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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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eine Kerze hat man in säulenartiger Gestalt. Die ans einem sechseckigen Sockel
ruhende Basis ist ans kräftigen Blättern, Knospen, Blüthen compact gebildet,
und steht mit einer zweiten, wenig höhern Gruppe überhängender Blätter in
Verbindung, deren zartere Ranken am runden Säulenschäfte emporsteigen.
Das Capital besteht ebenfalls in herabhangenden Blätter- und Blüthengeschlinge.
Endlich muß ich eines mehrarmigen Leuchters von besonders reizender Arbeit ge¬
denken. Drei große Blätter, von einigen kleineren umspielt, bilden den Fuß und
werfen Ranken am Stamm empor, der sich zu Blättern und Knospen leicht und
frei ausbreitet, dann in vier Arme ausstrahlt, von denen Blätterschmuck und
Glockenblumen herabhängen. Die vier größten Blüthen richten ihre Kelche em¬
por und werden zu Kerzenträgern. In der Mitte setzt der Stamm seine verti-
cale Richtung fort und endet in einer Glockenblume als fünften Kerzenträger.

Hiermit beende ich meine diesmalige Excursion in das Gebiet der ornamen¬
talen Technik, und füge nnr schließlich den .Wunsch hinzu, daß die trefflichen
Arbeiten unsrer deutschen Goldschmiede und Juweliere überall Anerkennung finden
mögen, wo es die Verhältnisse gestatten, diesen Aufsatz nicht allein zu lesen, son¬
dern auch nach seinem Recepte sich mit Schmuck und Eleganz zu umgeben.




Wochenv erlebt.

Gestern folgte Ihr Correspondent der Einladung einer liebens¬
würdigen Engländerin und einer noch liebenswürdigem Germanin, die den reizendsten
Lockenkopf und die geistreichsten blauen Augen hat, die je ein deutsches Gemüth wieder-
spicgelten, und ließ sich in's Gymnasetheater führen. Die Damen wollten nicht erst
Theatertoilette machen, und wir nahmen daher eine Art Parterreloge, eine sogenannte
Baiguoire, zu deutsch Badewanne. Der viereckige Ausschnitt dieser längs dem Parterre
angebrachten Logen giebt der Scene das Aussehen eines eingerahmten Bildes, man
ist vom Publicum ganz ignorirt, und sieht davon Nichts, als die Köpfe der unver¬
meidlichen Claque und die zum bezahlten Beifalle erhobenen Hände. Man gab, wie
in jedem Boulevard-Theater und an jedem Abende, ein halb Dutzend Vaudevilles, und
diese ganz unpolitische, nicht einmal aus dramatischen Neuigkeiten zusammengesetzte
Vorstellung siel mir diesmal sehr unangenehm auf, sie erschien mir wie ein Schlüssel
zur Erklärung unsrer gegenwärtigen Zustände. Diese systematische, vom ganzen Pu¬
blicum goutirte und applaudirte Gemeinheit der Anschauung macht das Gelingen der
politischen Farce, die jetzt in Frankreich aufgeführt wird, begreiflich. Die ordinairste
Habsucht, der Ehrgeiz nach einer Stelle, die Liebe zum materiellen Wohlleben, das sind
die Cardinaltugenden jedes Helden dieser drei Stücke. Eine stehende Variation von Mo-
livre's Georges Daudin giebt den Stücken noch das rechte Relief, und wenn man den
ungetheilten vom Herzen kommenden Beifall sieht, den das ganze Theater in allen Zungen,
diesen schmuzigen, gemeinen Abscheulichsten zollt, muß man sich wundern, daß Louis


Grenzboten. I. 60

eine Kerze hat man in säulenartiger Gestalt. Die ans einem sechseckigen Sockel
ruhende Basis ist ans kräftigen Blättern, Knospen, Blüthen compact gebildet,
und steht mit einer zweiten, wenig höhern Gruppe überhängender Blätter in
Verbindung, deren zartere Ranken am runden Säulenschäfte emporsteigen.
Das Capital besteht ebenfalls in herabhangenden Blätter- und Blüthengeschlinge.
Endlich muß ich eines mehrarmigen Leuchters von besonders reizender Arbeit ge¬
denken. Drei große Blätter, von einigen kleineren umspielt, bilden den Fuß und
werfen Ranken am Stamm empor, der sich zu Blättern und Knospen leicht und
frei ausbreitet, dann in vier Arme ausstrahlt, von denen Blätterschmuck und
Glockenblumen herabhängen. Die vier größten Blüthen richten ihre Kelche em¬
por und werden zu Kerzenträgern. In der Mitte setzt der Stamm seine verti-
cale Richtung fort und endet in einer Glockenblume als fünften Kerzenträger.

Hiermit beende ich meine diesmalige Excursion in das Gebiet der ornamen¬
talen Technik, und füge nnr schließlich den .Wunsch hinzu, daß die trefflichen
Arbeiten unsrer deutschen Goldschmiede und Juweliere überall Anerkennung finden
mögen, wo es die Verhältnisse gestatten, diesen Aufsatz nicht allein zu lesen, son¬
dern auch nach seinem Recepte sich mit Schmuck und Eleganz zu umgeben.




Wochenv erlebt.

Gestern folgte Ihr Correspondent der Einladung einer liebens¬
würdigen Engländerin und einer noch liebenswürdigem Germanin, die den reizendsten
Lockenkopf und die geistreichsten blauen Augen hat, die je ein deutsches Gemüth wieder-
spicgelten, und ließ sich in's Gymnasetheater führen. Die Damen wollten nicht erst
Theatertoilette machen, und wir nahmen daher eine Art Parterreloge, eine sogenannte
Baiguoire, zu deutsch Badewanne. Der viereckige Ausschnitt dieser längs dem Parterre
angebrachten Logen giebt der Scene das Aussehen eines eingerahmten Bildes, man
ist vom Publicum ganz ignorirt, und sieht davon Nichts, als die Köpfe der unver¬
meidlichen Claque und die zum bezahlten Beifalle erhobenen Hände. Man gab, wie
in jedem Boulevard-Theater und an jedem Abende, ein halb Dutzend Vaudevilles, und
diese ganz unpolitische, nicht einmal aus dramatischen Neuigkeiten zusammengesetzte
Vorstellung siel mir diesmal sehr unangenehm auf, sie erschien mir wie ein Schlüssel
zur Erklärung unsrer gegenwärtigen Zustände. Diese systematische, vom ganzen Pu¬
blicum goutirte und applaudirte Gemeinheit der Anschauung macht das Gelingen der
politischen Farce, die jetzt in Frankreich aufgeführt wird, begreiflich. Die ordinairste
Habsucht, der Ehrgeiz nach einer Stelle, die Liebe zum materiellen Wohlleben, das sind
die Cardinaltugenden jedes Helden dieser drei Stücke. Eine stehende Variation von Mo-
livre's Georges Daudin giebt den Stücken noch das rechte Relief, und wenn man den
ungetheilten vom Herzen kommenden Beifall sieht, den das ganze Theater in allen Zungen,
diesen schmuzigen, gemeinen Abscheulichsten zollt, muß man sich wundern, daß Louis


Grenzboten. I. 60
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/403>, abgerufen am 25.04.2024.