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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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uns verdächtig zu machen wußten. Ich erin¬
nere mich eines durchreisenden Franzosen, der
sich nach den Maximen und Gesinnungen des
Mannes erkundigte, welcher einen so unge¬
heueren Zulauf hatte. Als wir ihm den nö¬
thigen Bericht gegeben, schüttelte er den Kopf
und sagte lächelnd: Laissez le faire, il nous
forme des dupes
.

Und so wußte denn auch die gute Gesell¬
schaft, die nicht leicht etwas Würdiges in ih¬
rer Nähe dulden kann, den sittlichen Einfluß,
welchen Gellert auf uns haben mochte, gele¬
gentlich zu verkümmern. Bald wurde es ihm
übel genommen, daß er die vornehmen und
reichen Dänen, die ihm besonders empfohlen
waren, besser als die übrigen Studirenden
unterrichte und eine ausgezeichnete Sorge für
sie trage; bald wurde es ihm als Eigennutz
und Nepotismus angerechnet, daß er eben
für diese jungen Männer einen Mittagstisch
bey seinem Bruder einrichten lassen. Dieser,

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uns verdaͤchtig zu machen wußten. Ich erin¬
nere mich eines durchreiſenden Franzoſen, der
ſich nach den Maximen und Geſinnungen des
Mannes erkundigte, welcher einen ſo unge¬
heueren Zulauf hatte. Als wir ihm den noͤ¬
thigen Bericht gegeben, ſchuͤttelte er den Kopf
und ſagte laͤchelnd: Laissez le faire, il nous
forme des dupes
.

Und ſo wußte denn auch die gute Geſell¬
ſchaft, die nicht leicht etwas Wuͤrdiges in ih¬
rer Naͤhe dulden kann, den ſittlichen Einfluß,
welchen Gellert auf uns haben mochte, gele¬
gentlich zu verkuͤmmern. Bald wurde es ihm
uͤbel genommen, daß er die vornehmen und
reichen Daͤnen, die ihm beſonders empfohlen
waren, beſſer als die uͤbrigen Studirenden
unterrichte und eine ausgezeichnete Sorge fuͤr
ſie trage; bald wurde es ihm als Eigennutz
und Nepotismus angerechnet, daß er eben
fuͤr dieſe jungen Maͤnner einen Mittagstiſch
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[195/0203] uns verdaͤchtig zu machen wußten. Ich erin¬ nere mich eines durchreiſenden Franzoſen, der ſich nach den Maximen und Geſinnungen des Mannes erkundigte, welcher einen ſo unge¬ heueren Zulauf hatte. Als wir ihm den noͤ¬ thigen Bericht gegeben, ſchuͤttelte er den Kopf und ſagte laͤchelnd: Laissez le faire, il nous forme des dupes. Und ſo wußte denn auch die gute Geſell¬ ſchaft, die nicht leicht etwas Wuͤrdiges in ih¬ rer Naͤhe dulden kann, den ſittlichen Einfluß, welchen Gellert auf uns haben mochte, gele¬ gentlich zu verkuͤmmern. Bald wurde es ihm uͤbel genommen, daß er die vornehmen und reichen Daͤnen, die ihm beſonders empfohlen waren, beſſer als die uͤbrigen Studirenden unterrichte und eine ausgezeichnete Sorge fuͤr ſie trage; bald wurde es ihm als Eigennutz und Nepotismus angerechnet, daß er eben fuͤr dieſe jungen Maͤnner einen Mittagstiſch bey ſeinem Bruder einrichten laſſen. Dieſer, 13 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/203>, abgerufen am 24.04.2024.