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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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ruhig prüfendem Auge, so wird man nicht Wenistts finden, wobei der Vater¬
landsfreund mit Stolz verweilen kann. Wir erinnern nur an die Maßregeln,
welche die Gleichheit aller Staatsangehörigen vor dem Gesetze herstellten,
an die Öffentlichkeit in der Staats- und Gemeindeverwaltung, an die gerech¬
tere Besteuerung, an die Befreiung des Grundes und Bodens von den Feu-
da"after und an die hierdurch sowie durch anderweite Ablösungsgesetze erfolgte
Hebung des Bauernstandes. Wir glauben, daß dieser Stand vor allen andern
den constitutionellen Verfassungen Dank schuldig ist. Die Landesfürsten haben
einen Theil ihrer Souveränetät eingebüßt. Der Adel ist desjenigen, was ihm
der Lauf der Geschichte noch an Glanz und Vorrechten gelassen hatte, etwa
mit Ausnahme der Hofämter und ähnlicher unwesentlicher Dinge, verlustig
gegangen. Der Kern des Volkes endlich, der Bürgerstand, hatte in den mei¬
sten deutschen Ländern schon geraume Zeit vor dem Umschwung der dreißiger
Jahre sich eine gewisse Stellung erworben und genoß in der Selbständigkeit
der städtischen Gemeinden schon mehr oder weniger politische Rechte. Der
Bauernstand dagegen wurde durch jenen Umschwung auf eine wesentlich an¬
dere Stufe gehoben, und die Folgen sind im hohen Grad segensreich gewesen:
er ist seitdem an Bildung und Wohlstand so mächtig vorgeschritten, daß jetzt
schon ein großer Theil davon dem Bürgerstande ebenbürtig dasteht. Selbst
die vom Urvater aus den Enkel vererbte Scholle ist ebenso gut Gegenstand
der Speculation und des Handels geworden, wie das Haus in der ver¬
kehrsreichen Stadt, so daß mit dem Namen "Bauer", welcher schon jetzt bei
größeren Begüterten nicht mehr in Anwendung kommt, auch die Klasse, die
ihn trägt, in den Bürgerstand aufgehen wird, ein Proceß, der sich um so
schneller vollziehen dürfte, als die Gewerbefreiheit den politischen Unterschied
zwischen Stadt- und Landgemeinde fast ganz aufheben muß. Wir könnten
der Wohlthaten, welche die modernen Staatsverfassungen geschaffen, noch
viele andere aufzählen. Es ist indeß nicht nöthig, wenigstens, wie uns dünkt,
nicht so nöthig, als der Versuch, einmal auch auf die Schattenseiten derselben
aufmerksam zu machen.

Diese Schattenseiten haben ihren Ursprung jedenfalls darin, daß die
französischen Charten den meisten deutschen Verfassungsurkunden mehr oder
weniger als Muster gedient haben. Man sieht ihnen vielfach an, daß sie
nicht auf historischem Boden erwachsen sind. Sie sind nicht unmittelbar
aus dem Volke herausgeboren, sondern zum guten Theil Erzeugnisse ab-
stracter Berechnungen. Das Gute an ihnen ist lediglich germanischen Ursprungs,
wenn auch zum Theil in zweiter Hand aus England, dem Vorbilde sür die
französischen Charten, gekommen. Wir finden diese Schattenseiten namentlich
in der ungemessenen Vermehrung der Staatsgewalt, aus welcher wiederum
der Finanzcoloß, die Vielregiererei und Vielschreibern, verbunden mit der


ruhig prüfendem Auge, so wird man nicht Wenistts finden, wobei der Vater¬
landsfreund mit Stolz verweilen kann. Wir erinnern nur an die Maßregeln,
welche die Gleichheit aller Staatsangehörigen vor dem Gesetze herstellten,
an die Öffentlichkeit in der Staats- und Gemeindeverwaltung, an die gerech¬
tere Besteuerung, an die Befreiung des Grundes und Bodens von den Feu-
da»after und an die hierdurch sowie durch anderweite Ablösungsgesetze erfolgte
Hebung des Bauernstandes. Wir glauben, daß dieser Stand vor allen andern
den constitutionellen Verfassungen Dank schuldig ist. Die Landesfürsten haben
einen Theil ihrer Souveränetät eingebüßt. Der Adel ist desjenigen, was ihm
der Lauf der Geschichte noch an Glanz und Vorrechten gelassen hatte, etwa
mit Ausnahme der Hofämter und ähnlicher unwesentlicher Dinge, verlustig
gegangen. Der Kern des Volkes endlich, der Bürgerstand, hatte in den mei¬
sten deutschen Ländern schon geraume Zeit vor dem Umschwung der dreißiger
Jahre sich eine gewisse Stellung erworben und genoß in der Selbständigkeit
der städtischen Gemeinden schon mehr oder weniger politische Rechte. Der
Bauernstand dagegen wurde durch jenen Umschwung auf eine wesentlich an¬
dere Stufe gehoben, und die Folgen sind im hohen Grad segensreich gewesen:
er ist seitdem an Bildung und Wohlstand so mächtig vorgeschritten, daß jetzt
schon ein großer Theil davon dem Bürgerstande ebenbürtig dasteht. Selbst
die vom Urvater aus den Enkel vererbte Scholle ist ebenso gut Gegenstand
der Speculation und des Handels geworden, wie das Haus in der ver¬
kehrsreichen Stadt, so daß mit dem Namen „Bauer", welcher schon jetzt bei
größeren Begüterten nicht mehr in Anwendung kommt, auch die Klasse, die
ihn trägt, in den Bürgerstand aufgehen wird, ein Proceß, der sich um so
schneller vollziehen dürfte, als die Gewerbefreiheit den politischen Unterschied
zwischen Stadt- und Landgemeinde fast ganz aufheben muß. Wir könnten
der Wohlthaten, welche die modernen Staatsverfassungen geschaffen, noch
viele andere aufzählen. Es ist indeß nicht nöthig, wenigstens, wie uns dünkt,
nicht so nöthig, als der Versuch, einmal auch auf die Schattenseiten derselben
aufmerksam zu machen.

Diese Schattenseiten haben ihren Ursprung jedenfalls darin, daß die
französischen Charten den meisten deutschen Verfassungsurkunden mehr oder
weniger als Muster gedient haben. Man sieht ihnen vielfach an, daß sie
nicht auf historischem Boden erwachsen sind. Sie sind nicht unmittelbar
aus dem Volke herausgeboren, sondern zum guten Theil Erzeugnisse ab-
stracter Berechnungen. Das Gute an ihnen ist lediglich germanischen Ursprungs,
wenn auch zum Theil in zweiter Hand aus England, dem Vorbilde sür die
französischen Charten, gekommen. Wir finden diese Schattenseiten namentlich
in der ungemessenen Vermehrung der Staatsgewalt, aus welcher wiederum
der Finanzcoloß, die Vielregiererei und Vielschreibern, verbunden mit der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/78>, abgerufen am 19.04.2024.