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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von poetischen Worten.

Doch sind die gemeinen Wörter auch nicht gantz zu ver-
werfen. Jn gewissen Gattungen der Gedichte, wo das Na-
türliche mehr herrschen muß, würde es ein Ubelstand seyn,
lauter gesuchte Ausdrückungen zu brauchen. Z. E. Jn ei-
nem Schäfergedichte, Briefe, zärtlichen oder lustigen Liebes-
liede, imgleichen in einer Satire oder Comödie, sind die ge-
wöhnlichsten Wörter gemeiniglich die besten. Die Ursa-
chen davon werden in den besondern Regeln von diesen Gat-
tungen vorkommen. Sogar die gantz niederträchtigen und
pöbelhafften Worte können einem Poeten nicht gantz verbo-
ten werden, wenn sie nur nicht wieder die Erbarkeit laufen.
Er muß ja zuweilen dergleichen Personen redend einführen,
die gewiß auf keine andere Art ihre Gedancken von sich ge-
ben können. Der berühmte Spanier, Cervantes, hat die-
ses sehr wohl beobachtet, wenn er seinen Sansche Pansa als
einen Bauerkerl gantz abgeschmackt, und in lauter bäuri-
schen Sprichwörtern reden läst. Und man könnte es daher
in Zieglers Banise mit Recht tadeln, daß Scandor gemei-
niglich eben so edel als der Printz Balacin redend eingeführet
wird. Alle Wörter aber, die Unflätereyen bedeuten, alles
was wieder den Wohlstand läuft, alles was guten Sitten
zuwieder ist, muß der Poet auch bey den allerniedrigsten Aus-
drückungen zu vermeiden wissen, wie in den Anmerckungen
zur Dichtkunst Horatii schon erwiesen worden.

Von fremden Wörtern.

UNter die üblichen Wörter möchte mancher auch wohl die
Ausländischen, sonderlich Lateinischen und Französischen
rechnen wollen: weil nehmlich nichts gewöhnlicher ist, als
dieselben mit in unsre Sprache zu mischen, wenn wir reden.
Dieses Ubel ist auch so neu nicht, als man wohl dencken sollte;
sondern schon vor hundert und mehr Jahren hat sich Opitz in
seiner deutschen Poeterey darüber beschweret. So steht es
auch zum hefftigsten unsauber, schreibt er, wenn allerley latei-
nische, französische, spanische und welsche Wörter in den
Text unserer Rede geflickt werden; als wenn ich wollte sagen:

Nehmt
Von poetiſchen Worten.

Doch ſind die gemeinen Woͤrter auch nicht gantz zu ver-
werfen. Jn gewiſſen Gattungen der Gedichte, wo das Na-
tuͤrliche mehr herrſchen muß, wuͤrde es ein Ubelſtand ſeyn,
lauter geſuchte Ausdruͤckungen zu brauchen. Z. E. Jn ei-
nem Schaͤfergedichte, Briefe, zaͤrtlichen oder luſtigen Liebes-
liede, imgleichen in einer Satire oder Comoͤdie, ſind die ge-
woͤhnlichſten Woͤrter gemeiniglich die beſten. Die Urſa-
chen davon werden in den beſondern Regeln von dieſen Gat-
tungen vorkommen. Sogar die gantz niedertraͤchtigen und
poͤbelhafften Worte koͤnnen einem Poeten nicht gantz verbo-
ten werden, wenn ſie nur nicht wieder die Erbarkeit laufen.
Er muß ja zuweilen dergleichen Perſonen redend einfuͤhren,
die gewiß auf keine andere Art ihre Gedancken von ſich ge-
ben koͤnnen. Der beruͤhmte Spanier, Cervantes, hat die-
ſes ſehr wohl beobachtet, wenn er ſeinen Sanſche Panſa als
einen Bauerkerl gantz abgeſchmackt, und in lauter baͤuri-
ſchen Sprichwoͤrtern reden laͤſt. Und man koͤnnte es daher
in Zieglers Baniſe mit Recht tadeln, daß Scandor gemei-
niglich eben ſo edel als der Printz Balacin redend eingefuͤhret
wird. Alle Woͤrter aber, die Unflaͤtereyen bedeuten, alles
was wieder den Wohlſtand laͤuft, alles was guten Sitten
zuwieder iſt, muß der Poet auch bey den allerniedrigſten Aus-
druͤckungen zu vermeiden wiſſen, wie in den Anmerckungen
zur Dichtkunſt Horatii ſchon erwieſen worden.

Von fremden Woͤrtern.

UNter die uͤblichen Woͤrter moͤchte mancher auch wohl die
Auslaͤndiſchen, ſonderlich Lateiniſchen und Franzoͤſiſchen
rechnen wollen: weil nehmlich nichts gewoͤhnlicher iſt, als
dieſelben mit in unſre Sprache zu miſchen, wenn wir reden.
Dieſes Ubel iſt auch ſo neu nicht, als man wohl dencken ſollte;
ſondern ſchon vor hundert und mehr Jahren hat ſich Opitz in
ſeiner deutſchen Poeterey daruͤber beſchweret. So ſteht es
auch zum hefftigſten unſauber, ſchreibt er, wenn allerley latei-
niſche, franzoͤſiſche, ſpaniſche und welſche Woͤrter in den
Text unſerer Rede geflickt werden; als wenn ich wollte ſagen:

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[191/0219] Von poetiſchen Worten. Doch ſind die gemeinen Woͤrter auch nicht gantz zu ver- werfen. Jn gewiſſen Gattungen der Gedichte, wo das Na- tuͤrliche mehr herrſchen muß, wuͤrde es ein Ubelſtand ſeyn, lauter geſuchte Ausdruͤckungen zu brauchen. Z. E. Jn ei- nem Schaͤfergedichte, Briefe, zaͤrtlichen oder luſtigen Liebes- liede, imgleichen in einer Satire oder Comoͤdie, ſind die ge- woͤhnlichſten Woͤrter gemeiniglich die beſten. Die Urſa- chen davon werden in den beſondern Regeln von dieſen Gat- tungen vorkommen. Sogar die gantz niedertraͤchtigen und poͤbelhafften Worte koͤnnen einem Poeten nicht gantz verbo- ten werden, wenn ſie nur nicht wieder die Erbarkeit laufen. Er muß ja zuweilen dergleichen Perſonen redend einfuͤhren, die gewiß auf keine andere Art ihre Gedancken von ſich ge- ben koͤnnen. Der beruͤhmte Spanier, Cervantes, hat die- ſes ſehr wohl beobachtet, wenn er ſeinen Sanſche Panſa als einen Bauerkerl gantz abgeſchmackt, und in lauter baͤuri- ſchen Sprichwoͤrtern reden laͤſt. Und man koͤnnte es daher in Zieglers Baniſe mit Recht tadeln, daß Scandor gemei- niglich eben ſo edel als der Printz Balacin redend eingefuͤhret wird. Alle Woͤrter aber, die Unflaͤtereyen bedeuten, alles was wieder den Wohlſtand laͤuft, alles was guten Sitten zuwieder iſt, muß der Poet auch bey den allerniedrigſten Aus- druͤckungen zu vermeiden wiſſen, wie in den Anmerckungen zur Dichtkunſt Horatii ſchon erwieſen worden. Von fremden Woͤrtern. UNter die uͤblichen Woͤrter moͤchte mancher auch wohl die Auslaͤndiſchen, ſonderlich Lateiniſchen und Franzoͤſiſchen rechnen wollen: weil nehmlich nichts gewoͤhnlicher iſt, als dieſelben mit in unſre Sprache zu miſchen, wenn wir reden. Dieſes Ubel iſt auch ſo neu nicht, als man wohl dencken ſollte; ſondern ſchon vor hundert und mehr Jahren hat ſich Opitz in ſeiner deutſchen Poeterey daruͤber beſchweret. So ſteht es auch zum hefftigſten unſauber, ſchreibt er, wenn allerley latei- niſche, franzoͤſiſche, ſpaniſche und welſche Woͤrter in den Text unſerer Rede geflickt werden; als wenn ich wollte ſagen: Nehmt

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/219>, abgerufen am 28.03.2024.