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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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bracht und aber- und abermals votirt. Nach einiger Zeit singen dieselben
Personen, die früher kaum geglaubt hatten, dies selbst noch erleben zu können,
an, für die schleunige Ausführung zu wirken. Die Regierungen, welche An¬
fangs keineswegs einig über den Gegenstand waren, ließen die öffentliche
Meinung bald durchfühlen, daß auch sie allmählig die Nothwendigkeit einzu¬
sehen lernten, in dieser wichtigen Sache den Wünschen des Volkes nachzu¬
kommen. Namentlich die Preußische Regierung gestand es als ihre Ansicht
ein. daß die Reform wünschenswert!) sei und daß sie einen konservativen Ein¬
fluß auf die beunruhigten Gemüther ausüben würde, obwohl sie es mit weiser
Mäßigung vermied, den kleineren Fürsten einen Wechsel aufzunöthigen, der
ihnen unangenehm sein konnte, nachdem der Antrag erst ein einziges Mal
angenommen worden war. Bald wurde die Ansicht von einer Regierung
nach der anderen gebilligt und diejenigen kleineren Fürsten, welche sie gehegt
hatten, noch ehe die preußische Krone ihre Einwilligung gegeben, entwickelten
eine ungewöhnliche Thätigkeit, um die Gegner zu ihrer eigenen Denkweise zu
bekehren. Vor einigen Wochen wurde die Ernte dieser eifrigen Arbeit einge¬
sammelt. Das Gesetz, welches in der letzten Reichstagssession auf den Antrag
der National-Liberalen angenommen wurde und welches für die Centralbe-
hörden die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Civilrechts beansprucht, wurde
im Bundesrath zur Abstimmung gebracht und von allen gegen zwei Stimmen
-- Mecklenburg-Strelitz und Schwarzburg-Rudolstadt -- genehmigt. Mit
der Ausnahme also der hohen und mächtigen Beherrschern von 200,000
Deutschen waren alle Fürsten einer Ansicht und ein großer Schritt zur
Bollendung der nationalen Einheit ist gemacht. Es wird jedoch noch Jahre
dauern, bevor das neue gemeinsame bürgerliche Gesetzbuch fertig sein kann
und somit der größere Theil der politischen Arbeiten den Centralbehörden ge¬
sichert sein wird. Inzwischen werden die Einzellandtage aufhören, über eine
große Anzahl von Dingen Gesetze zu geben, die ihrer Competenz entgegen
sind.

Verschiedene Umstände haben dazu beigetragen, dieses wichtige Resultat
in verhältnißmäßig kurzer Zeit reifen zu lassen. Zuerst ist es begreiflich, daß
jetzt, wo ein Bayer sich mit derselben Leichtigkeit in Preußen niederlassen und
ein Gewerbe betreiben kann, wie zu Hause, und ein Preuße dasselbe in
Bayern thun kann, die Verschiedenheit der Civilgesetzbücher mehr als je em¬
pfunden wird. Wenn man diese Bemerkung auf die 25 Staaten des Reiches
anwendet, wird es nicht schwer einzusehen, welche Gründe das Volk hatte,
das Einheitsprineip auf dasjenige Gesetzbuch ausgedehnt zu wünschen, welches
die Vorkommnisse des täglichen Lebens regelt. Die Gewährung eines gemein¬
samen Strafgesetzbuches war doch eigentlich dem ehrlichen Theile der Be¬
völkerung verhältnißmäßig gleichgültig. Ein Mann, der weder stiehlt noch


bracht und aber- und abermals votirt. Nach einiger Zeit singen dieselben
Personen, die früher kaum geglaubt hatten, dies selbst noch erleben zu können,
an, für die schleunige Ausführung zu wirken. Die Regierungen, welche An¬
fangs keineswegs einig über den Gegenstand waren, ließen die öffentliche
Meinung bald durchfühlen, daß auch sie allmählig die Nothwendigkeit einzu¬
sehen lernten, in dieser wichtigen Sache den Wünschen des Volkes nachzu¬
kommen. Namentlich die Preußische Regierung gestand es als ihre Ansicht
ein. daß die Reform wünschenswert!) sei und daß sie einen konservativen Ein¬
fluß auf die beunruhigten Gemüther ausüben würde, obwohl sie es mit weiser
Mäßigung vermied, den kleineren Fürsten einen Wechsel aufzunöthigen, der
ihnen unangenehm sein konnte, nachdem der Antrag erst ein einziges Mal
angenommen worden war. Bald wurde die Ansicht von einer Regierung
nach der anderen gebilligt und diejenigen kleineren Fürsten, welche sie gehegt
hatten, noch ehe die preußische Krone ihre Einwilligung gegeben, entwickelten
eine ungewöhnliche Thätigkeit, um die Gegner zu ihrer eigenen Denkweise zu
bekehren. Vor einigen Wochen wurde die Ernte dieser eifrigen Arbeit einge¬
sammelt. Das Gesetz, welches in der letzten Reichstagssession auf den Antrag
der National-Liberalen angenommen wurde und welches für die Centralbe-
hörden die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Civilrechts beansprucht, wurde
im Bundesrath zur Abstimmung gebracht und von allen gegen zwei Stimmen
— Mecklenburg-Strelitz und Schwarzburg-Rudolstadt — genehmigt. Mit
der Ausnahme also der hohen und mächtigen Beherrschern von 200,000
Deutschen waren alle Fürsten einer Ansicht und ein großer Schritt zur
Bollendung der nationalen Einheit ist gemacht. Es wird jedoch noch Jahre
dauern, bevor das neue gemeinsame bürgerliche Gesetzbuch fertig sein kann
und somit der größere Theil der politischen Arbeiten den Centralbehörden ge¬
sichert sein wird. Inzwischen werden die Einzellandtage aufhören, über eine
große Anzahl von Dingen Gesetze zu geben, die ihrer Competenz entgegen
sind.

Verschiedene Umstände haben dazu beigetragen, dieses wichtige Resultat
in verhältnißmäßig kurzer Zeit reifen zu lassen. Zuerst ist es begreiflich, daß
jetzt, wo ein Bayer sich mit derselben Leichtigkeit in Preußen niederlassen und
ein Gewerbe betreiben kann, wie zu Hause, und ein Preuße dasselbe in
Bayern thun kann, die Verschiedenheit der Civilgesetzbücher mehr als je em¬
pfunden wird. Wenn man diese Bemerkung auf die 25 Staaten des Reiches
anwendet, wird es nicht schwer einzusehen, welche Gründe das Volk hatte,
das Einheitsprineip auf dasjenige Gesetzbuch ausgedehnt zu wünschen, welches
die Vorkommnisse des täglichen Lebens regelt. Die Gewährung eines gemein¬
samen Strafgesetzbuches war doch eigentlich dem ehrlichen Theile der Be¬
völkerung verhältnißmäßig gleichgültig. Ein Mann, der weder stiehlt noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/80>, abgerufen am 25.04.2024.