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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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Einleitung.


Ich halte es für besonders nothwendig, den Leser in den
Gesichtspunct zu bringen, worin ein zwischen Herrn Docen in
München und mir über das Verhältniß des Minnesangs zum
Meistergesang gepflogener literärischer Streit Anfangs gestanden,
und wie er sich nunmehr gewendet hat. Ob ich nämlich gleich
den ersten Band des altdeutschen Museums in den Händen
aller Freunde altdeutscher Literatur voraussetzen darf, und darin
mein Gegner nicht nur seinen ersten Aufsatz gänzlich, sondern
auch die meinigen größten Theils und auszugsweise wiederum
abdrucken lassen, so muß gerade eine einfache Darstellung der
Sache den Lefern jener Zeitschrift selbst zu einem Bedürfniß
geworden seyn.

Wenige Zeilen, die ich vor einigen Jahren (1807.) in dem
neuen liter. Anz. erscheinen ließ, hatten die Absicht, Quellen
und Hülfsmittel zu erwecken, welche für eine gründliche Aus-
einandersetzung der nachstehenden Meinung erst gebraucht wer-
den mußten. Ich stellte auf, daß man in der Geschichte un-
serer altdeutschen Poesie falsch verfahre, wenn man die Mei-
sterfänger von den früheren Minnedichtern trenne, für welche
Trennung man nicht einmal eine bestimmte Zeit anzusetzen wisse,
beide seyen identisch, und ihrem Grundwesen nach, das ich in
nichts anders, als in die bisher mehr an den Meisterfängern
verachtete, wie an den Minneliedern bewunderte, in keinen von
beiden aber recht verstandene Künstlichkeit legen konnte.

Die von Herrn Docen in demselben Blatt dagegen ein-
gerückte Bestreitung, halte ich, aufrichtig zu gestehen, noch
jetzo für eigens unklar geschrieben, und daß ein gewisser ab-
thuender Ton absichtlich streitentzündend gewesen seyn soll (S. 81.)

Einleitung.


Ich halte es fuͤr beſonders nothwendig, den Leſer in den
Geſichtspunct zu bringen, worin ein zwiſchen Herrn Docen in
Muͤnchen und mir uͤber das Verhaͤltniß des Minneſangs zum
Meiſtergeſang gepflogener literaͤriſcher Streit Anfangs geſtanden,
und wie er ſich nunmehr gewendet hat. Ob ich naͤmlich gleich
den erſten Band des altdeutſchen Muſeums in den Haͤnden
aller Freunde altdeutſcher Literatur vorausſetzen darf, und darin
mein Gegner nicht nur ſeinen erſten Aufſatz gaͤnzlich, ſondern
auch die meinigen groͤßten Theils und auszugsweiſe wiederum
abdrucken laſſen, ſo muß gerade eine einfache Darſtellung der
Sache den Lefern jener Zeitſchrift ſelbſt zu einem Beduͤrfniß
geworden ſeyn.

Wenige Zeilen, die ich vor einigen Jahren (1807.) in dem
neuen liter. Anz. erſcheinen ließ, hatten die Abſicht, Quellen
und Huͤlfsmittel zu erwecken, welche fuͤr eine gruͤndliche Aus-
einanderſetzung der nachſtehenden Meinung erſt gebraucht wer-
den mußten. Ich ſtellte auf, daß man in der Geſchichte un-
ſerer altdeutſchen Poeſie falſch verfahre, wenn man die Mei-
ſterfaͤnger von den fruͤheren Minnedichtern trenne, fuͤr welche
Trennung man nicht einmal eine beſtimmte Zeit anzuſetzen wiſſe,
beide ſeyen identiſch, und ihrem Grundweſen nach, das ich in
nichts anders, als in die bisher mehr an den Meiſterfaͤngern
verachtete, wie an den Minneliedern bewunderte, in keinen von
beiden aber recht verſtandene Kuͤnſtlichkeit legen konnte.

Die von Herrn Docen in demſelben Blatt dagegen ein-
geruͤckte Beſtreitung, halte ich, aufrichtig zu geſtehen, noch
jetzo fuͤr eigens unklar geſchrieben, und daß ein gewiſſer ab-
thuender Ton abſichtlich ſtreitentzuͤndend geweſen ſeyn ſoll (S. 81.)

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[13/0023] Einleitung. Ich halte es fuͤr beſonders nothwendig, den Leſer in den Geſichtspunct zu bringen, worin ein zwiſchen Herrn Docen in Muͤnchen und mir uͤber das Verhaͤltniß des Minneſangs zum Meiſtergeſang gepflogener literaͤriſcher Streit Anfangs geſtanden, und wie er ſich nunmehr gewendet hat. Ob ich naͤmlich gleich den erſten Band des altdeutſchen Muſeums in den Haͤnden aller Freunde altdeutſcher Literatur vorausſetzen darf, und darin mein Gegner nicht nur ſeinen erſten Aufſatz gaͤnzlich, ſondern auch die meinigen groͤßten Theils und auszugsweiſe wiederum abdrucken laſſen, ſo muß gerade eine einfache Darſtellung der Sache den Lefern jener Zeitſchrift ſelbſt zu einem Beduͤrfniß geworden ſeyn. Wenige Zeilen, die ich vor einigen Jahren (1807.) in dem neuen liter. Anz. erſcheinen ließ, hatten die Abſicht, Quellen und Huͤlfsmittel zu erwecken, welche fuͤr eine gruͤndliche Aus- einanderſetzung der nachſtehenden Meinung erſt gebraucht wer- den mußten. Ich ſtellte auf, daß man in der Geſchichte un- ſerer altdeutſchen Poeſie falſch verfahre, wenn man die Mei- ſterfaͤnger von den fruͤheren Minnedichtern trenne, fuͤr welche Trennung man nicht einmal eine beſtimmte Zeit anzuſetzen wiſſe, beide ſeyen identiſch, und ihrem Grundweſen nach, das ich in nichts anders, als in die bisher mehr an den Meiſterfaͤngern verachtete, wie an den Minneliedern bewunderte, in keinen von beiden aber recht verſtandene Kuͤnſtlichkeit legen konnte. Die von Herrn Docen in demſelben Blatt dagegen ein- geruͤckte Beſtreitung, halte ich, aufrichtig zu geſtehen, noch jetzo fuͤr eigens unklar geſchrieben, und daß ein gewiſſer ab- thuender Ton abſichtlich ſtreitentzuͤndend geweſen ſeyn ſoll (S. 81.)

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/23>, abgerufen am 29.03.2024.