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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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kränzen 99) ist aber in zu altem, gemeinem Gebrauch, als daß
ich aus solchen Stellen eine Uebereinstimmung mit späterer
Gewohnheit beweisen wollte. Wichtiger scheint mir die Wahr-
nehmung, daß es nie, weder den alten noch jüngeren Meistern,
eingefallen ist, einen König ihres Gesanges zu haben 100), da
sie nicht nur bei Volkssängern, sondern selbst bei gleichzeitigen
Franzosen und späterhin bei Niederländern das Vorbild dazu
gefunden hätten, wovon noch nachgehends.

IV. Tradition der späteren Meister.

Einen weiteren Beweis für das Alter des Meistergesangs
erkenne ich in der hier als bekannt vorausgesetzten Erzählung
der späteren von dem Ursprung ihrer Kunst. Diese hat ganz
die Natur jeder Sage, den unhistorischen Schein und das
fluctuirende Wesen. Auch noch dann, als Bestimmungen hin-
zugekommen, welche mit ihr in Widerspruch stehen, erhält sie
sich fort und zum Beweis, sie stamme nicht aus einer einzigen
neuen Quelle her, hat sie sich fast in jeder Schule anders
gestaltet. Keiner der Gesänge, die sie uns berichten, steigt
über das 16te Jahrhundert hinaus, und dennoch darf man sie
am wenigsten für eine Erdichtung der damaligen Zeit halten.
Nur eines zu gedenken. Dazumal wiederholten gedruckte Chro-
niken die Geschichte des Wartb. Kr.; wäre man also darauf
verfallen der Meisterkunst einen alten Ursprung anzudichten, so
würde man vor allen die gerühmten Meister dieses Krieges
mit aufgenommen haben, allein den Biterolf, den rugendhaf-

99) Bekanntlich findet bei den spätern Meistern der Unterschied
statt, daß die Krone das eigentliche Kleinod, die Kranzgabe
aber ein viel geringerer Preis ist, so wie auch die Singschul
feierlicher gehalten wurde, als das bloße Kranzsingen.
100) Ueber den Kunig von Otenwalde (s. Docens Dichterverz.
p. 146.) aus dem 14ten Jahrhundert wäre erst nähere Auskunft
zu wünschen.
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kraͤnzen 99) iſt aber in zu altem, gemeinem Gebrauch, als daß
ich aus ſolchen Stellen eine Uebereinſtimmung mit ſpaͤterer
Gewohnheit beweiſen wollte. Wichtiger ſcheint mir die Wahr-
nehmung, daß es nie, weder den alten noch juͤngeren Meiſtern,
eingefallen iſt, einen Koͤnig ihres Geſanges zu haben 100), da
ſie nicht nur bei Volksſaͤngern, ſondern ſelbſt bei gleichzeitigen
Franzoſen und ſpaͤterhin bei Niederlaͤndern das Vorbild dazu
gefunden haͤtten, wovon noch nachgehends.

IV. Tradition der ſpaͤteren Meiſter.

Einen weiteren Beweis fuͤr das Alter des Meiſtergeſangs
erkenne ich in der hier als bekannt vorausgeſetzten Erzaͤhlung
der ſpaͤteren von dem Urſprung ihrer Kunſt. Dieſe hat ganz
die Natur jeder Sage, den unhiſtoriſchen Schein und das
fluctuirende Weſen. Auch noch dann, als Beſtimmungen hin-
zugekommen, welche mit ihr in Widerſpruch ſtehen, erhaͤlt ſie
ſich fort und zum Beweis, ſie ſtamme nicht aus einer einzigen
neuen Quelle her, hat ſie ſich faſt in jeder Schule anders
geſtaltet. Keiner der Geſaͤnge, die ſie uns berichten, ſteigt
uͤber das 16te Jahrhundert hinaus, und dennoch darf man ſie
am wenigſten fuͤr eine Erdichtung der damaligen Zeit halten.
Nur eines zu gedenken. Dazumal wiederholten gedruckte Chro-
niken die Geſchichte des Wartb. Kr.; waͤre man alſo darauf
verfallen der Meiſterkunſt einen alten Urſprung anzudichten, ſo
wuͤrde man vor allen die geruͤhmten Meiſter dieſes Krieges
mit aufgenommen haben, allein den Biterolf, den rugendhaf-

99) Bekanntlich findet bei den ſpaͤtern Meiſtern der Unterſchied
ſtatt, daß die Krone das eigentliche Kleinod, die Kranzgabe
aber ein viel geringerer Preis iſt, ſo wie auch die Singſchul
feierlicher gehalten wurde, als das bloße Kranzſingen.
100) Ueber den Kunig von Otenwalde (ſ. Docens Dichterverz.
p. 146.) aus dem 14ten Jahrhundert waͤre erſt naͤhere Auskunft
zu wuͤnſchen.
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[115/0125] kraͤnzen 99) iſt aber in zu altem, gemeinem Gebrauch, als daß ich aus ſolchen Stellen eine Uebereinſtimmung mit ſpaͤterer Gewohnheit beweiſen wollte. Wichtiger ſcheint mir die Wahr- nehmung, daß es nie, weder den alten noch juͤngeren Meiſtern, eingefallen iſt, einen Koͤnig ihres Geſanges zu haben 100), da ſie nicht nur bei Volksſaͤngern, ſondern ſelbſt bei gleichzeitigen Franzoſen und ſpaͤterhin bei Niederlaͤndern das Vorbild dazu gefunden haͤtten, wovon noch nachgehends. IV. Tradition der ſpaͤteren Meiſter. Einen weiteren Beweis fuͤr das Alter des Meiſtergeſangs erkenne ich in der hier als bekannt vorausgeſetzten Erzaͤhlung der ſpaͤteren von dem Urſprung ihrer Kunſt. Dieſe hat ganz die Natur jeder Sage, den unhiſtoriſchen Schein und das fluctuirende Weſen. Auch noch dann, als Beſtimmungen hin- zugekommen, welche mit ihr in Widerſpruch ſtehen, erhaͤlt ſie ſich fort und zum Beweis, ſie ſtamme nicht aus einer einzigen neuen Quelle her, hat ſie ſich faſt in jeder Schule anders geſtaltet. Keiner der Geſaͤnge, die ſie uns berichten, ſteigt uͤber das 16te Jahrhundert hinaus, und dennoch darf man ſie am wenigſten fuͤr eine Erdichtung der damaligen Zeit halten. Nur eines zu gedenken. Dazumal wiederholten gedruckte Chro- niken die Geſchichte des Wartb. Kr.; waͤre man alſo darauf verfallen der Meiſterkunſt einen alten Urſprung anzudichten, ſo wuͤrde man vor allen die geruͤhmten Meiſter dieſes Krieges mit aufgenommen haben, allein den Biterolf, den rugendhaf- 99) Bekanntlich findet bei den ſpaͤtern Meiſtern der Unterſchied ſtatt, daß die Krone das eigentliche Kleinod, die Kranzgabe aber ein viel geringerer Preis iſt, ſo wie auch die Singſchul feierlicher gehalten wurde, als das bloße Kranzſingen. 100) Ueber den Kunig von Otenwalde (ſ. Docens Dichterverz. p. 146.) aus dem 14ten Jahrhundert waͤre erſt naͤhere Auskunft zu wuͤnſchen. H 2

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/125>, abgerufen am 19.04.2024.