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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Airchspislvogt Mohr

Bücher und Akten als in sein entsprechendes Element. Freilich blieb Hebbel
auch in dieser neuen Stellung so subaltern, wie ihn sein Brodherr nur halten
konnte. Lohn bekam er von dem sauberen Patron, der schwarz wie sein Name
war, kaum zu sehen, obschon Mohr selbst ein Jahresgehalt von 11000 Mark
seiner Gemeinde entzog. Dafür erhielt der unverkennbar talentierte "Junge",
wie Mohr selbst später zugeben mußte, wobei er noch die unerhörte gewissen¬
lose Frechheit hatte, hinzuzufügen: "Sein schönster Schmuck war in meinen
Augen seine Bescheidenheit", die Beköstigung am Gesindetisch. Des weiteren
bekam der junge Hebbel die abgelegten Kleider des Herrn Kirchspielvogts zum
Auftragen, in denen er sich sicherlich so unwohl gefühlt hat wie ein Löwe in
einer Sauhaut. Nachts über mußte der Schöpfer der Rhodope unter dem
Treppenabsatz in einem Verschlag und auf einer Bettstatt mit dem Kutscher des
Herrn Vogt, dem alten Christoph, schlafen, der vermutlich auch nicht wie
Arabien duftete, trotzdem er ein gutmütiger, ehrlicher Kerl war, dem Hebbel
noch in einer treuen Dienerftgur seines schönen, unbekannten Stückes "Julia"
ein Ehrensäulchen errichtet hat. Selbst als der arme Pferdebursche am Fleck¬
typhus daniederlag, einer äußerst ansteckenden, gefährlichen Krankheit, die in¬
folge von schlecht gelüfteten, überfüllten Wohngelegenheiten einzutreten pflegt,
mußte das arme Schreiberlein Hebbel, um Mohr eine kleine Ausgabe und
Unbequemlichkeit zu ersparen, die enge Lagerstätte mit dem Fieberkranken weiter¬
teilen. Ja, schließlich ging der ehrsame Kirchspielvogt Mohr, die Stütze der
Gesellschaft in Wesselburen, sogar so weit, von seinem Schreiber zu verlangen,
er möchte doch die Dienstmagd, die sich von ihm, Hochwohlgeboren Mohr, hatte
schwängern lassen, gegen eine kleine Ausstattung, die er als Abschlag stiften
wollte, zur Frau nehmen: ein brutaler Antrag, der sogar für den Bäcker¬
gesellen, der ihn nachher einging, entehrend war und ihm die Verachtung
seiner Genossen zuzog."

Das ist eine moralische Verurteilung, wie sie schimpflicher nicht sein kann.
Sie schließt mit den Worten:

"In dem Machtkreis eines solchen Lumpen, dessen einziges Verdienst um
seine Bildung nach Hebbels eigenen Worten darin bestand, daß er ihm die
paar Bücher, die der Knabe bei ihm vorfand, nicht geradezu aus der Hand
riß. hat der Dichter volle acht Jugendjahre als Schreibknecht verschmachten
müssen. Und das entsetzlichste Gefühl des Proletariers, von dem der, der im
untersten Stande geboren ist, sich gar keine Vorstellung machen kann, das Gefühl
der aschgrauen, trostlosen Hoffnungslosigkeit seiner Lage. Hebbel hat es in
Wesselburen bis zur letzten, bittersten Hefe ausgekostet. Er ist die Folgen
dieses fürchterlichsten Pariadaseins nie mehr, selbst nicht in seinen letzten glück¬
lichsten, sorgenfreiesten, unabhängigen Wiener Jahren ganz losgeworden."

So unbarmherzig wie Eulenberg hat meines Wissens noch niemand den
Ktrchspielvogt Mohr behandelt -- selbst Hebbel nicht. Wo sind die Beweise
für diese niedenvuchtenden Behauptungen?


Airchspislvogt Mohr

Bücher und Akten als in sein entsprechendes Element. Freilich blieb Hebbel
auch in dieser neuen Stellung so subaltern, wie ihn sein Brodherr nur halten
konnte. Lohn bekam er von dem sauberen Patron, der schwarz wie sein Name
war, kaum zu sehen, obschon Mohr selbst ein Jahresgehalt von 11000 Mark
seiner Gemeinde entzog. Dafür erhielt der unverkennbar talentierte „Junge",
wie Mohr selbst später zugeben mußte, wobei er noch die unerhörte gewissen¬
lose Frechheit hatte, hinzuzufügen: „Sein schönster Schmuck war in meinen
Augen seine Bescheidenheit", die Beköstigung am Gesindetisch. Des weiteren
bekam der junge Hebbel die abgelegten Kleider des Herrn Kirchspielvogts zum
Auftragen, in denen er sich sicherlich so unwohl gefühlt hat wie ein Löwe in
einer Sauhaut. Nachts über mußte der Schöpfer der Rhodope unter dem
Treppenabsatz in einem Verschlag und auf einer Bettstatt mit dem Kutscher des
Herrn Vogt, dem alten Christoph, schlafen, der vermutlich auch nicht wie
Arabien duftete, trotzdem er ein gutmütiger, ehrlicher Kerl war, dem Hebbel
noch in einer treuen Dienerftgur seines schönen, unbekannten Stückes „Julia"
ein Ehrensäulchen errichtet hat. Selbst als der arme Pferdebursche am Fleck¬
typhus daniederlag, einer äußerst ansteckenden, gefährlichen Krankheit, die in¬
folge von schlecht gelüfteten, überfüllten Wohngelegenheiten einzutreten pflegt,
mußte das arme Schreiberlein Hebbel, um Mohr eine kleine Ausgabe und
Unbequemlichkeit zu ersparen, die enge Lagerstätte mit dem Fieberkranken weiter¬
teilen. Ja, schließlich ging der ehrsame Kirchspielvogt Mohr, die Stütze der
Gesellschaft in Wesselburen, sogar so weit, von seinem Schreiber zu verlangen,
er möchte doch die Dienstmagd, die sich von ihm, Hochwohlgeboren Mohr, hatte
schwängern lassen, gegen eine kleine Ausstattung, die er als Abschlag stiften
wollte, zur Frau nehmen: ein brutaler Antrag, der sogar für den Bäcker¬
gesellen, der ihn nachher einging, entehrend war und ihm die Verachtung
seiner Genossen zuzog."

Das ist eine moralische Verurteilung, wie sie schimpflicher nicht sein kann.
Sie schließt mit den Worten:

„In dem Machtkreis eines solchen Lumpen, dessen einziges Verdienst um
seine Bildung nach Hebbels eigenen Worten darin bestand, daß er ihm die
paar Bücher, die der Knabe bei ihm vorfand, nicht geradezu aus der Hand
riß. hat der Dichter volle acht Jugendjahre als Schreibknecht verschmachten
müssen. Und das entsetzlichste Gefühl des Proletariers, von dem der, der im
untersten Stande geboren ist, sich gar keine Vorstellung machen kann, das Gefühl
der aschgrauen, trostlosen Hoffnungslosigkeit seiner Lage. Hebbel hat es in
Wesselburen bis zur letzten, bittersten Hefe ausgekostet. Er ist die Folgen
dieses fürchterlichsten Pariadaseins nie mehr, selbst nicht in seinen letzten glück¬
lichsten, sorgenfreiesten, unabhängigen Wiener Jahren ganz losgeworden."

So unbarmherzig wie Eulenberg hat meines Wissens noch niemand den
Ktrchspielvogt Mohr behandelt — selbst Hebbel nicht. Wo sind die Beweise
für diese niedenvuchtenden Behauptungen?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/116>, abgerufen am 25.04.2024.