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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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daß die Mehrzahl es alsdann macht, wie die Exdemagogen Schulz von Weil¬
burg und Kopp von Heidelberg, die zum allgemeinen Erstaunen an der groß-
deutschen Versammlung in Frankfurt theilnahmen. und wie Herr Fröbel, den
dort zu finden Niemand mehr erstaunt war. Um so sicherer aber werden dann
ihre Antipoden in der Flüchtlingswelt, wie Vogt und die drei Pariser, den
Nationalvcrein verstärken.

Daß dies ein langsamer organischer Proceß ist, kein mit revolutionärer Ge¬
walt und Plötzlichkeit auftretender, hat der Erfolg des vom Nationalverein ge¬
faßten Beschlusses zu Gunsten der Reichsverfassung gezeigt. Wer von einem
solchen Beschluß überhaupt so etwas wie eine clektrisirende Wirkung erwartete,
hat sich gründlich getauscht. Vor zwei, drei Jahren hätte derselbe so wirken
können; jetzt nicht mehr. Und wer bei Sinnen ist, der wird sich darüber
eher freuen, als betrüben. Es wäre sicherlich nicht gut gewesen, wenn dieser
Beschluß einen demokratisch-revolutionären Massenbeitritt auf der Stelle nach
sich gezogen und somit aus die Länge unausbleiblich den Charakter des Vereins
verwandelt hätte. Besser ist es, der Verein behält Zeit, alles Zuströmende sich
allmälig zu assimiliren. Das Zutrauen selbst wird darum nicht ausbleiben.
Mit der Reichsverfassung ist auf jeden Fall den Revolutionären eine Waffe aus
der Hand gewunden, die sie nicht verfehlt haben würden zu gebrauchen, sobald
der Nationalverein seine Unfähigkeit verrathen hätte, die öffentliche Stimmung
länger zu beherrschen.

So glauben wir denn, daß auch ohne sofortigen und förmlichen Anschluß
der Flüchtlinge an die Fahne der Reform von ihnen nicht viel zu befürchten
ist. Sie sind unter sich zerklüftet, ja zum Theil feindseliger geschieden, als
von uns -- man erinnere sich nur an die vor drei Jahren wüthende Fehde
zwischen Vogt und Marx. Die "proletarische Partei" und die Bourgeois-Demo¬
kraten werden niemals mit einander gehen. Dazu kommt, daß es Führer
ohne Heer, und daß es -- so gut wie H. v. Gagern, der es in Frankfurt selbst
von sich aussagte -- alternde Männer sind. Die lange Trennung von der
Heimath hat die früheren Vertraucnsbande gelockert oder ganz aufgelöst. Seit
Z849 ist ein neues Geschlecht in Deutschland herangewachsen, das nicht gewohnt
ist, Herrn Karl Marx zu gehorchen oder in den Späßen des Herrn Karl Vogt
das Nonplusultra menschlichen Witzes zu belachen. Die Thätigkeit, der diese
Männer in der Fremde sich hingegeben haben, war fast durchgängig nicht der
Art, ihr Gedächtniß daheim recht frisch zu erhalten. Viele haben obendrein in
der Sorge um die nackte Existenz die Festigkeit vorläufig eingebüßt, die sie
früher in der Rede und im Agitiren besitzen mochten. An die eigenthümliche
Art der politischen Arbeit, die eine mehrjährige Reformbewegung entwickelt
hat, werden Wenige von ihnen überhaupt gewöhnt sein; denn wie Viele sind
eS, die in der Fremde an praktischer Politik sich haben betheiligen können?


daß die Mehrzahl es alsdann macht, wie die Exdemagogen Schulz von Weil¬
burg und Kopp von Heidelberg, die zum allgemeinen Erstaunen an der groß-
deutschen Versammlung in Frankfurt theilnahmen. und wie Herr Fröbel, den
dort zu finden Niemand mehr erstaunt war. Um so sicherer aber werden dann
ihre Antipoden in der Flüchtlingswelt, wie Vogt und die drei Pariser, den
Nationalvcrein verstärken.

Daß dies ein langsamer organischer Proceß ist, kein mit revolutionärer Ge¬
walt und Plötzlichkeit auftretender, hat der Erfolg des vom Nationalverein ge¬
faßten Beschlusses zu Gunsten der Reichsverfassung gezeigt. Wer von einem
solchen Beschluß überhaupt so etwas wie eine clektrisirende Wirkung erwartete,
hat sich gründlich getauscht. Vor zwei, drei Jahren hätte derselbe so wirken
können; jetzt nicht mehr. Und wer bei Sinnen ist, der wird sich darüber
eher freuen, als betrüben. Es wäre sicherlich nicht gut gewesen, wenn dieser
Beschluß einen demokratisch-revolutionären Massenbeitritt auf der Stelle nach
sich gezogen und somit aus die Länge unausbleiblich den Charakter des Vereins
verwandelt hätte. Besser ist es, der Verein behält Zeit, alles Zuströmende sich
allmälig zu assimiliren. Das Zutrauen selbst wird darum nicht ausbleiben.
Mit der Reichsverfassung ist auf jeden Fall den Revolutionären eine Waffe aus
der Hand gewunden, die sie nicht verfehlt haben würden zu gebrauchen, sobald
der Nationalverein seine Unfähigkeit verrathen hätte, die öffentliche Stimmung
länger zu beherrschen.

So glauben wir denn, daß auch ohne sofortigen und förmlichen Anschluß
der Flüchtlinge an die Fahne der Reform von ihnen nicht viel zu befürchten
ist. Sie sind unter sich zerklüftet, ja zum Theil feindseliger geschieden, als
von uns — man erinnere sich nur an die vor drei Jahren wüthende Fehde
zwischen Vogt und Marx. Die „proletarische Partei" und die Bourgeois-Demo¬
kraten werden niemals mit einander gehen. Dazu kommt, daß es Führer
ohne Heer, und daß es — so gut wie H. v. Gagern, der es in Frankfurt selbst
von sich aussagte — alternde Männer sind. Die lange Trennung von der
Heimath hat die früheren Vertraucnsbande gelockert oder ganz aufgelöst. Seit
Z849 ist ein neues Geschlecht in Deutschland herangewachsen, das nicht gewohnt
ist, Herrn Karl Marx zu gehorchen oder in den Späßen des Herrn Karl Vogt
das Nonplusultra menschlichen Witzes zu belachen. Die Thätigkeit, der diese
Männer in der Fremde sich hingegeben haben, war fast durchgängig nicht der
Art, ihr Gedächtniß daheim recht frisch zu erhalten. Viele haben obendrein in
der Sorge um die nackte Existenz die Festigkeit vorläufig eingebüßt, die sie
früher in der Rede und im Agitiren besitzen mochten. An die eigenthümliche
Art der politischen Arbeit, die eine mehrjährige Reformbewegung entwickelt
hat, werden Wenige von ihnen überhaupt gewöhnt sein; denn wie Viele sind
eS, die in der Fremde an praktischer Politik sich haben betheiligen können?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/24>, abgerufen am 25.04.2024.