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Franzos, Karl Emil: Weibliche Studenten. In: Die Gegenwart 23 (1881), S. 358–361; 24 (1881) S. 380–382; 25 (1881), S. 393–395.

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Nr. 25. Die Gegenwart.
Halt und versuchten es, hier unterzukommen, ehe sie nach Bern
oder Paris gingen. Es waren das fast ausnahmslos Studen-
tinnen der Medicin.

Nun denn - bei vielen, bei sehr vielen von ihnen ergab
schon eine flüchtige Prüfung ihres Wesens [...] und ihrer äußeren
Lebensführung, daß ihnen das Studium keineswegs der Haupt-
zweck sei. Den Einen war es ein Mittel, um - ich drücke
mich sehr vorsichtig aus - desto ungenirter ein zwangloses
Leben führen zu können, den Anderen ein Deckmantel für radical-
politische, für nihilistische Umtriebe. Sie wurden nach und nach
weggewiesen; einige klagten laut über engherziges Philisterthum,
aber gerade an diesen wurde es klar, daß man ihnen kein Un-
recht gethan. Denn obgleich sie nun nichts in der Stadt zu
suchen hatten, blieben sie doch im lustigen Wien und trieben es
da so lustig, daß es der ernsten Polizei mißfiel.

An den Wenigen aber, welchen man den Besuch der Colle-
gien und Secirsäle fortdauernd gestattet, erwies es sich andrer-
seits, wie schweres Unrecht man ihnen durch eine principielle
Abweisung gethan hätte: denn diese Mädchen widmeten sich
dem Studium mit so ernstem, verständnißvollem Eifer, wie er
an ihren männlichen Collegen nicht immer zu rühmen ist und
benahmen sich dabei in ihrem Privatleben, wie während des
Unterrichts, so bescheiden, so anstandsvoll, daß keine Klage, auch
nicht die leiseste, laut wurde. Und es waren junge, hübsche,
arme Mädchen darunter, die Hunderte von Meilen von der
Heimath fern, in der üppigen, fröhlichen Großstadt keinen
andern Schutz und Halt hatten, als das eigne, brave Herz.
Die Aermste von ihnen, eine Schönheit ersten Ranges, hat
während ihres ganzen Wiener Aufenthaltes fast nur von trockenem
Brode gelebt, und ihre Wohnstube war eine elende, nicht heiz-
bare Dachkammer, welche sie Nachts mit zwei gleich braven
Wiener Arbeiterinnen theilte. Nicht blos jede Versuchung, auch
jede Gabe wies das Mädchen als eine Beleidigung zurück, sie
lebte - in Wien! - von den zehn Rubeln, welche ihr ihre
Mutter monatlich schickte, und als man ihr eine Uebersetzungs-
arbeit anbot und gut zu honoriren versprach, refüsirte sie
dankend - sie müsse ihren Wiener Aufenthalt für ihre Studien
ausnützen und wolle lieber schlecht leben, als diese kostbare Zeit
durch andere Beschäftigung vergeuden! ...

Wie bereits erwähnt, hat sich die östreichische Regierung
trotzdem bewogen gefunden, um der schwarzen Schafe willen
auch die weißen zu verstoßen und sich auf den Standpunkt der
unbedingten Negation zu stellen.

Es ist dies ein bequemes, aber wenig gerechtes und sicher-
lich nicht nachahmungswürdiges Vorgehen. Der Staat hat keinen
Grund, seine Hochschulen allen Studentinnen principiell zu ver-
schließen, und er wahrt die Würde seiner höchsten Bildungs-
stätten genügend, wenn er die Frage der Zulassung der Candi-
datinnen nicht zu einer principiellen, sondern zu einer individuellen
macht, das heißt: wenn er den Rectoraten aufträgt, die Jmma-
trikulation nur dann vorzunehmen, wenn die Candidatin in
geistiger und sittlicher Beziehung den Bedingungen, die man
gerechter Weise an sie zu stellen hat, entspricht.

Bezüglich der geistigen Befähigung bedarf dies keiner
weiteren Ausführung: man fordere von der Bewerberin den-
selben Ausweis über genügende Vorbildung und geistige Reife,
wie dies bei Jünglingen üblich. Was aber die Sittlichkeit be-
trifft, so wird man sich freilich vor allen lächerlichen Ueber-
treibungen hüten und nicht etwa an einen hochlöblichen akade-
mischen Senat dieselben Anforderungen stellen dürfen, welche
Maria Theresia der Wiener Keuschheitscommission tragikomischen
Angedenkens aufgebürdet. Hier muß das Taktgefühl entscheiden!
- und damit: sapienti sat - zu näherem Eingehen auf dies
heikle Thema ist hier wahrlich nicht der Ort!

Als Resultat unserer Ausführungen können wir aussprechen,
daß weder der Staat einen Grund hat, den Frauen die Hörsäle
seiner medicinischen Facultäten zu verschließen, noch im Allge-
meinen ein principielles Bedenken gegen die Eignung der
Frauen zum ärztlichen Berufe berechtigt ist. Es handelt
sich hierbei überhaupt um kein Princip, sondern einzig um die[Spaltenumbruch] Jndividualität der Candidatin. Die Anforderungen aber, welche
an dieselbe gestellt werden müssen, sind so groß und vielseitig,
daß sie heute und in alle Zukunft nur von Wenigen werden
erfüllt werden können. Denn neben seltener geistiger, körper-
licher und moralischer Stärke muß die Candidatin noch seltene
Ausdauer und die Seelenkraft besitzen, freiwillig den Freuden
der Familie zu entsagen.

Wie aber stellen sich die praktischen Erwerbschancen?

Gleichfalls wenig ermunternd! Die junge Aerztin kann
nur solche Orte wählen, wo eine blos auf Frauen und Kinder
beschränkte Praxis lohnend ist, also größere Städte. Trifft sie
diese wenige Orte bereits von Colleginnen besetzt, so ist sie trotz
langjähriger Mühen noch immer nicht vor Noth geschützt, ge-
schweige denn versorgt. Auch die Erfahrung mahnt zur Vorsicht!
Nur wenige Frauen haben sich bisher als Aerztinnen in Europa
eine auskömmliche Existenz zu schaffen gewußt.

Ueberblicken wir nun nochmals das Gebiet, welches wir
unbefangenen Blicks durchwandert, so sehen wir, daß sich das
weibliche Studententhum unserer Tage aus zwei Gründen er-
klärt, aus einer geistigen Strömung, welche nicht blos geo-
graphisch lokalisirt ist, sondern auch zeitlich eng begrenzt sein
dürfte, und aus einer herben Nothwendigkeit, der es aber nicht
zweckdienlich zu entsprechen vermag, da die Erwerbschancen
ungünstige sind. Und daraus folgt denn als letzter Schluß,
daß es nur eben eine curiose, eine interessante, aber keine social
folgenschwere Erscheinung ist, der wir diese Erörterungen gewidmet.




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Nr. 25. Die Gegenwart.
Halt und versuchten es, hier unterzukommen, ehe sie nach Bern
oder Paris gingen. Es waren das fast ausnahmslos Studen-
tinnen der Medicin.

Nun denn – bei vielen, bei sehr vielen von ihnen ergab
schon eine flüchtige Prüfung ihres Wesens […] und ihrer äußeren
Lebensführung, daß ihnen das Studium keineswegs der Haupt-
zweck sei. Den Einen war es ein Mittel, um – ich drücke
mich sehr vorsichtig aus – desto ungenirter ein zwangloses
Leben führen zu können, den Anderen ein Deckmantel für radical-
politische, für nihilistische Umtriebe. Sie wurden nach und nach
weggewiesen; einige klagten laut über engherziges Philisterthum,
aber gerade an diesen wurde es klar, daß man ihnen kein Un-
recht gethan. Denn obgleich sie nun nichts in der Stadt zu
suchen hatten, blieben sie doch im lustigen Wien und trieben es
da so lustig, daß es der ernsten Polizei mißfiel.

An den Wenigen aber, welchen man den Besuch der Colle-
gien und Secirsäle fortdauernd gestattet, erwies es sich andrer-
seits, wie schweres Unrecht man ihnen durch eine principielle
Abweisung gethan hätte: denn diese Mädchen widmeten sich
dem Studium mit so ernstem, verständnißvollem Eifer, wie er
an ihren männlichen Collegen nicht immer zu rühmen ist und
benahmen sich dabei in ihrem Privatleben, wie während des
Unterrichts, so bescheiden, so anstandsvoll, daß keine Klage, auch
nicht die leiseste, laut wurde. Und es waren junge, hübsche,
arme Mädchen darunter, die Hunderte von Meilen von der
Heimath fern, in der üppigen, fröhlichen Großstadt keinen
andern Schutz und Halt hatten, als das eigne, brave Herz.
Die Aermste von ihnen, eine Schönheit ersten Ranges, hat
während ihres ganzen Wiener Aufenthaltes fast nur von trockenem
Brode gelebt, und ihre Wohnstube war eine elende, nicht heiz-
bare Dachkammer, welche sie Nachts mit zwei gleich braven
Wiener Arbeiterinnen theilte. Nicht blos jede Versuchung, auch
jede Gabe wies das Mädchen als eine Beleidigung zurück, sie
lebte – in Wien! – von den zehn Rubeln, welche ihr ihre
Mutter monatlich schickte, und als man ihr eine Uebersetzungs-
arbeit anbot und gut zu honoriren versprach, refüsirte sie
dankend – sie müsse ihren Wiener Aufenthalt für ihre Studien
ausnützen und wolle lieber schlecht leben, als diese kostbare Zeit
durch andere Beschäftigung vergeuden! …

Wie bereits erwähnt, hat sich die östreichische Regierung
trotzdem bewogen gefunden, um der schwarzen Schafe willen
auch die weißen zu verstoßen und sich auf den Standpunkt der
unbedingten Negation zu stellen.

Es ist dies ein bequemes, aber wenig gerechtes und sicher-
lich nicht nachahmungswürdiges Vorgehen. Der Staat hat keinen
Grund, seine Hochschulen allen Studentinnen principiell zu ver-
schließen, und er wahrt die Würde seiner höchsten Bildungs-
stätten genügend, wenn er die Frage der Zulassung der Candi-
datinnen nicht zu einer principiellen, sondern zu einer individuellen
macht, das heißt: wenn er den Rectoraten aufträgt, die Jmma-
trikulation nur dann vorzunehmen, wenn die Candidatin in
geistiger und sittlicher Beziehung den Bedingungen, die man
gerechter Weise an sie zu stellen hat, entspricht.

Bezüglich der geistigen Befähigung bedarf dies keiner
weiteren Ausführung: man fordere von der Bewerberin den-
selben Ausweis über genügende Vorbildung und geistige Reife,
wie dies bei Jünglingen üblich. Was aber die Sittlichkeit be-
trifft, so wird man sich freilich vor allen lächerlichen Ueber-
treibungen hüten und nicht etwa an einen hochlöblichen akade-
mischen Senat dieselben Anforderungen stellen dürfen, welche
Maria Theresia der Wiener Keuschheitscommission tragikomischen
Angedenkens aufgebürdet. Hier muß das Taktgefühl entscheiden!
– und damit: sapienti sat – zu näherem Eingehen auf dies
heikle Thema ist hier wahrlich nicht der Ort!

Als Resultat unserer Ausführungen können wir aussprechen,
daß weder der Staat einen Grund hat, den Frauen die Hörsäle
seiner medicinischen Facultäten zu verschließen, noch im Allge-
meinen ein principielles Bedenken gegen die Eignung der
Frauen zum ärztlichen Berufe berechtigt ist. Es handelt
sich hierbei überhaupt um kein Princip, sondern einzig um die[Spaltenumbruch] Jndividualität der Candidatin. Die Anforderungen aber, welche
an dieselbe gestellt werden müssen, sind so groß und vielseitig,
daß sie heute und in alle Zukunft nur von Wenigen werden
erfüllt werden können. Denn neben seltener geistiger, körper-
licher und moralischer Stärke muß die Candidatin noch seltene
Ausdauer und die Seelenkraft besitzen, freiwillig den Freuden
der Familie zu entsagen.

Wie aber stellen sich die praktischen Erwerbschancen?

Gleichfalls wenig ermunternd! Die junge Aerztin kann
nur solche Orte wählen, wo eine blos auf Frauen und Kinder
beschränkte Praxis lohnend ist, also größere Städte. Trifft sie
diese wenige Orte bereits von Colleginnen besetzt, so ist sie trotz
langjähriger Mühen noch immer nicht vor Noth geschützt, ge-
schweige denn versorgt. Auch die Erfahrung mahnt zur Vorsicht!
Nur wenige Frauen haben sich bisher als Aerztinnen in Europa
eine auskömmliche Existenz zu schaffen gewußt.

Ueberblicken wir nun nochmals das Gebiet, welches wir
unbefangenen Blicks durchwandert, so sehen wir, daß sich das
weibliche Studententhum unserer Tage aus zwei Gründen er-
klärt, aus einer geistigen Strömung, welche nicht blos geo-
graphisch lokalisirt ist, sondern auch zeitlich eng begrenzt sein
dürfte, und aus einer herben Nothwendigkeit, der es aber nicht
zweckdienlich zu entsprechen vermag, da die Erwerbschancen
ungünstige sind. Und daraus folgt denn als letzter Schluß,
daß es nur eben eine curiose, eine interessante, aber keine social
folgenschwere Erscheinung ist, der wir diese Erörterungen gewidmet.




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Der Staat hat keinen Grund, seine Hochschulen allen Studentinnen principiell zu ver- schließen, und er wahrt die Würde seiner höchsten Bildungs- stätten genügend, wenn er die Frage der Zulassung der Candi- datinnen nicht zu einer principiellen, sondern zu einer individuellen macht, das heißt: wenn er den Rectoraten aufträgt, die Jmma- trikulation nur dann vorzunehmen, wenn die Candidatin in geistiger und sittlicher Beziehung den Bedingungen, die man gerechter Weise an sie zu stellen hat, entspricht. Bezüglich der geistigen Befähigung bedarf dies keiner weiteren Ausführung: man fordere von der Bewerberin den- selben Ausweis über genügende Vorbildung und geistige Reife, wie dies bei Jünglingen üblich. Was aber die Sittlichkeit be- trifft, so wird man sich freilich vor allen lächerlichen Ueber- treibungen hüten und nicht etwa an einen hochlöblichen akade- mischen Senat dieselben Anforderungen stellen dürfen, welche Maria Theresia der Wiener Keuschheitscommission tragikomischen Angedenkens aufgebürdet. Hier muß das Taktgefühl entscheiden! – und damit: sapienti sat – zu näherem Eingehen auf dies heikle Thema ist hier wahrlich nicht der Ort! Als Resultat unserer Ausführungen können wir aussprechen, daß weder der Staat einen Grund hat, den Frauen die Hörsäle seiner medicinischen Facultäten zu verschließen, noch im Allge- meinen ein principielles Bedenken gegen die Eignung der Frauen zum ärztlichen Berufe berechtigt ist. Es handelt sich hierbei überhaupt um kein Princip, sondern einzig um die Jndividualität der Candidatin. Die Anforderungen aber, welche an dieselbe gestellt werden müssen, sind so groß und vielseitig, daß sie heute und in alle Zukunft nur von Wenigen werden erfüllt werden können. Denn neben seltener geistiger, körper- licher und moralischer Stärke muß die Candidatin noch seltene Ausdauer und die Seelenkraft besitzen, freiwillig den Freuden der Familie zu entsagen. Wie aber stellen sich die praktischen Erwerbschancen? Gleichfalls wenig ermunternd! Die junge Aerztin kann nur solche Orte wählen, wo eine blos auf Frauen und Kinder beschränkte Praxis lohnend ist, also größere Städte. Trifft sie diese wenige Orte bereits von Colleginnen besetzt, so ist sie trotz langjähriger Mühen noch immer nicht vor Noth geschützt, ge- schweige denn versorgt. Auch die Erfahrung mahnt zur Vorsicht! Nur wenige Frauen haben sich bisher als Aerztinnen in Europa eine auskömmliche Existenz zu schaffen gewußt. Ueberblicken wir nun nochmals das Gebiet, welches wir unbefangenen Blicks durchwandert, so sehen wir, daß sich das weibliche Studententhum unserer Tage aus zwei Gründen er- klärt, aus einer geistigen Strömung, welche nicht blos geo- graphisch lokalisirt ist, sondern auch zeitlich eng begrenzt sein dürfte, und aus einer herben Nothwendigkeit, der es aber nicht zweckdienlich zu entsprechen vermag, da die Erwerbschancen ungünstige sind. Und daraus folgt denn als letzter Schluß, daß es nur eben eine curiose, eine interessante, aber keine social folgenschwere Erscheinung ist, der wir diese Erörterungen gewidmet. ________________________________________

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Zitationshilfe: Franzos, Karl Emil: Weibliche Studenten. In: Die Gegenwart 23 (1881), S. 358–361; 24 (1881) S. 380–382; 25 (1881), S. 393–395, hier S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/franzos_studenten_1881/10>, abgerufen am 19.04.2024.