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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Wesen vor jenem Unglück bewahrt, welches die Bewohner der Schleswig-hol-
steinischen Westküste durch die mächtigen Haffdeiche von sich und ihren fetten
Marschländern fernhalten. Wie hier, so besteht auch dort der Boden meist
bis auf weite Strecken landeinwärts aus schwammigem Alluvialschlamm, der
außerordentlich fruchtbar ist, aber dem Angriff heftiger Sturmfluthen bei seiner
weichen Beschaffenheit nur geringen Widerstand entgegensetzt. In der That,
dieses Marschland ist so nachgiebig, daß man an vielen Stellen noch drei bis
vier Meilen von der See einen eisernen Stab ohne Schwierigkeit zehn bis
Zwölf Fuß tief hineintreiben kann. Dazu kommt, daß dieser Landstrich von
zahlreichen vielgewundenen Bächen und Flüssen durchströmt wird, die sehr
bald ihre Betten durch Abspülung der Uferründer erweitern und die ganze
Gegend in einen ungeheuren Morast verwandeln würden, falls die Auster
nicht solchem Schaden entgegenarbeitete. Diese nämlich hat sich nicht nur
wie ein gewaltiger Masselbrecher zwischen das Meer und das Land gelagert,
sondern umsäumt auch die Mündungen der Flüsse und Bäche bis auf weite
Strecken hinauf und bis zur Höhe von zwölf bis achtzehn Fuß mit einer
Mauer von Millionen ihres Geschlechts. Die untern Schichten dieser Schutz-
Wälle sind natürlich ohne Leben, da die hier liegenden Austern ihre Schalen
nicht öffnen können, die obersten dagegen dienen den in diesen Marschen ar-
bettenden Negern bisweilen zu großartigen Schwelgereien. Die Fluth spült
Massen derselben in das Gras und Gestrüpp des Strandes. Während der
Ebbe aber eilt der schlaue Schwarze, dieses Gestrüpp in Brand zu stecken,
und dann findet er das weite Aschenfeld mit Tausenden gebratner Austern
bedeckt.

So leicht wird es den Bewohnern cisatlantischer Länder nicht gemacht.
Zu diesen kommt die Auster nicht, sondern sie müssen sie sich holen. Dieß
geschieht vermittelst eines Rechens, der von dem Boote des Austernschiffers
an einem Tau oder einer Kette aus den Meeresgrund Hinabgclassen und hinter
welchem ein Sack von Netzwerk, Leder oder Segeltuch hingeschleift wird.
Die auf diese Weise gewonnenen Austern werden sofort in Tonnen verpackt
und auf den Markt gebracht. Andere Austern kommen aus den sogenannten
Austernparks, in welche sie von den natürlichen Wohnstätten des Geschlechts
versetzt worden sind, und zwar sind diese die besten. Ein solcher Austernpark
ist ein künstlicher Teich oder ein Reservoir, welches durch Kanüle mit der
See in Verbindung steht. Mit Steinen ausgemauert, sind die Wasserbecken
so eingerichtet, daß Fluth und Ebbe darin wechseln wie im Meere. Zu ge¬
wissen Zeiten aber hält man das Wasser durch Schleußenthore auf mehre
Tage oder Wochen darin fest. Im letztern Fall werden die darin aufbewahrten
Austern sehr zart und fett, weil das stagnirende Wasser das Entstehen und
Wachsthum jener mikroskopischen Pflänzchen befördert, welche stets im Meer-


Grtnzbottn IV. 1L61. 58

Wesen vor jenem Unglück bewahrt, welches die Bewohner der Schleswig-hol-
steinischen Westküste durch die mächtigen Haffdeiche von sich und ihren fetten
Marschländern fernhalten. Wie hier, so besteht auch dort der Boden meist
bis auf weite Strecken landeinwärts aus schwammigem Alluvialschlamm, der
außerordentlich fruchtbar ist, aber dem Angriff heftiger Sturmfluthen bei seiner
weichen Beschaffenheit nur geringen Widerstand entgegensetzt. In der That,
dieses Marschland ist so nachgiebig, daß man an vielen Stellen noch drei bis
vier Meilen von der See einen eisernen Stab ohne Schwierigkeit zehn bis
Zwölf Fuß tief hineintreiben kann. Dazu kommt, daß dieser Landstrich von
zahlreichen vielgewundenen Bächen und Flüssen durchströmt wird, die sehr
bald ihre Betten durch Abspülung der Uferründer erweitern und die ganze
Gegend in einen ungeheuren Morast verwandeln würden, falls die Auster
nicht solchem Schaden entgegenarbeitete. Diese nämlich hat sich nicht nur
wie ein gewaltiger Masselbrecher zwischen das Meer und das Land gelagert,
sondern umsäumt auch die Mündungen der Flüsse und Bäche bis auf weite
Strecken hinauf und bis zur Höhe von zwölf bis achtzehn Fuß mit einer
Mauer von Millionen ihres Geschlechts. Die untern Schichten dieser Schutz-
Wälle sind natürlich ohne Leben, da die hier liegenden Austern ihre Schalen
nicht öffnen können, die obersten dagegen dienen den in diesen Marschen ar-
bettenden Negern bisweilen zu großartigen Schwelgereien. Die Fluth spült
Massen derselben in das Gras und Gestrüpp des Strandes. Während der
Ebbe aber eilt der schlaue Schwarze, dieses Gestrüpp in Brand zu stecken,
und dann findet er das weite Aschenfeld mit Tausenden gebratner Austern
bedeckt.

So leicht wird es den Bewohnern cisatlantischer Länder nicht gemacht.
Zu diesen kommt die Auster nicht, sondern sie müssen sie sich holen. Dieß
geschieht vermittelst eines Rechens, der von dem Boote des Austernschiffers
an einem Tau oder einer Kette aus den Meeresgrund Hinabgclassen und hinter
welchem ein Sack von Netzwerk, Leder oder Segeltuch hingeschleift wird.
Die auf diese Weise gewonnenen Austern werden sofort in Tonnen verpackt
und auf den Markt gebracht. Andere Austern kommen aus den sogenannten
Austernparks, in welche sie von den natürlichen Wohnstätten des Geschlechts
versetzt worden sind, und zwar sind diese die besten. Ein solcher Austernpark
ist ein künstlicher Teich oder ein Reservoir, welches durch Kanüle mit der
See in Verbindung steht. Mit Steinen ausgemauert, sind die Wasserbecken
so eingerichtet, daß Fluth und Ebbe darin wechseln wie im Meere. Zu ge¬
wissen Zeiten aber hält man das Wasser durch Schleußenthore auf mehre
Tage oder Wochen darin fest. Im letztern Fall werden die darin aufbewahrten
Austern sehr zart und fett, weil das stagnirende Wasser das Entstehen und
Wachsthum jener mikroskopischen Pflänzchen befördert, welche stets im Meer-


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[0467] Wesen vor jenem Unglück bewahrt, welches die Bewohner der Schleswig-hol- steinischen Westküste durch die mächtigen Haffdeiche von sich und ihren fetten Marschländern fernhalten. Wie hier, so besteht auch dort der Boden meist bis auf weite Strecken landeinwärts aus schwammigem Alluvialschlamm, der außerordentlich fruchtbar ist, aber dem Angriff heftiger Sturmfluthen bei seiner weichen Beschaffenheit nur geringen Widerstand entgegensetzt. In der That, dieses Marschland ist so nachgiebig, daß man an vielen Stellen noch drei bis vier Meilen von der See einen eisernen Stab ohne Schwierigkeit zehn bis Zwölf Fuß tief hineintreiben kann. Dazu kommt, daß dieser Landstrich von zahlreichen vielgewundenen Bächen und Flüssen durchströmt wird, die sehr bald ihre Betten durch Abspülung der Uferründer erweitern und die ganze Gegend in einen ungeheuren Morast verwandeln würden, falls die Auster nicht solchem Schaden entgegenarbeitete. Diese nämlich hat sich nicht nur wie ein gewaltiger Masselbrecher zwischen das Meer und das Land gelagert, sondern umsäumt auch die Mündungen der Flüsse und Bäche bis auf weite Strecken hinauf und bis zur Höhe von zwölf bis achtzehn Fuß mit einer Mauer von Millionen ihres Geschlechts. Die untern Schichten dieser Schutz- Wälle sind natürlich ohne Leben, da die hier liegenden Austern ihre Schalen nicht öffnen können, die obersten dagegen dienen den in diesen Marschen ar- bettenden Negern bisweilen zu großartigen Schwelgereien. Die Fluth spült Massen derselben in das Gras und Gestrüpp des Strandes. Während der Ebbe aber eilt der schlaue Schwarze, dieses Gestrüpp in Brand zu stecken, und dann findet er das weite Aschenfeld mit Tausenden gebratner Austern bedeckt. So leicht wird es den Bewohnern cisatlantischer Länder nicht gemacht. Zu diesen kommt die Auster nicht, sondern sie müssen sie sich holen. Dieß geschieht vermittelst eines Rechens, der von dem Boote des Austernschiffers an einem Tau oder einer Kette aus den Meeresgrund Hinabgclassen und hinter welchem ein Sack von Netzwerk, Leder oder Segeltuch hingeschleift wird. Die auf diese Weise gewonnenen Austern werden sofort in Tonnen verpackt und auf den Markt gebracht. Andere Austern kommen aus den sogenannten Austernparks, in welche sie von den natürlichen Wohnstätten des Geschlechts versetzt worden sind, und zwar sind diese die besten. Ein solcher Austernpark ist ein künstlicher Teich oder ein Reservoir, welches durch Kanüle mit der See in Verbindung steht. Mit Steinen ausgemauert, sind die Wasserbecken so eingerichtet, daß Fluth und Ebbe darin wechseln wie im Meere. Zu ge¬ wissen Zeiten aber hält man das Wasser durch Schleußenthore auf mehre Tage oder Wochen darin fest. Im letztern Fall werden die darin aufbewahrten Austern sehr zart und fett, weil das stagnirende Wasser das Entstehen und Wachsthum jener mikroskopischen Pflänzchen befördert, welche stets im Meer- Grtnzbottn IV. 1L61. 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/467>, abgerufen am 28.03.2024.