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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. Buch. 1. Tit.
Zwang statt findet. Derjenige Theil des Naturrechts,
der die Iura et officia perfecta vorträgt, hat wiederum
verschiedene Eintheilungen, die ich hier nur blos erzäh-
len will, ohne mich dabey aufzuhalten 7). Wenn wir

uns
7) Hierbey ist nachzusehen A. F. Reinhards Sammlung
juristischer, philos
. und kritischer Aufsätze
1. B. 3. St. N. 1. S. 148. woselbst die nicht gemeine,
aber sehr wichtige Anmerkung gemacht wird, daß man
nicht meinen müsse, als ob alle so genannte Iura per-
fecta
immer wirkliche Befugnisse seyen. Wir sind ver-
bunden, um der allgemeinen Sicherheit willen, vieles
als ein Recht gelten zu lassen, ohne darauf zu sehen, ob
derienige, der solches ausübt, wirklich dazu befugt sey.
Ein wahres Recht kann nach natürlichen Rechten nur das-
jenige seyn, was mit dem ganzen Umfang unserer Pflich-
ten übereinstimmt. Streitet etwas nur mit irgend einer
von unsern Pflichten, z. E. mit der Menschenliebe; so ist
es kein wahres Recht mehr. Wahre Rechte nennt man
innerliche Rechte (Iura interna). Was hingegen nur
unter den Menschen als ein Recht gelten muß, so daß
es nicht darauf ankommt, ob derienige, der solches aus-
übt, ein innerliches Recht dazu habe, oder nicht, das
begreifen wir unter dem Nahmen äusserlicher Rechte
(Iura externa). So hat z. B. eine Obrigkeit, die ihre
Rechte nicht nach der Vorschrift des Gewissens ausübt,
zu dem, was sie thut, blos ein äusserliches Recht. Ein
äusserliches Recht muß in der menschlichen Gesellschaft
als ein wahres und wirkliches Recht angenommen wer-
den. Wir sind selbst im Gewissen verbunden, die äusser-
lichen Rechte für gültig zu erkennen, niemanden im Ge-
brauch derselben zu stören, und einem jeden dasienige
zu leisten, was er aus einem solchen Rechte von uns
fordert. Das Wohl der menschlichen Gesellschaft erfor-
dert dieses nothwendig. Wir müssen es einem jeden
überlassen, ob er sich seiner Rechte nach Vorschrift des
Gewissens bedient, oder nicht, so lang er das Ius per-
fectum
anderer Menschen nicht beleidigt. Denn wer
sollte hier entscheiden?

1. Buch. 1. Tit.
Zwang ſtatt findet. Derjenige Theil des Naturrechts,
der die Iura et officia perfecta vortraͤgt, hat wiederum
verſchiedene Eintheilungen, die ich hier nur blos erzaͤh-
len will, ohne mich dabey aufzuhalten 7). Wenn wir

uns
7) Hierbey iſt nachzuſehen A. F. Reinhards Sammlung
juriſtiſcher, philoſ
. und kritiſcher Aufſaͤtze
1. B. 3. St. N. 1. S. 148. woſelbſt die nicht gemeine,
aber ſehr wichtige Anmerkung gemacht wird, daß man
nicht meinen muͤſſe, als ob alle ſo genannte Iura per-
fecta
immer wirkliche Befugniſſe ſeyen. Wir ſind ver-
bunden, um der allgemeinen Sicherheit willen, vieles
als ein Recht gelten zu laſſen, ohne darauf zu ſehen, ob
derienige, der ſolches ausuͤbt, wirklich dazu befugt ſey.
Ein wahres Recht kann nach natuͤrlichen Rechten nur das-
jenige ſeyn, was mit dem ganzen Umfang unſerer Pflich-
ten uͤbereinſtimmt. Streitet etwas nur mit irgend einer
von unſern Pflichten, z. E. mit der Menſchenliebe; ſo iſt
es kein wahres Recht mehr. Wahre Rechte nennt man
innerliche Rechte (Iura interna). Was hingegen nur
unter den Menſchen als ein Recht gelten muß, ſo daß
es nicht darauf ankommt, ob derienige, der ſolches aus-
uͤbt, ein innerliches Recht dazu habe, oder nicht, das
begreifen wir unter dem Nahmen aͤuſſerlicher Rechte
(Iura externa). So hat z. B. eine Obrigkeit, die ihre
Rechte nicht nach der Vorſchrift des Gewiſſens ausuͤbt,
zu dem, was ſie thut, blos ein aͤuſſerliches Recht. Ein
aͤuſſerliches Recht muß in der menſchlichen Geſellſchaft
als ein wahres und wirkliches Recht angenommen wer-
den. Wir ſind ſelbſt im Gewiſſen verbunden, die aͤuſſer-
lichen Rechte fuͤr guͤltig zu erkennen, niemanden im Ge-
brauch derſelben zu ſtoͤren, und einem jeden dasienige
zu leiſten, was er aus einem ſolchen Rechte von uns
fordert. Das Wohl der menſchlichen Geſellſchaft erfor-
dert dieſes nothwendig. Wir muͤſſen es einem jeden
uͤberlaſſen, ob er ſich ſeiner Rechte nach Vorſchrift des
Gewiſſens bedient, oder nicht, ſo lang er das Ius per-
fectum
anderer Menſchen nicht beleidigt. Denn wer
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[118/0138] 1. Buch. 1. Tit. Zwang ſtatt findet. Derjenige Theil des Naturrechts, der die Iura et officia perfecta vortraͤgt, hat wiederum verſchiedene Eintheilungen, die ich hier nur blos erzaͤh- len will, ohne mich dabey aufzuhalten 7). Wenn wir uns 7) Hierbey iſt nachzuſehen A. F. Reinhards Sammlung juriſtiſcher, philoſ. und kritiſcher Aufſaͤtze 1. B. 3. St. N. 1. S. 148. woſelbſt die nicht gemeine, aber ſehr wichtige Anmerkung gemacht wird, daß man nicht meinen muͤſſe, als ob alle ſo genannte Iura per- fecta immer wirkliche Befugniſſe ſeyen. Wir ſind ver- bunden, um der allgemeinen Sicherheit willen, vieles als ein Recht gelten zu laſſen, ohne darauf zu ſehen, ob derienige, der ſolches ausuͤbt, wirklich dazu befugt ſey. Ein wahres Recht kann nach natuͤrlichen Rechten nur das- jenige ſeyn, was mit dem ganzen Umfang unſerer Pflich- ten uͤbereinſtimmt. Streitet etwas nur mit irgend einer von unſern Pflichten, z. E. mit der Menſchenliebe; ſo iſt es kein wahres Recht mehr. Wahre Rechte nennt man innerliche Rechte (Iura interna). Was hingegen nur unter den Menſchen als ein Recht gelten muß, ſo daß es nicht darauf ankommt, ob derienige, der ſolches aus- uͤbt, ein innerliches Recht dazu habe, oder nicht, das begreifen wir unter dem Nahmen aͤuſſerlicher Rechte (Iura externa). So hat z. B. eine Obrigkeit, die ihre Rechte nicht nach der Vorſchrift des Gewiſſens ausuͤbt, zu dem, was ſie thut, blos ein aͤuſſerliches Recht. Ein aͤuſſerliches Recht muß in der menſchlichen Geſellſchaft als ein wahres und wirkliches Recht angenommen wer- den. Wir ſind ſelbſt im Gewiſſen verbunden, die aͤuſſer- lichen Rechte fuͤr guͤltig zu erkennen, niemanden im Ge- brauch derſelben zu ſtoͤren, und einem jeden dasienige zu leiſten, was er aus einem ſolchen Rechte von uns fordert. Das Wohl der menſchlichen Geſellſchaft erfor- dert dieſes nothwendig. Wir muͤſſen es einem jeden uͤberlaſſen, ob er ſich ſeiner Rechte nach Vorſchrift des Gewiſſens bedient, oder nicht, ſo lang er das Ius per- fectum anderer Menſchen nicht beleidigt. Denn wer ſollte hier entſcheiden?

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/138>, abgerufen am 16.04.2024.