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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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ihm bis zu seinem Lebensende treu geblieben ist. Denn wenn irgendein Wort,
wohl und ernst gemeint und demgemäß auch von mächtiger Wirkung, doch aus
gründlicher Verkennung der Wahrheit stammte, so war es jenes eben citirte
Uhlands: es gab selten einen Fremden d. h. nach schwäbischen Begriffen Fremden
-- Wangenheim war ja ein Thüringer, ein Gothaner -- der sich so rasch und so
gründlich und so hingebend und, kann man sagen, mit so einseitiger schwär¬
merischer Liebe in die schwäbische Art eingelebt halte, wie er. Daher war er
denn auch so recht dazu geschaffen, Auswärtigen, welche weniger enthusiastisch
für die "Stammeseigenthümlichkeitcn" des seltsamen Völkchens am Neckar
schwärmten, immerfort dessen wirklich schcihenswcrthe Eigenschaften, die in der
Entfernung leicht vergessen oder übersehen werden konnten, wieder aufzufrischen
und alles, was etwa Störendes von dorther an seinen Freund Rückert herankam,
bestens auszugleichen oder in das mildeste Licht zu setzen, so z. B. jene eigen¬
thümliche Art kritischer Parallelen zwischen Uhland und Rückert, wie sie so
frühe und so lange schon vor Uhlands Tode dort von Pfizer und Strauß, na¬
türlich immer zu entschiedener Verurteilung des Nichtschwaben, beliebt worden
ist. Daß Uhland selbst hieran so wenig wie an andern literarischen Klatschereien
den geringsten Theil hatte, die namentlich gegen Ende der dreißiger Jahre von
seinem nächsten Stuttgarter Kreis ausgingen und gegen Rückert gerichtet waren,
wußte dieser selbstverständlich am besten, aber es war doch natürlich immer ein
fataler Eindruck zu verwischen, was denn auch Wangenheim stets und völlig
gelang.

Ueberhaupt wenn man durchaus einer Clique oder Coterie angehören muß,
um nicht für menschenscheu oder gar menschenfeindlich zu gelten, so war Rückert
freilich nicht dazu angethan, beiden Vorwürfen zu entgehen. Sonst aber dürfte
wohl schwerlich unter unsern hervorragenden Männern einer gewesen sein, der
so wie er allgemein menschlich-zugänglich und im plansten Sinne des Worts
umgänglich war. Dafür könnten allein schon die Schaaren von Besuchern
zeugen, die nicht in der steifen Förmlichkeit einer Visitenviertelstunde ihm nahe
gekommen oder vielmehr fern geblieben sind, sondern die oft so rasch, man
wußte selbst nicht wie, sich als befreundete Glieder seines häuslichen Kreises
grade so ungezwungen ihm gegenüber fühlten, wie die nächsten Angehörigen oder
die alten Freunde. Hier und da ist ein Laut aus diesem reichen geselligen
Leben auch in die große Oeffentlichkeit gedrungen, aber freilich selten genug,
und das gewöhnliche Vorurtheil, das den Dichter hinter einer dreifachen Mauer
von starrer Selbstgenügsamkeit und stolzer Menschenverachtung verschanzt dachte,
konnte dadurch nicht gestört werden. Denn die meisten, die ihm so nahe kamen,
um seine wahren Züge zu erfassen, hielt eine begreifliche Scheu zurück, das
Heiligthum des Familienkreises, in das ihnen vertrauensvoll Zutritt verstattet
worden war, zu profaniren. So wenig sie daran gedacht hätten, ihre eigenen


ihm bis zu seinem Lebensende treu geblieben ist. Denn wenn irgendein Wort,
wohl und ernst gemeint und demgemäß auch von mächtiger Wirkung, doch aus
gründlicher Verkennung der Wahrheit stammte, so war es jenes eben citirte
Uhlands: es gab selten einen Fremden d. h. nach schwäbischen Begriffen Fremden
— Wangenheim war ja ein Thüringer, ein Gothaner — der sich so rasch und so
gründlich und so hingebend und, kann man sagen, mit so einseitiger schwär¬
merischer Liebe in die schwäbische Art eingelebt halte, wie er. Daher war er
denn auch so recht dazu geschaffen, Auswärtigen, welche weniger enthusiastisch
für die „Stammeseigenthümlichkeitcn" des seltsamen Völkchens am Neckar
schwärmten, immerfort dessen wirklich schcihenswcrthe Eigenschaften, die in der
Entfernung leicht vergessen oder übersehen werden konnten, wieder aufzufrischen
und alles, was etwa Störendes von dorther an seinen Freund Rückert herankam,
bestens auszugleichen oder in das mildeste Licht zu setzen, so z. B. jene eigen¬
thümliche Art kritischer Parallelen zwischen Uhland und Rückert, wie sie so
frühe und so lange schon vor Uhlands Tode dort von Pfizer und Strauß, na¬
türlich immer zu entschiedener Verurteilung des Nichtschwaben, beliebt worden
ist. Daß Uhland selbst hieran so wenig wie an andern literarischen Klatschereien
den geringsten Theil hatte, die namentlich gegen Ende der dreißiger Jahre von
seinem nächsten Stuttgarter Kreis ausgingen und gegen Rückert gerichtet waren,
wußte dieser selbstverständlich am besten, aber es war doch natürlich immer ein
fataler Eindruck zu verwischen, was denn auch Wangenheim stets und völlig
gelang.

Ueberhaupt wenn man durchaus einer Clique oder Coterie angehören muß,
um nicht für menschenscheu oder gar menschenfeindlich zu gelten, so war Rückert
freilich nicht dazu angethan, beiden Vorwürfen zu entgehen. Sonst aber dürfte
wohl schwerlich unter unsern hervorragenden Männern einer gewesen sein, der
so wie er allgemein menschlich-zugänglich und im plansten Sinne des Worts
umgänglich war. Dafür könnten allein schon die Schaaren von Besuchern
zeugen, die nicht in der steifen Förmlichkeit einer Visitenviertelstunde ihm nahe
gekommen oder vielmehr fern geblieben sind, sondern die oft so rasch, man
wußte selbst nicht wie, sich als befreundete Glieder seines häuslichen Kreises
grade so ungezwungen ihm gegenüber fühlten, wie die nächsten Angehörigen oder
die alten Freunde. Hier und da ist ein Laut aus diesem reichen geselligen
Leben auch in die große Oeffentlichkeit gedrungen, aber freilich selten genug,
und das gewöhnliche Vorurtheil, das den Dichter hinter einer dreifachen Mauer
von starrer Selbstgenügsamkeit und stolzer Menschenverachtung verschanzt dachte,
konnte dadurch nicht gestört werden. Denn die meisten, die ihm so nahe kamen,
um seine wahren Züge zu erfassen, hielt eine begreifliche Scheu zurück, das
Heiligthum des Familienkreises, in das ihnen vertrauensvoll Zutritt verstattet
worden war, zu profaniren. So wenig sie daran gedacht hätten, ihre eigenen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/16>, abgerufen am 25.04.2024.