt werden dürfen;
aber nicht einmal einer Antwort würdigte uns die
Gräfin auf meine Anzeige des erlittenen Verluſtes,
auf des Probſtes wiederholte Darſtellung unſerer Lage.
Mit Recht hob dieſer fürſorgliche Freund hervor, daß
auch alle Ausſichten für die Zukunft mir entſchlüpfen
würden, wenn ein Anderer den von mir verlaſſenen
Verwaltungspoſten einnehmen und ſich geſchickt auf
demſelben behaupten ſollte, und wie viel bedeutender,
wie viel mächtiger lockend als ich mir bis dahin ein¬
geſtanden hatte, ſtellten dieſe Ausſichten ſich jetzt mir
dar. Alles in Allem: ich ſah keine Ausflucht aus
meiner Bedrängniß und das Pförtchen, das ſich mir
endlich erſchloß, das Pförtchen, welches heute von dem
Immergrün der Treue bekränzt, leuchtender vor der
Erinnerung ſteht als das Portal zu dem Goldthurme der
Reckenburg: damals war es eng und drückend für den
ſtolz gewöhnten Sinn.

Das Aſyl, welches die reiche Verwandtin in ihrem
leerſtehenden Palaſte verweigerte, die arme Dienerin
eröffnete es in ihrer dürftigen Hütte. Muhme Juſtine
erbot ſich, ihre einſtige Herrin aufzunehmen und zu
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[150/0154] haben. Die Kranke hätte, nach des Arztes Ausſpruch, ohne Gefahr nach Reckenburg überſiedelt werden dürfen; aber nicht einmal einer Antwort würdigte uns die Gräfin auf meine Anzeige des erlittenen Verluſtes, auf des Probſtes wiederholte Darſtellung unſerer Lage. Mit Recht hob dieſer fürſorgliche Freund hervor, daß auch alle Ausſichten für die Zukunft mir entſchlüpfen würden, wenn ein Anderer den von mir verlaſſenen Verwaltungspoſten einnehmen und ſich geſchickt auf demſelben behaupten ſollte, und wie viel bedeutender, wie viel mächtiger lockend als ich mir bis dahin ein¬ geſtanden hatte, ſtellten dieſe Ausſichten ſich jetzt mir dar. Alles in Allem: ich ſah keine Ausflucht aus meiner Bedrängniß und das Pförtchen, das ſich mir endlich erſchloß, das Pförtchen, welches heute von dem Immergrün der Treue bekränzt, leuchtender vor der Erinnerung ſteht als das Portal zu dem Goldthurme der Reckenburg: damals war es eng und drückend für den ſtolz gewöhnten Sinn. Das Aſyl, welches die reiche Verwandtin in ihrem leerſtehenden Palaſte verweigerte, die arme Dienerin eröffnete es in ihrer dürftigen Hütte. Muhme Juſtine erbot ſich, ihre einſtige Herrin aufzunehmen und zu verpflegen, während die Tochter in das Amt zurücktrat,

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/154>, abgerufen am 29.03.2024.