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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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de Iustitia et Iure.
uns die Rechte und vollkommenen Pflichten der Men-
schen, welche das Ius naturae cogens in sich begreift,
vorstellen, so folgen dieselben entweder schon aus der
menschlichen Natur an sich, ohne Voraussetzung gewis-
ser Handlungen, oder sie setzen gewisse Handlungen vor-
aus, welche den nächsten Grund jener Rechte und Ver-
bindlichkeiten enthalten. Erstere heissen absolute, ur-
sprüngliche
, oder angebohrne Rechte und Ver-
bindlichkeiten, und der Inbegrif derselben macht das Ius
naturae absolutum
aus; letztere aber werden hypothe-
tische
, und der Inbegrif derselben Ius naturae hypo-
theticum
genennt. Die Hypothese, wodurch Rechte und
Verbindlichkeiten der letztern Art determinirt werden, ist
entweder eine gemeinschaftliche Verbindung, in welche
Menschen mit einander getreten; oder ein anderes Fac-
tum, welches die Menschen nicht in gewisse Gesellschaf-
ten verbindet, z. B. Vertrag oder Beleidigung. Jener
Theil des hypothetischen Naturrechts heißt das gesell-
schaftliche Recht
(ius naturale hypotheticum sociale).
Der letztere Theil aber ist das aussergesellschaftliche
Naturrecht
. Beyde Theile des natürlichen Rechts
haben wieder ihre verschiedenen Eintheilungen, die ich
aber aus dem Höpfnerischen Naturrecht §. 35 u. 36.
bey meinen Lesern als bekannt voraussetzen kann.

§. 17.
Gültigkeit des Naturrechts im bürgerlichen Staate.

Es ist wohl keine Frage weniger bestritten, als
die, ob das Naturrecht auch in der bürgerli-
chen Gesellschaft gelte?
Freylich wird zwar ein
Jeder, auch bey geringen Maas von Scharfsinn, leicht
begreiffen, daß ohnmöglich alles dasienige, was in dem
aussergesellschaftlichen Zustande der Menschen natürlichen

Rechtens
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de Iuſtitia et Iure.
uns die Rechte und vollkommenen Pflichten der Men-
ſchen, welche das Ius naturae cogens in ſich begreift,
vorſtellen, ſo folgen dieſelben entweder ſchon aus der
menſchlichen Natur an ſich, ohne Vorausſetzung gewiſ-
ſer Handlungen, oder ſie ſetzen gewiſſe Handlungen vor-
aus, welche den naͤchſten Grund jener Rechte und Ver-
bindlichkeiten enthalten. Erſtere heiſſen abſolute, ur-
ſpruͤngliche
, oder angebohrne Rechte und Ver-
bindlichkeiten, und der Inbegrif derſelben macht das Ius
naturae abſolutum
aus; letztere aber werden hypothe-
tiſche
, und der Inbegrif derſelben Ius naturae hypo-
theticum
genennt. Die Hypotheſe, wodurch Rechte und
Verbindlichkeiten der letztern Art determinirt werden, iſt
entweder eine gemeinſchaftliche Verbindung, in welche
Menſchen mit einander getreten; oder ein anderes Fac-
tum, welches die Menſchen nicht in gewiſſe Geſellſchaf-
ten verbindet, z. B. Vertrag oder Beleidigung. Jener
Theil des hypothetiſchen Naturrechts heißt das geſell-
ſchaftliche Recht
(ius naturale hypotheticum ſociale).
Der letztere Theil aber iſt das auſſergeſellſchaftliche
Naturrecht
. Beyde Theile des natuͤrlichen Rechts
haben wieder ihre verſchiedenen Eintheilungen, die ich
aber aus dem Hoͤpfneriſchen Naturrecht §. 35 u. 36.
bey meinen Leſern als bekannt vorausſetzen kann.

§. 17.
Guͤltigkeit des Naturrechts im buͤrgerlichen Staate.

Es iſt wohl keine Frage weniger beſtritten, als
die, ob das Naturrecht auch in der buͤrgerli-
chen Geſellſchaft gelte?
Freylich wird zwar ein
Jeder, auch bey geringen Maas von Scharfſinn, leicht
begreiffen, daß ohnmoͤglich alles dasienige, was in dem
auſſergeſellſchaftlichen Zuſtande der Menſchen natuͤrlichen

Rechtens
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[119/0139] de Iuſtitia et Iure. uns die Rechte und vollkommenen Pflichten der Men- ſchen, welche das Ius naturae cogens in ſich begreift, vorſtellen, ſo folgen dieſelben entweder ſchon aus der menſchlichen Natur an ſich, ohne Vorausſetzung gewiſ- ſer Handlungen, oder ſie ſetzen gewiſſe Handlungen vor- aus, welche den naͤchſten Grund jener Rechte und Ver- bindlichkeiten enthalten. Erſtere heiſſen abſolute, ur- ſpruͤngliche, oder angebohrne Rechte und Ver- bindlichkeiten, und der Inbegrif derſelben macht das Ius naturae abſolutum aus; letztere aber werden hypothe- tiſche, und der Inbegrif derſelben Ius naturae hypo- theticum genennt. Die Hypotheſe, wodurch Rechte und Verbindlichkeiten der letztern Art determinirt werden, iſt entweder eine gemeinſchaftliche Verbindung, in welche Menſchen mit einander getreten; oder ein anderes Fac- tum, welches die Menſchen nicht in gewiſſe Geſellſchaf- ten verbindet, z. B. Vertrag oder Beleidigung. Jener Theil des hypothetiſchen Naturrechts heißt das geſell- ſchaftliche Recht (ius naturale hypotheticum ſociale). Der letztere Theil aber iſt das auſſergeſellſchaftliche Naturrecht. Beyde Theile des natuͤrlichen Rechts haben wieder ihre verſchiedenen Eintheilungen, die ich aber aus dem Hoͤpfneriſchen Naturrecht §. 35 u. 36. bey meinen Leſern als bekannt vorausſetzen kann. §. 17. Guͤltigkeit des Naturrechts im buͤrgerlichen Staate. Es iſt wohl keine Frage weniger beſtritten, als die, ob das Naturrecht auch in der buͤrgerli- chen Geſellſchaft gelte? Freylich wird zwar ein Jeder, auch bey geringen Maas von Scharfſinn, leicht begreiffen, daß ohnmoͤglich alles dasienige, was in dem auſſergeſellſchaftlichen Zuſtande der Menſchen natuͤrlichen Rechtens H 4

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/139>, abgerufen am 16.04.2024.