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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Das Glück des Hauses Rottlanb

"Nein, Herr, verzeihen dürft Ihr mir nicht, denn, ob ich's schon möchte, so
kann ich doch nicht bereuen, was ich Euch hab' antun müssen. Es zog mich zu
ihm, wie es mich jetzt wieder zu dem Kinde gezogen hat. Hier zu Rottland war
mir das Leben zur Qual geworden, aber bei ihm war es eitel Freude und Lust."

"So willst du wieder zu ihm zurück?" fragte Herr Salentin mit bekümmerter
Miene.

"Nun nicht mehr," antwortete sie. "Er hat mich halten wollen, mit Gewalt,
als ob er ein Recht auf mich hätte. Da bin ich ihm gram geworden."

Sie ließ sich vom Stuhle gleiten und lag vor ihm auf den Knieen.

"Nicht wahr, Herr," flehte sie, "Ihr weist mich nicht vom Hofe? Laßt mich
wenigstens hier, bis Euer Kind wieder gesund ist. Dann will ich gern von selber
gehen und mir einen Dienst suchen. Das Arbeiten hab' ich noch nicht verlernt,
ob ich schon die zwei Jahre ein arges Lotterleben geführt habe."

Er schaute sie lange an und kam in Versuchung, seine Hand auf ihr schwarzes
Haar zu legen. Aber er bezwang sich und sagte, seine Bewegung niederkämpfend:

"So mag es denn sein, Merge. Ein anderer hat dich hergesandt, da darf
ich dich nicht wieder wegschicken."

Als er ein paar Augenblicke später zu den Schwestern in das Wohngemach
trat, strahlte sein Antlitz im Glänze weihevoller Freude.

"Hätte nie und nimmer gedacht, daß eine promssse solennelle so schnelle
Wirkung tut," erklärte er. "Vorhin, bevor ich in die Schlafkammer hinaufging,
hatte ich in meinem Herzen eine Reise nach Kevelaer gelobt, und nun ist das
Mirakel schon vollbracht. Wir dürfen unsere Sorge fahren lassen, denn das Kind
hat den Brei gegessen."

"Es hat sich von dir füttern lassen?" fragte die Gubernatorin mit einem
leisen Anflug von Eifersucht.

"Nicht von mir. Als ich die Tür öffnete, saß jemand bei ihm und gab ihm
zu essen."

"()noite mervöille!" rief die Priorin, das Brevier aus der Hand legend.
"Es kann nur ein Engel gewesen sein!"

Dem alten Herrn war es peinlich, daß er den frommen Glauben der Schwester
zerstören mußte.

"Für das Kind ist es ein Engel -- sans äoute," sagte er, "für uns freilich
ist es ein Mensch -- ein sündiger Mensch."
'

"Salentin, ich bitte dich, torquier uns nicht länger I" jammerte Frau
v. Ödinghoven, die vor Ungeduld verging. "Sprich doch endlich: wen hast du
oben gefunden?"

"Die Merge."

"Was?" schrie die Gubernatorin, "diese möonante Person hat es gewagt,
das Haus zu betreten, das sie durch aäultöre diffamiert hat?"

"Quelle ekkrontsriöl" stimmte Schwester Felicitas bei, "zwei Jahre ist sie
weggewesen, und nun, da ihr Galan ihrer überdrüssig geworden ist, kommt sie
"urück, als ob nichts geschehen seil"

"Ihr tut ihr unrecht," entgegnete der Freiherr ernst, "es sind die sentiments
mstsrnels, die sie wieder hergeführt haben."


Grenzboten IV 1911 ^
Das Glück des Hauses Rottlanb

„Nein, Herr, verzeihen dürft Ihr mir nicht, denn, ob ich's schon möchte, so
kann ich doch nicht bereuen, was ich Euch hab' antun müssen. Es zog mich zu
ihm, wie es mich jetzt wieder zu dem Kinde gezogen hat. Hier zu Rottland war
mir das Leben zur Qual geworden, aber bei ihm war es eitel Freude und Lust."

„So willst du wieder zu ihm zurück?" fragte Herr Salentin mit bekümmerter
Miene.

„Nun nicht mehr," antwortete sie. „Er hat mich halten wollen, mit Gewalt,
als ob er ein Recht auf mich hätte. Da bin ich ihm gram geworden."

Sie ließ sich vom Stuhle gleiten und lag vor ihm auf den Knieen.

„Nicht wahr, Herr," flehte sie, „Ihr weist mich nicht vom Hofe? Laßt mich
wenigstens hier, bis Euer Kind wieder gesund ist. Dann will ich gern von selber
gehen und mir einen Dienst suchen. Das Arbeiten hab' ich noch nicht verlernt,
ob ich schon die zwei Jahre ein arges Lotterleben geführt habe."

Er schaute sie lange an und kam in Versuchung, seine Hand auf ihr schwarzes
Haar zu legen. Aber er bezwang sich und sagte, seine Bewegung niederkämpfend:

„So mag es denn sein, Merge. Ein anderer hat dich hergesandt, da darf
ich dich nicht wieder wegschicken."

Als er ein paar Augenblicke später zu den Schwestern in das Wohngemach
trat, strahlte sein Antlitz im Glänze weihevoller Freude.

„Hätte nie und nimmer gedacht, daß eine promssse solennelle so schnelle
Wirkung tut," erklärte er. „Vorhin, bevor ich in die Schlafkammer hinaufging,
hatte ich in meinem Herzen eine Reise nach Kevelaer gelobt, und nun ist das
Mirakel schon vollbracht. Wir dürfen unsere Sorge fahren lassen, denn das Kind
hat den Brei gegessen."

„Es hat sich von dir füttern lassen?" fragte die Gubernatorin mit einem
leisen Anflug von Eifersucht.

„Nicht von mir. Als ich die Tür öffnete, saß jemand bei ihm und gab ihm
zu essen."

„()noite mervöille!" rief die Priorin, das Brevier aus der Hand legend.
„Es kann nur ein Engel gewesen sein!"

Dem alten Herrn war es peinlich, daß er den frommen Glauben der Schwester
zerstören mußte.

„Für das Kind ist es ein Engel — sans äoute," sagte er, „für uns freilich
ist es ein Mensch — ein sündiger Mensch."
'

„Salentin, ich bitte dich, torquier uns nicht länger I" jammerte Frau
v. Ödinghoven, die vor Ungeduld verging. „Sprich doch endlich: wen hast du
oben gefunden?"

„Die Merge."

„Was?" schrie die Gubernatorin, „diese möonante Person hat es gewagt,
das Haus zu betreten, das sie durch aäultöre diffamiert hat?"

„Quelle ekkrontsriöl" stimmte Schwester Felicitas bei, „zwei Jahre ist sie
weggewesen, und nun, da ihr Galan ihrer überdrüssig geworden ist, kommt sie
»urück, als ob nichts geschehen seil"

„Ihr tut ihr unrecht," entgegnete der Freiherr ernst, „es sind die sentiments
mstsrnels, die sie wieder hergeführt haben."


Grenzboten IV 1911 ^
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[0449] Das Glück des Hauses Rottlanb „Nein, Herr, verzeihen dürft Ihr mir nicht, denn, ob ich's schon möchte, so kann ich doch nicht bereuen, was ich Euch hab' antun müssen. Es zog mich zu ihm, wie es mich jetzt wieder zu dem Kinde gezogen hat. Hier zu Rottland war mir das Leben zur Qual geworden, aber bei ihm war es eitel Freude und Lust." „So willst du wieder zu ihm zurück?" fragte Herr Salentin mit bekümmerter Miene. „Nun nicht mehr," antwortete sie. „Er hat mich halten wollen, mit Gewalt, als ob er ein Recht auf mich hätte. Da bin ich ihm gram geworden." Sie ließ sich vom Stuhle gleiten und lag vor ihm auf den Knieen. „Nicht wahr, Herr," flehte sie, „Ihr weist mich nicht vom Hofe? Laßt mich wenigstens hier, bis Euer Kind wieder gesund ist. Dann will ich gern von selber gehen und mir einen Dienst suchen. Das Arbeiten hab' ich noch nicht verlernt, ob ich schon die zwei Jahre ein arges Lotterleben geführt habe." Er schaute sie lange an und kam in Versuchung, seine Hand auf ihr schwarzes Haar zu legen. Aber er bezwang sich und sagte, seine Bewegung niederkämpfend: „So mag es denn sein, Merge. Ein anderer hat dich hergesandt, da darf ich dich nicht wieder wegschicken." Als er ein paar Augenblicke später zu den Schwestern in das Wohngemach trat, strahlte sein Antlitz im Glänze weihevoller Freude. „Hätte nie und nimmer gedacht, daß eine promssse solennelle so schnelle Wirkung tut," erklärte er. „Vorhin, bevor ich in die Schlafkammer hinaufging, hatte ich in meinem Herzen eine Reise nach Kevelaer gelobt, und nun ist das Mirakel schon vollbracht. Wir dürfen unsere Sorge fahren lassen, denn das Kind hat den Brei gegessen." „Es hat sich von dir füttern lassen?" fragte die Gubernatorin mit einem leisen Anflug von Eifersucht. „Nicht von mir. Als ich die Tür öffnete, saß jemand bei ihm und gab ihm zu essen." „()noite mervöille!" rief die Priorin, das Brevier aus der Hand legend. „Es kann nur ein Engel gewesen sein!" Dem alten Herrn war es peinlich, daß er den frommen Glauben der Schwester zerstören mußte. „Für das Kind ist es ein Engel — sans äoute," sagte er, „für uns freilich ist es ein Mensch — ein sündiger Mensch." ' „Salentin, ich bitte dich, torquier uns nicht länger I" jammerte Frau v. Ödinghoven, die vor Ungeduld verging. „Sprich doch endlich: wen hast du oben gefunden?" „Die Merge." „Was?" schrie die Gubernatorin, „diese möonante Person hat es gewagt, das Haus zu betreten, das sie durch aäultöre diffamiert hat?" „Quelle ekkrontsriöl" stimmte Schwester Felicitas bei, „zwei Jahre ist sie weggewesen, und nun, da ihr Galan ihrer überdrüssig geworden ist, kommt sie »urück, als ob nichts geschehen seil" „Ihr tut ihr unrecht," entgegnete der Freiherr ernst, „es sind die sentiments mstsrnels, die sie wieder hergeführt haben." Grenzboten IV 1911 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/449>, abgerufen am 29.03.2024.