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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Was von jenen Theilen dergestalt herangebracht
wird, daß es ins Gesicht fällt, ist entweder kleiner
oder größer als die Theile des Gesichts, oder ihnen völlig
gleich. Das Gleiche wird nicht empfunden, deßhalb
wir es durchsichtig nennen. Durch das Kleine hingegen
wird das Gesicht gesammelt, durch das Größere entbun-
den, und beyde sind mit dem Warmen und Kalten das
auf die Haut, mit dem Sauern das auf die Zunge
wirkt, mit dem Hitzigen das wir auch bitter nennen,
verschwistert.

Durch Schwarz und Weiß entstehen eben solche Wir-
kungen, aber als Erscheinungen für einen andern Sinn,
jedoch aus denselben Ursachen. Daher läßt sich behaupten:
durch das Weiße werde das Gesicht entbunden, durch
das Schwarze hingegen gesammelt.

Ein lebhafter Trieb aber und eine Art andern
Feuers dringt von innen gegen die Augen und entbindet
gleichfalls das Gesicht, und indem er die Gänge der
Augäpfel mit Gewalt durchdringt und schmelzt, wird
ein feuriges Wasser häufig vergossen, das wir Thräne
heißen. Jener Trieb aber ist ein Feuer das dem äußern
begegnet.

Wenn nun das innere Feuer herausstürzt wie ein
Blitzstrahl, indem das äußre eindringt und in der Feuch-
tigkeit verlischt, werden wir durch die bey solcher gegen-
seitigen Wirkung entstandenen Farben geblendet, und
dasjenige, wovon sich die Wirkung herschreibt, nennen
wir leuchtend oder glänzend.

Eine mittlere Art Feuer hingegen, die zu der Augen-
feuchte gelangt und sich damit verbindet, bringt zwar

Was von jenen Theilen dergeſtalt herangebracht
wird, daß es ins Geſicht faͤllt, iſt entweder kleiner
oder groͤßer als die Theile des Geſichts, oder ihnen voͤllig
gleich. Das Gleiche wird nicht empfunden, deßhalb
wir es durchſichtig nennen. Durch das Kleine hingegen
wird das Geſicht geſammelt, durch das Groͤßere entbun-
den, und beyde ſind mit dem Warmen und Kalten das
auf die Haut, mit dem Sauern das auf die Zunge
wirkt, mit dem Hitzigen das wir auch bitter nennen,
verſchwiſtert.

Durch Schwarz und Weiß entſtehen eben ſolche Wir-
kungen, aber als Erſcheinungen fuͤr einen andern Sinn,
jedoch aus denſelben Urſachen. Daher laͤßt ſich behaupten:
durch das Weiße werde das Geſicht entbunden, durch
das Schwarze hingegen geſammelt.

Ein lebhafter Trieb aber und eine Art andern
Feuers dringt von innen gegen die Augen und entbindet
gleichfalls das Geſicht, und indem er die Gaͤnge der
Augaͤpfel mit Gewalt durchdringt und ſchmelzt, wird
ein feuriges Waſſer haͤufig vergoſſen, das wir Thraͤne
heißen. Jener Trieb aber iſt ein Feuer das dem aͤußern
begegnet.

Wenn nun das innere Feuer herausſtuͤrzt wie ein
Blitzſtrahl, indem das aͤußre eindringt und in der Feuch-
tigkeit verliſcht, werden wir durch die bey ſolcher gegen-
ſeitigen Wirkung entſtandenen Farben geblendet, und
dasjenige, wovon ſich die Wirkung herſchreibt, nennen
wir leuchtend oder glaͤnzend.

Eine mittlere Art Feuer hingegen, die zu der Augen-
feuchte gelangt und ſich damit verbindet, bringt zwar

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[9/0043] Was von jenen Theilen dergeſtalt herangebracht wird, daß es ins Geſicht faͤllt, iſt entweder kleiner oder groͤßer als die Theile des Geſichts, oder ihnen voͤllig gleich. Das Gleiche wird nicht empfunden, deßhalb wir es durchſichtig nennen. Durch das Kleine hingegen wird das Geſicht geſammelt, durch das Groͤßere entbun- den, und beyde ſind mit dem Warmen und Kalten das auf die Haut, mit dem Sauern das auf die Zunge wirkt, mit dem Hitzigen das wir auch bitter nennen, verſchwiſtert. Durch Schwarz und Weiß entſtehen eben ſolche Wir- kungen, aber als Erſcheinungen fuͤr einen andern Sinn, jedoch aus denſelben Urſachen. Daher laͤßt ſich behaupten: durch das Weiße werde das Geſicht entbunden, durch das Schwarze hingegen geſammelt. Ein lebhafter Trieb aber und eine Art andern Feuers dringt von innen gegen die Augen und entbindet gleichfalls das Geſicht, und indem er die Gaͤnge der Augaͤpfel mit Gewalt durchdringt und ſchmelzt, wird ein feuriges Waſſer haͤufig vergoſſen, das wir Thraͤne heißen. Jener Trieb aber iſt ein Feuer das dem aͤußern begegnet. Wenn nun das innere Feuer herausſtuͤrzt wie ein Blitzſtrahl, indem das aͤußre eindringt und in der Feuch- tigkeit verliſcht, werden wir durch die bey ſolcher gegen- ſeitigen Wirkung entſtandenen Farben geblendet, und dasjenige, wovon ſich die Wirkung herſchreibt, nennen wir leuchtend oder glaͤnzend. Eine mittlere Art Feuer hingegen, die zu der Augen- feuchte gelangt und ſich damit verbindet, bringt zwar

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/43>, abgerufen am 16.04.2024.