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Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768.

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Ugolino,
Francesco. Er wird die Oeffnung näher untersuchen wollen.
Wenn er sich nur nicht im edlen Grimm seines Herzens auf das
Ungeheuer herabstürzt, gleich dem erhabnen Vogel, der sich ins
Steinthal wirft, wo er einen Drachen erblickte.
Anselmo. Fürchte das nicht, Francesco. So aufgebracht
unser Vater wider Ruggieri ist, so ist ers doch noch mehr wider
sich selbst. Mir zwar ein Räthsel.
Francesco. O es ist ein großer, ein wunderbar großer
Geist, der in diesem Manne, unserm Vater, wohnt! Er schmä-
lert seine Verdienste, um sein Schicksal zu rechtfertigen.
Anselmo. Sie schmälern, die kein Sterblicher zu schmälern
wagt? Sie selbst schmälern? Wie kann ers?
Francesco. Pisa senfzte unter dem Joche eines Tyrannen.
Gherardesca stand auf, und rächte die Seufzende.
Anselmo. War es nicht edel? war es nicht göttlich?
Francesco. Was war es nicht! Aber nun blies ihm Rug-
gieri, schon lange sein heimlicher Neider, nun blies ihm der Ge-
sandte des Abgrundes, der, um sichrer zu verschlingen, im prie-
sterlichen Mantel der Religion umherschleicht, der blies ihm den
Gedanken ein, Pisas Wohl erfordre einen Beherrscher, niemand
habe ein höheres Recht auf Pisas Diadema, als Gherardesca.
Gherardesca wagte den kühnen Schritt, den er sich nie verzeihen
wird; und Gherardesca ward unglücklich.
Anselmo. Wußte der Heimtückische ihn so zu verwickeln.
Jst das die Welt? Nun, bey der heiligen Mutter Gottes, ich
verabschene sie!
Francesco. Die Gualandi, die Sismondi, die Lan-
franchi,
die Buondelmonti, die Cavicciulli, alle seine Freunde
und Bewundrer, sie alle verliessen ihn. Noch mehr: sie schwu-
ren seinen Fall. So fiel Gherardesca.
Anselmo. Durch seine Freunde! O es ist unerhört! es ist
unerhört! Francesco, wir sind Gherardescas Söhne!

Fran-
Ugolino,
Franceſco. Er wird die Oeffnung naͤher unterſuchen wollen.
Wenn er ſich nur nicht im edlen Grimm ſeines Herzens auf das
Ungeheuer herabſtuͤrzt, gleich dem erhabnen Vogel, der ſich ins
Steinthal wirft, wo er einen Drachen erblickte.
Anſelmo. Fuͤrchte das nicht, Franceſco. So aufgebracht
unſer Vater wider Ruggieri iſt, ſo iſt ers doch noch mehr wider
ſich ſelbſt. Mir zwar ein Raͤthſel.
Franceſco. O es iſt ein großer, ein wunderbar großer
Geiſt, der in dieſem Manne, unſerm Vater, wohnt! Er ſchmaͤ-
lert ſeine Verdienſte, um ſein Schickſal zu rechtfertigen.
Anſelmo. Sie ſchmaͤlern, die kein Sterblicher zu ſchmaͤlern
wagt? Sie ſelbſt ſchmaͤlern? Wie kann ers?
Franceſco. Piſa ſenfzte unter dem Joche eines Tyrannen.
Gherardeſca ſtand auf, und raͤchte die Seufzende.
Anſelmo. War es nicht edel? war es nicht goͤttlich?
Franceſco. Was war es nicht! Aber nun blies ihm Rug-
gieri, ſchon lange ſein heimlicher Neider, nun blies ihm der Ge-
ſandte des Abgrundes, der, um ſichrer zu verſchlingen, im prie-
ſterlichen Mantel der Religion umherſchleicht, der blies ihm den
Gedanken ein, Piſas Wohl erfordre einen Beherrſcher, niemand
habe ein hoͤheres Recht auf Piſas Diadema, als Gherardeſca.
Gherardeſca wagte den kuͤhnen Schritt, den er ſich nie verzeihen
wird; und Gherardeſca ward ungluͤcklich.
Anſelmo. Wußte der Heimtuͤckiſche ihn ſo zu verwickeln.
Jſt das die Welt? Nun, bey der heiligen Mutter Gottes, ich
verabſchene ſie!
Franceſco. Die Gualandi, die Siſmondi, die Lan-
franchi,
die Buondelmonti, die Cavicciulli, alle ſeine Freunde
und Bewundrer, ſie alle verlieſſen ihn. Noch mehr: ſie ſchwu-
ren ſeinen Fall. So fiel Gherardeſca.
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unerhoͤrt! Franceſco, wir ſind Gherardeſcas Soͤhne!

Fran-
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[14/0020] Ugolino, Franceſco. Er wird die Oeffnung naͤher unterſuchen wollen. Wenn er ſich nur nicht im edlen Grimm ſeines Herzens auf das Ungeheuer herabſtuͤrzt, gleich dem erhabnen Vogel, der ſich ins Steinthal wirft, wo er einen Drachen erblickte. Anſelmo. Fuͤrchte das nicht, Franceſco. So aufgebracht unſer Vater wider Ruggieri iſt, ſo iſt ers doch noch mehr wider ſich ſelbſt. Mir zwar ein Raͤthſel. Franceſco. O es iſt ein großer, ein wunderbar großer Geiſt, der in dieſem Manne, unſerm Vater, wohnt! Er ſchmaͤ- lert ſeine Verdienſte, um ſein Schickſal zu rechtfertigen. Anſelmo. Sie ſchmaͤlern, die kein Sterblicher zu ſchmaͤlern wagt? Sie ſelbſt ſchmaͤlern? Wie kann ers? Franceſco. Piſa ſenfzte unter dem Joche eines Tyrannen. Gherardeſca ſtand auf, und raͤchte die Seufzende. Anſelmo. War es nicht edel? war es nicht goͤttlich? Franceſco. Was war es nicht! Aber nun blies ihm Rug- gieri, ſchon lange ſein heimlicher Neider, nun blies ihm der Ge- ſandte des Abgrundes, der, um ſichrer zu verſchlingen, im prie- ſterlichen Mantel der Religion umherſchleicht, der blies ihm den Gedanken ein, Piſas Wohl erfordre einen Beherrſcher, niemand habe ein hoͤheres Recht auf Piſas Diadema, als Gherardeſca. Gherardeſca wagte den kuͤhnen Schritt, den er ſich nie verzeihen wird; und Gherardeſca ward ungluͤcklich. Anſelmo. Wußte der Heimtuͤckiſche ihn ſo zu verwickeln. Jſt das die Welt? Nun, bey der heiligen Mutter Gottes, ich verabſchene ſie! Franceſco. Die Gualandi, die Siſmondi, die Lan- franchi, die Buondelmonti, die Cavicciulli, alle ſeine Freunde und Bewundrer, ſie alle verlieſſen ihn. Noch mehr: ſie ſchwu- ren ſeinen Fall. So fiel Gherardeſca. Anſelmo. Durch ſeine Freunde! O es iſt unerhoͤrt! es iſt unerhoͤrt! Franceſco, wir ſind Gherardeſcas Soͤhne! Fran-

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Zitationshilfe: Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstenberg_ugolino_1768/20>, abgerufen am 29.03.2024.