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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Kritische Aufsätze

tages am 22. Juni in Budapest eintraf und ebenso feierlich als begeistert begrüßt
wurde. Es ist auch erklärlich, daß die Opposition in der bis zum 2. August
dauernden ersten Session des Reichstages sich auffällig still verhielt. Selbst¬
verständlich leistete dieser in sechs Wochen mehr als der Koalitionsreichstag in
sechs Monaten und erledigte insbesondere die von seinem Vorgänger hinter¬
lassenen Rückstände, darunter die Vorlage über die Rekrutenkontingente und über
die Beseitigung des Lx-Isx-Zustandes. Die Ankündigung der Opposition, daß
es im Winter anders werden könnte, hat wenig zu besagen, da sie aus eigenen
Kräften zu schwach ist. Zuwachs könnte ihr nur aus Unzufriedenen der
Regierungspartei kommen, und daran dürfte es in Zukunft kaum fehlen. Denn
die Abgeordneten bestehen ebenfalls wieder aus Mitgliedern der herrschenden
politischen Koterie, der es weder mit der Einführung des allgemeinen Wahl¬
rechts noch mit einer einigermaßen gründlichen Verwaltungsreform jemals
wirklich ernst sein kann.




Kritische Aufsätze zum Vorentwurf eines neuen
deutschen Strafgesetzbuches
von Amtsrichter "7. Ernst Sontag
Strafschärfungen und Sicherungsmaßncihmen des vorentwurfs eines
neuen deutschen Strafgesetzbuches

eben die Bestimmungen des Vorentwurfs, welche als die haupt¬
sächlichsten zu einer Humanisierung des Strafrechts bestimmt sind,
zu mancherlei Bedenken Anlaß, so wird man um so uneingeschränkter
den Paragraphen des Entwurfes zustimmen können, die eine Ver¬
schärfung des Strafrechts im Gefolge haben sollen.

Echte Strafschärfungen bringt Z 18 V.E., welcher in Absatz 1 bestimmt:
"Zeugt die Tat von besonderer Roheit, Bosheit oder Verworfenheit

oder ist nach den Vorbestrafungen des Täters anzunehmen, daß der
gewöhnliche Strafvollzug auf ihn nicht die erforderliche Wirkung aus¬
üben würde, so kann das Gericht im Urteile Schärfungen der Zuchthaus¬
oder Gefängnisstrafe anordnen.

Es war die höchste Zeit, daß wir eine solche Handhabe gegen eine gewisse
Sorte von Verbrechern bekommen. Es ist durchaus typisch, was einem Gefängnis¬
vorstande in Schlesien von einen: vielfach vorbestraften Subjekte ins Gesicht
gesagt worden ist: "Für uns baut der Staat die Gefängnisse und ihr seid


Gmizboten III 1910 ^
Kritische Aufsätze

tages am 22. Juni in Budapest eintraf und ebenso feierlich als begeistert begrüßt
wurde. Es ist auch erklärlich, daß die Opposition in der bis zum 2. August
dauernden ersten Session des Reichstages sich auffällig still verhielt. Selbst¬
verständlich leistete dieser in sechs Wochen mehr als der Koalitionsreichstag in
sechs Monaten und erledigte insbesondere die von seinem Vorgänger hinter¬
lassenen Rückstände, darunter die Vorlage über die Rekrutenkontingente und über
die Beseitigung des Lx-Isx-Zustandes. Die Ankündigung der Opposition, daß
es im Winter anders werden könnte, hat wenig zu besagen, da sie aus eigenen
Kräften zu schwach ist. Zuwachs könnte ihr nur aus Unzufriedenen der
Regierungspartei kommen, und daran dürfte es in Zukunft kaum fehlen. Denn
die Abgeordneten bestehen ebenfalls wieder aus Mitgliedern der herrschenden
politischen Koterie, der es weder mit der Einführung des allgemeinen Wahl¬
rechts noch mit einer einigermaßen gründlichen Verwaltungsreform jemals
wirklich ernst sein kann.




Kritische Aufsätze zum Vorentwurf eines neuen
deutschen Strafgesetzbuches
von Amtsrichter »7. Ernst Sontag
Strafschärfungen und Sicherungsmaßncihmen des vorentwurfs eines
neuen deutschen Strafgesetzbuches

eben die Bestimmungen des Vorentwurfs, welche als die haupt¬
sächlichsten zu einer Humanisierung des Strafrechts bestimmt sind,
zu mancherlei Bedenken Anlaß, so wird man um so uneingeschränkter
den Paragraphen des Entwurfes zustimmen können, die eine Ver¬
schärfung des Strafrechts im Gefolge haben sollen.

Echte Strafschärfungen bringt Z 18 V.E., welcher in Absatz 1 bestimmt:
„Zeugt die Tat von besonderer Roheit, Bosheit oder Verworfenheit

oder ist nach den Vorbestrafungen des Täters anzunehmen, daß der
gewöhnliche Strafvollzug auf ihn nicht die erforderliche Wirkung aus¬
üben würde, so kann das Gericht im Urteile Schärfungen der Zuchthaus¬
oder Gefängnisstrafe anordnen.

Es war die höchste Zeit, daß wir eine solche Handhabe gegen eine gewisse
Sorte von Verbrechern bekommen. Es ist durchaus typisch, was einem Gefängnis¬
vorstande in Schlesien von einen: vielfach vorbestraften Subjekte ins Gesicht
gesagt worden ist: „Für uns baut der Staat die Gefängnisse und ihr seid


Gmizboten III 1910 ^
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[0381] Kritische Aufsätze tages am 22. Juni in Budapest eintraf und ebenso feierlich als begeistert begrüßt wurde. Es ist auch erklärlich, daß die Opposition in der bis zum 2. August dauernden ersten Session des Reichstages sich auffällig still verhielt. Selbst¬ verständlich leistete dieser in sechs Wochen mehr als der Koalitionsreichstag in sechs Monaten und erledigte insbesondere die von seinem Vorgänger hinter¬ lassenen Rückstände, darunter die Vorlage über die Rekrutenkontingente und über die Beseitigung des Lx-Isx-Zustandes. Die Ankündigung der Opposition, daß es im Winter anders werden könnte, hat wenig zu besagen, da sie aus eigenen Kräften zu schwach ist. Zuwachs könnte ihr nur aus Unzufriedenen der Regierungspartei kommen, und daran dürfte es in Zukunft kaum fehlen. Denn die Abgeordneten bestehen ebenfalls wieder aus Mitgliedern der herrschenden politischen Koterie, der es weder mit der Einführung des allgemeinen Wahl¬ rechts noch mit einer einigermaßen gründlichen Verwaltungsreform jemals wirklich ernst sein kann. Kritische Aufsätze zum Vorentwurf eines neuen deutschen Strafgesetzbuches von Amtsrichter »7. Ernst Sontag Strafschärfungen und Sicherungsmaßncihmen des vorentwurfs eines neuen deutschen Strafgesetzbuches eben die Bestimmungen des Vorentwurfs, welche als die haupt¬ sächlichsten zu einer Humanisierung des Strafrechts bestimmt sind, zu mancherlei Bedenken Anlaß, so wird man um so uneingeschränkter den Paragraphen des Entwurfes zustimmen können, die eine Ver¬ schärfung des Strafrechts im Gefolge haben sollen. Echte Strafschärfungen bringt Z 18 V.E., welcher in Absatz 1 bestimmt: „Zeugt die Tat von besonderer Roheit, Bosheit oder Verworfenheit oder ist nach den Vorbestrafungen des Täters anzunehmen, daß der gewöhnliche Strafvollzug auf ihn nicht die erforderliche Wirkung aus¬ üben würde, so kann das Gericht im Urteile Schärfungen der Zuchthaus¬ oder Gefängnisstrafe anordnen. Es war die höchste Zeit, daß wir eine solche Handhabe gegen eine gewisse Sorte von Verbrechern bekommen. Es ist durchaus typisch, was einem Gefängnis¬ vorstande in Schlesien von einen: vielfach vorbestraften Subjekte ins Gesicht gesagt worden ist: „Für uns baut der Staat die Gefängnisse und ihr seid Gmizboten III 1910 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/381>, abgerufen am 25.04.2024.