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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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§ 1. Einleitung. Umfang des Aussterbens.

Die Erscheinung, dass eine Reihe von Völkern vor unseren Augen durch langsameres oder rascheres Hinschwinden ihrem Untergang entgegengeht, ist eine überaus wichtige. Dass sie für die Geschichtsforschung grosse Bedeutung hat, leuchtet ohne weiteres ein; dass sie für die Naturgeschichte des Menschen, die Anthropologie entscheidend ist, ebenfalls. Und wenn es sich als wahr bestätigt, dass, wie man behauptet hat, diese Völker aus einer Lebensunfähigkeit, welche ihrer Natur anhaftet, dem Aufhören entgegengehen; so ist, da die nothwendige Folgerung jener Behauptung dahin führt, dass man verschiedene Arten, höhere und niedere im Geschlecht Mensch annimmt, die Beantwortung dieser Frage auch für die Philosophie massgebend. Praktisch hat man sie von jeher in den Staaten betont, wo Weisse mit Farbigen zusammenleben; wie man eben die Theorie der geringeren Lebensfähigkeit nicht weisser Racen zuerst in diesen Staaten aufgestellt hat.

Und allerdings ist es auffallend, dass nur farbige Racen dies Hinschwinden zeigen und am meisten es da zeigen, wo sie mit der weissen in Berührung gekommen sind; dass die Weissen, obwohl sie doch ihre Heimat, das gewohnte Klima u. s. w. aufgegeben haben und in unmittelbarer Berührung mit denen leben, welche in ihrem Vaterlande, scheinbar unter den alten Lebensbedingungen, verkommen, gänzlich davon verschont zu sein scheinen.

Während wir nun dies Hinschwinden hauptsächlich bei den kulturlosen Racen, bei den Naturvölkern, d. h. bei den Völkern finden, welche dem Naturzustande des Menschengeschlechtes noch verhältnissmässig nahe stehen (Waitz 1, 346), oder bei welchen, um mit Steinthal zu reden, noch keine bedeutende Entwickelung der logischen Fähigkeiten stattgefunden hat: so sehen wir es doch ebenfalls auch da, wo farbige Racen sich zur Kultur und sogar zu einer gewissen Höhe der Kultur emporgeschwungen haben, in Polynesien, in Mexiko, in Peru, und man hat daher geschlossen, einmal dass diese Kultur doch nur Halbkultur und wenig bedeutend gewesen sei, denn wäre sie wahr und ganz gewesen, so würde sie grössere Kraft verliehen haben:

§ 1. Einleitung. Umfang des Aussterbens.

Die Erscheinung, dass eine Reihe von Völkern vor unseren Augen durch langsameres oder rascheres Hinschwinden ihrem Untergang entgegengeht, ist eine überaus wichtige. Dass sie für die Geschichtsforschung grosse Bedeutung hat, leuchtet ohne weiteres ein; dass sie für die Naturgeschichte des Menschen, die Anthropologie entscheidend ist, ebenfalls. Und wenn es sich als wahr bestätigt, dass, wie man behauptet hat, diese Völker aus einer Lebensunfähigkeit, welche ihrer Natur anhaftet, dem Aufhören entgegengehen; so ist, da die nothwendige Folgerung jener Behauptung dahin führt, dass man verschiedene Arten, höhere und niedere im Geschlecht Mensch annimmt, die Beantwortung dieser Frage auch für die Philosophie massgebend. Praktisch hat man sie von jeher in den Staaten betont, wo Weisse mit Farbigen zusammenleben; wie man eben die Theorie der geringeren Lebensfähigkeit nicht weisser Raçen zuerst in diesen Staaten aufgestellt hat.

Und allerdings ist es auffallend, dass nur farbige Raçen dies Hinschwinden zeigen und am meisten es da zeigen, wo sie mit der weissen in Berührung gekommen sind; dass die Weissen, obwohl sie doch ihre Heimat, das gewohnte Klima u. s. w. aufgegeben haben und in unmittelbarer Berührung mit denen leben, welche in ihrem Vaterlande, scheinbar unter den alten Lebensbedingungen, verkommen, gänzlich davon verschont zu sein scheinen.

Während wir nun dies Hinschwinden hauptsächlich bei den kulturlosen Raçen, bei den Naturvölkern, d. h. bei den Völkern finden, welche dem Naturzustande des Menschengeschlechtes noch verhältnissmässig nahe stehen (Waitz 1, 346), oder bei welchen, um mit Steinthal zu reden, noch keine bedeutende Entwickelung der logischen Fähigkeiten stattgefunden hat: so sehen wir es doch ebenfalls auch da, wo farbige Raçen sich zur Kultur und sogar zu einer gewissen Höhe der Kultur emporgeschwungen haben, in Polynesien, in Mexiko, in Peru, und man hat daher geschlossen, einmal dass diese Kultur doch nur Halbkultur und wenig bedeutend gewesen sei, denn wäre sie wahr und ganz gewesen, so würde sie grössere Kraft verliehen haben:

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 Anthropologie entscheidend ist, ebenfalls. Und wenn es sich als
 wahr bestätigt, dass, wie man behauptet hat, diese Völker
 aus einer Lebensunfähigkeit, welche ihrer Natur anhaftet, dem
 Aufhören entgegengehen; so ist, da die nothwendige Folgerung
 jener Behauptung dahin führt, dass man verschiedene Arten,
 höhere und niedere im Geschlecht Mensch annimmt, die
 Beantwortung dieser Frage auch für die Philosophie massgebend.
 Praktisch hat man sie von jeher in den Staaten betont, wo Weisse
 mit Farbigen zusammenleben; wie man eben die Theorie der geringeren
 Lebensfähigkeit nicht weisser Raçen zuerst in diesen
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 haben und in unmittelbarer Berührung mit denen leben, welche
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 den Völkern finden, welche dem Naturzustande des
 Menschengeschlechtes noch verhältnissmässig nahe stehen
 (Waitz 1, 346), oder bei welchen, um mit Steinthal zu reden, noch
 keine bedeutende Entwickelung der logischen Fähigkeiten
 stattgefunden hat: so sehen wir es doch ebenfalls auch da, wo
 farbige Raçen sich zur Kultur und sogar zu einer gewissen
 Höhe der Kultur emporgeschwungen haben, in Polynesien, in
 Mexiko, in Peru, und man hat daher geschlossen, einmal dass diese
 Kultur doch nur Halbkultur und wenig bedeutend gewesen sei, denn
 wäre sie wahr und ganz gewesen, so würde sie
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[0013] § 1. Einleitung. Umfang des Aussterbens. Die Erscheinung, dass eine Reihe von Völkern vor unseren Augen durch langsameres oder rascheres Hinschwinden ihrem Untergang entgegengeht, ist eine überaus wichtige. Dass sie für die Geschichtsforschung grosse Bedeutung hat, leuchtet ohne weiteres ein; dass sie für die Naturgeschichte des Menschen, die Anthropologie entscheidend ist, ebenfalls. Und wenn es sich als wahr bestätigt, dass, wie man behauptet hat, diese Völker aus einer Lebensunfähigkeit, welche ihrer Natur anhaftet, dem Aufhören entgegengehen; so ist, da die nothwendige Folgerung jener Behauptung dahin führt, dass man verschiedene Arten, höhere und niedere im Geschlecht Mensch annimmt, die Beantwortung dieser Frage auch für die Philosophie massgebend. Praktisch hat man sie von jeher in den Staaten betont, wo Weisse mit Farbigen zusammenleben; wie man eben die Theorie der geringeren Lebensfähigkeit nicht weisser Raçen zuerst in diesen Staaten aufgestellt hat. Und allerdings ist es auffallend, dass nur farbige Raçen dies Hinschwinden zeigen und am meisten es da zeigen, wo sie mit der weissen in Berührung gekommen sind; dass die Weissen, obwohl sie doch ihre Heimat, das gewohnte Klima u. s. w. aufgegeben haben und in unmittelbarer Berührung mit denen leben, welche in ihrem Vaterlande, scheinbar unter den alten Lebensbedingungen, verkommen, gänzlich davon verschont zu sein scheinen. Während wir nun dies Hinschwinden hauptsächlich bei den kulturlosen Raçen, bei den Naturvölkern, d. h. bei den Völkern finden, welche dem Naturzustande des Menschengeschlechtes noch verhältnissmässig nahe stehen (Waitz 1, 346), oder bei welchen, um mit Steinthal zu reden, noch keine bedeutende Entwickelung der logischen Fähigkeiten stattgefunden hat: so sehen wir es doch ebenfalls auch da, wo farbige Raçen sich zur Kultur und sogar zu einer gewissen Höhe der Kultur emporgeschwungen haben, in Polynesien, in Mexiko, in Peru, und man hat daher geschlossen, einmal dass diese Kultur doch nur Halbkultur und wenig bedeutend gewesen sei, denn wäre sie wahr und ganz gewesen, so würde sie grössere Kraft verliehen haben:

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/13>, abgerufen am 25.04.2024.