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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Bilder aus dem Ivesten

glänzenden Schieferdach und mit seinen Nundtürmchen verlockend aus den
Eichen hervorlugte.

Das Vorderzimmer ist meist das Wohnzimmer (?g.r1or), hat an der
Breitseite einen großen marmorgetäfelten Kamin und nach vornheraus ein
breites schönes Erkerfenster, oft mit bunten Butzenscheiben. Das Fenster reicht
bis zur Erde und dient auch als Balkonthür nach der Veranda zu, die sich-
vor dein Hause hinzuziehen Pflegt. Es giebt bei seiner großen Breite auch
dem Hinterzimmer, das durch eine gewaltige Schiebethür von dem Vorder¬
zimmer getrennt ist, genügendes Licht. Schiebt man nach beiden Seiten die
Thüren in die Wände zurück, so hat man statt zwei geräumiger Stuben einen
Gesellschaftssaal, durch dessen Fenster man ans die Eichen des Gefildes hinaus¬
blickt, das vor nicht langer Zeit noch Jndicmergebiet gewesen ist.

Das gedämpfte Licht, das durch die bunten Scheiben der Hausthür auf
den meist getäfelten Hausflur fällt, verbreitet Behagen, und der Eintretende
fühlt sich nicht ratlos und verlassen, wie in den meisten dunkeln Vorsülen
unsrer großstädtische" Häuser. Wie würde aber erst eine deutsche Hansfrau
entzückt sein, wenn sie die in die Wände eingelassenen hölzernen Wandschränke,
die überall angebrachten Waschvorrichtungen, die Dampfheizapparate sähe, die
mit Wasserleitung und Kochofen jederzeit in Verbindung zu setzen sind ebenso
wie mit der Badewanne im obern Stock! Fahrstühle befördern durch einfachen
Handdruck lautlos die Kohlen aus dein Keller in die Küche, die Speisen aus
der Küche in das daranstoßende Eßzimmer. Wie schnell doch die neue Welt
die alte in diesen Dingen überflügelt hat! dachte ich. Wie thöricht, daß man
mit souveräner Verachtung alles dessen, was Amerikanertum heißt, selbst in
unsern deutschen Großstädten das alles unbeachtet läßt und nichts davon lernen
will! Wie sagt der Vaecalciureus im Faust?

Goethes Ansicht über Amerika, zugleich ein neues Thema sür die Goethe¬
forschung!

Trotz vieles Überladnen und Geschmacklosen ist hier doch alles zweckmäßig
und für die Mehrzahl, die wir in Enropa die breite Mittelklasse nennen würden,
sehr brauchbar. Freilich stehen normännische Kastelle neben mvdernisirten Block¬
hütten, venetianische Paläste neben Nürnberger Patrizierhäusern; dort platzt
grell leuchtend ein rotlackirtes Malepartus mit Wall, Zugbrücke und Graben
mitten heraus aus der stattlichen Reihe graubrauner Schnörkelhäuser, die be¬
anspruchen, den spezifischen Stil von Kansas Cith zu zeigen: einen mehr an ein


Bilder aus dem Ivesten

glänzenden Schieferdach und mit seinen Nundtürmchen verlockend aus den
Eichen hervorlugte.

Das Vorderzimmer ist meist das Wohnzimmer (?g.r1or), hat an der
Breitseite einen großen marmorgetäfelten Kamin und nach vornheraus ein
breites schönes Erkerfenster, oft mit bunten Butzenscheiben. Das Fenster reicht
bis zur Erde und dient auch als Balkonthür nach der Veranda zu, die sich-
vor dein Hause hinzuziehen Pflegt. Es giebt bei seiner großen Breite auch
dem Hinterzimmer, das durch eine gewaltige Schiebethür von dem Vorder¬
zimmer getrennt ist, genügendes Licht. Schiebt man nach beiden Seiten die
Thüren in die Wände zurück, so hat man statt zwei geräumiger Stuben einen
Gesellschaftssaal, durch dessen Fenster man ans die Eichen des Gefildes hinaus¬
blickt, das vor nicht langer Zeit noch Jndicmergebiet gewesen ist.

Das gedämpfte Licht, das durch die bunten Scheiben der Hausthür auf
den meist getäfelten Hausflur fällt, verbreitet Behagen, und der Eintretende
fühlt sich nicht ratlos und verlassen, wie in den meisten dunkeln Vorsülen
unsrer großstädtische» Häuser. Wie würde aber erst eine deutsche Hansfrau
entzückt sein, wenn sie die in die Wände eingelassenen hölzernen Wandschränke,
die überall angebrachten Waschvorrichtungen, die Dampfheizapparate sähe, die
mit Wasserleitung und Kochofen jederzeit in Verbindung zu setzen sind ebenso
wie mit der Badewanne im obern Stock! Fahrstühle befördern durch einfachen
Handdruck lautlos die Kohlen aus dein Keller in die Küche, die Speisen aus
der Küche in das daranstoßende Eßzimmer. Wie schnell doch die neue Welt
die alte in diesen Dingen überflügelt hat! dachte ich. Wie thöricht, daß man
mit souveräner Verachtung alles dessen, was Amerikanertum heißt, selbst in
unsern deutschen Großstädten das alles unbeachtet läßt und nichts davon lernen
will! Wie sagt der Vaecalciureus im Faust?

Goethes Ansicht über Amerika, zugleich ein neues Thema sür die Goethe¬
forschung!

Trotz vieles Überladnen und Geschmacklosen ist hier doch alles zweckmäßig
und für die Mehrzahl, die wir in Enropa die breite Mittelklasse nennen würden,
sehr brauchbar. Freilich stehen normännische Kastelle neben mvdernisirten Block¬
hütten, venetianische Paläste neben Nürnberger Patrizierhäusern; dort platzt
grell leuchtend ein rotlackirtes Malepartus mit Wall, Zugbrücke und Graben
mitten heraus aus der stattlichen Reihe graubrauner Schnörkelhäuser, die be¬
anspruchen, den spezifischen Stil von Kansas Cith zu zeigen: einen mehr an ein


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[0047] Bilder aus dem Ivesten glänzenden Schieferdach und mit seinen Nundtürmchen verlockend aus den Eichen hervorlugte. Das Vorderzimmer ist meist das Wohnzimmer (?g.r1or), hat an der Breitseite einen großen marmorgetäfelten Kamin und nach vornheraus ein breites schönes Erkerfenster, oft mit bunten Butzenscheiben. Das Fenster reicht bis zur Erde und dient auch als Balkonthür nach der Veranda zu, die sich- vor dein Hause hinzuziehen Pflegt. Es giebt bei seiner großen Breite auch dem Hinterzimmer, das durch eine gewaltige Schiebethür von dem Vorder¬ zimmer getrennt ist, genügendes Licht. Schiebt man nach beiden Seiten die Thüren in die Wände zurück, so hat man statt zwei geräumiger Stuben einen Gesellschaftssaal, durch dessen Fenster man ans die Eichen des Gefildes hinaus¬ blickt, das vor nicht langer Zeit noch Jndicmergebiet gewesen ist. Das gedämpfte Licht, das durch die bunten Scheiben der Hausthür auf den meist getäfelten Hausflur fällt, verbreitet Behagen, und der Eintretende fühlt sich nicht ratlos und verlassen, wie in den meisten dunkeln Vorsülen unsrer großstädtische» Häuser. Wie würde aber erst eine deutsche Hansfrau entzückt sein, wenn sie die in die Wände eingelassenen hölzernen Wandschränke, die überall angebrachten Waschvorrichtungen, die Dampfheizapparate sähe, die mit Wasserleitung und Kochofen jederzeit in Verbindung zu setzen sind ebenso wie mit der Badewanne im obern Stock! Fahrstühle befördern durch einfachen Handdruck lautlos die Kohlen aus dein Keller in die Küche, die Speisen aus der Küche in das daranstoßende Eßzimmer. Wie schnell doch die neue Welt die alte in diesen Dingen überflügelt hat! dachte ich. Wie thöricht, daß man mit souveräner Verachtung alles dessen, was Amerikanertum heißt, selbst in unsern deutschen Großstädten das alles unbeachtet läßt und nichts davon lernen will! Wie sagt der Vaecalciureus im Faust? Goethes Ansicht über Amerika, zugleich ein neues Thema sür die Goethe¬ forschung! Trotz vieles Überladnen und Geschmacklosen ist hier doch alles zweckmäßig und für die Mehrzahl, die wir in Enropa die breite Mittelklasse nennen würden, sehr brauchbar. Freilich stehen normännische Kastelle neben mvdernisirten Block¬ hütten, venetianische Paläste neben Nürnberger Patrizierhäusern; dort platzt grell leuchtend ein rotlackirtes Malepartus mit Wall, Zugbrücke und Graben mitten heraus aus der stattlichen Reihe graubrauner Schnörkelhäuser, die be¬ anspruchen, den spezifischen Stil von Kansas Cith zu zeigen: einen mehr an ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/47>, abgerufen am 19.04.2024.