Eduard fand sich allein auf seinem Zim¬ mer, und wirklich hatte die Wiederhohlung seiner Lebensschicksale aus dem Munde Char¬ lottens, die Vergegenwärtigung ihres beyder¬ seitigen Zustandes, ihrer Vorsätze, sein leb¬ haftes Gemüth angenehm aufgeregt. Er hatte sich in ihrer Nähe, in ihrer Gesellschaft so glücklich gefühlt, daß er sich einen freund¬ lichen, theilnehmenden, aber ruhigen und auf nichts hindeutenden Brief an den Hauptmann ausdachte. Als er aber zum Schreibtisch ging und den Brief des Freundes aufnahm, um ihn nochmals durchzulesen, trat ihm sogleich wieder der traurige Zustand des trefflichen Mannes entgegen; alle Empfindungen, die ihn
Zweytes Kapitel.
Eduard fand ſich allein auf ſeinem Zim¬ mer, und wirklich hatte die Wiederhohlung ſeiner Lebensſchickſale aus dem Munde Char¬ lottens, die Vergegenwaͤrtigung ihres beyder¬ ſeitigen Zuſtandes, ihrer Vorſaͤtze, ſein leb¬ haftes Gemuͤth angenehm aufgeregt. Er hatte ſich in ihrer Naͤhe, in ihrer Geſellſchaft ſo gluͤcklich gefuͤhlt, daß er ſich einen freund¬ lichen, theilnehmenden, aber ruhigen und auf nichts hindeutenden Brief an den Hauptmann ausdachte. Als er aber zum Schreibtiſch ging und den Brief des Freundes aufnahm, um ihn nochmals durchzuleſen, trat ihm ſogleich wieder der traurige Zuſtand des trefflichen Mannes entgegen; alle Empfindungen, die ihn
<TEI><text><body><pbfacs="#f0026"/><divn="1"><head><hirendition="#g">Zweytes Kapitel</hi>.<lb/></head><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Eduard fand ſich allein auf ſeinem Zim¬<lb/>
mer, und wirklich hatte die Wiederhohlung<lb/>ſeiner Lebensſchickſale aus dem Munde Char¬<lb/>
lottens, die Vergegenwaͤrtigung ihres beyder¬<lb/>ſeitigen Zuſtandes, ihrer Vorſaͤtze, ſein leb¬<lb/>
haftes Gemuͤth angenehm aufgeregt. Er hatte<lb/>ſich in ihrer Naͤhe, in ihrer Geſellſchaft ſo<lb/>
gluͤcklich gefuͤhlt, daß er ſich einen freund¬<lb/>
lichen, theilnehmenden, aber ruhigen und auf<lb/>
nichts hindeutenden Brief an den Hauptmann<lb/>
ausdachte. Als er aber zum Schreibtiſch ging<lb/>
und den Brief des Freundes aufnahm, um<lb/>
ihn nochmals durchzuleſen, trat ihm ſogleich<lb/>
wieder der traurige Zuſtand des trefflichen<lb/>
Mannes entgegen; alle Empfindungen, die ihn<lb/></p></div></body></text></TEI>
[0026]
Zweytes Kapitel.
Eduard fand ſich allein auf ſeinem Zim¬
mer, und wirklich hatte die Wiederhohlung
ſeiner Lebensſchickſale aus dem Munde Char¬
lottens, die Vergegenwaͤrtigung ihres beyder¬
ſeitigen Zuſtandes, ihrer Vorſaͤtze, ſein leb¬
haftes Gemuͤth angenehm aufgeregt. Er hatte
ſich in ihrer Naͤhe, in ihrer Geſellſchaft ſo
gluͤcklich gefuͤhlt, daß er ſich einen freund¬
lichen, theilnehmenden, aber ruhigen und auf
nichts hindeutenden Brief an den Hauptmann
ausdachte. Als er aber zum Schreibtiſch ging
und den Brief des Freundes aufnahm, um
ihn nochmals durchzuleſen, trat ihm ſogleich
wieder der traurige Zuſtand des trefflichen
Mannes entgegen; alle Empfindungen, die ihn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/26>, abgerufen am 29.03.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.