Philine wußte sich nun täglich besser bey den Damen einzuschmeicheln. Wenn sie zusam¬ men allein waren, leitete sie meistentheils das Gespräch auf die Männer, die kamen und gingen, und Wilhelm war nicht der letzte, mit dem man sich beschäftigte. Dem klugen Mäd¬ chen blieb es nicht verborgen, daß er einen tiefen Eindruck auf das Herz der Gräfin ge¬ macht habe; sie erzählte daher von ihm was sie wußte und nicht wußte; hütete sich aber irgend etwas vorzubringen, das man zu sei¬ nem Nachtheil hätte deuten können, und rühmte dagegen seinen Edelmuth, seine Frey¬ gebigkeit und besonders seine Sittsamkeit im Betragen gegen das weibliche Geschlecht. Alle übrigen Fragen, die an sie geschahen, be¬
Zehntes Capitel.
Philine wußte ſich nun täglich beſſer bey den Damen einzuſchmeicheln. Wenn ſie zuſam¬ men allein waren, leitete ſie meiſtentheils das Geſpräch auf die Männer, die kamen und gingen, und Wilhelm war nicht der letzte, mit dem man ſich beſchäftigte. Dem klugen Mäd¬ chen blieb es nicht verborgen, daß er einen tiefen Eindruck auf das Herz der Gräfin ge¬ macht habe; ſie erzählte daher von ihm was ſie wußte und nicht wußte; hütete ſich aber irgend etwas vorzubringen, das man zu ſei¬ nem Nachtheil hätte deuten können, und rühmte dagegen ſeinen Edelmuth, ſeine Frey¬ gebigkeit und beſonders ſeine Sittſamkeit im Betragen gegen das weibliche Geſchlecht. Alle übrigen Fragen, die an ſie geſchahen, be¬
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Zehntes Capitel.
Philine wußte ſich nun täglich beſſer bey den
Damen einzuſchmeicheln. Wenn ſie zuſam¬
men allein waren, leitete ſie meiſtentheils das
Geſpräch auf die Männer, die kamen und
gingen, und Wilhelm war nicht der letzte, mit
dem man ſich beſchäftigte. Dem klugen Mäd¬
chen blieb es nicht verborgen, daß er einen
tiefen Eindruck auf das Herz der Gräfin ge¬
macht habe; ſie erzählte daher von ihm was
ſie wußte und nicht wußte; hütete ſich aber
irgend etwas vorzubringen, das man zu ſei¬
nem Nachtheil hätte deuten können, und
rühmte dagegen ſeinen Edelmuth, ſeine Frey¬
gebigkeit und beſonders ſeine Sittſamkeit im
Betragen gegen das weibliche Geſchlecht.
Alle übrigen Fragen, die an ſie geſchahen, be¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/128>, abgerufen am 24.04.2024.
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