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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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I. Die Zeit der Salier.
weit schärfer das durch den Regierungswechsel keinen Augenblick
erloschene Herrschaftsrecht des Reiches in jener Antwort an die
Pavesen betonte: "Wenn der König gestorben ist, so ist doch das
Reich geblieben, wie das Schiff bleibt, dessen Steuermann zu Grunde
geht." Die Bischofspartei mit dem getreuen Leo von Vercelli (+ 1026)
an der Spitze hatte unter Heinrich die sichere Basis der deutschen
Herrschaft abgegeben; an ihrer Haltung scheiterte auch jetzt die
von den weltlichen Großen aufgestellte italische Thronkandidatur
eines Sohnes des Herzogs Wilhelm V. von Aquitanien, sie vor-
nehmlich trug das erste Romfahrtunternehmen Konrads (1026-27).

Aber die Anwendung derselben Grundsätze wie in Deutsch-
land führte den Kaiser hier nach kurzer Zeit zu einer viel hand-
greiflicheren Abkehr von der Politik seines Vorgängers. Einmal
wußte er, wie dort die Herzöge, so hier die Markgrafen bald mit
seiner Herrschaft zu versöhnen und durch Familienverbindungen
enger an Deutschland zu ketten.1) Dann aber brachte ihn die in
Übereinstimmung mit seinem deutschen Vorgehen auch hier ergriffene
Parteinahme für die kleineren Lehensträger bei den scharf und
eigenartig zugespitzten ständischen Verhältnissen der Lombardei,
die durch die persönliche Machtpolitik des stolzen und herrischen
Erzbischofs Aribert von Mailand noch ihre besondere Färbung er-
hielten, zuletzt gar in einen offenen Konflikt mit den Bischöfen.

Die städtische Entwicklung Norditaliens war der deutschen
weit vorausgeeilt. Autonomistische Erhebungen der Bürgerschaften
gegen die mit den früheren Grafenrechten und der gesamten
Regelung des Verkehrswesens betrauten bischöflichen Stadtherren,
wie sie in Deutschland erst gegen Ende des Jahrhunderts einsetzten,
kannte man hier schon seit Jahrzehnten. Eine Ausnahme machte
indes die mächtigste Stadt Mailand. Solange hier noch ein welt-
licher Vertreter des Kaisers die Grafenrechte wahrnahm, gingen
im Gegensatze zu ihm Erzbischof und Bürgerschaft einträchtig zu-
sammen. Dadurch gestärkt, konnte Aribert gegenüber den kleineren
Lehensträgern, den Valvassoren, wie sie hier im Unterschied zu
den mit Grafschaften und Grafenrechten belehnten Fürsten oder
Kapitanen bezeichnet zu werden pflegten, um so eigenmächtiger ver-
fahren; er nutzte jede Gelegenheit zur Einziehung ihrer Lehen,
deren Erblichkeit hier so wenig wie in Deutschland bis dahin
grundsätzlich anerkannt war. Darüber kam es zum Aufruhr der
Valvassoren und zu ihrer Vertreibung aus Mailand (1035), und

1) Folgenreich waren namentlich die Verbindung des Hauses Este mit
den süddeutschen Welfen und die Vermählung des Markgrafen Bonifaz von
Canossa mit Beatrix, der Tochter des verstorbenen Herzogs Friedrich von
Oberlothringen.

I. Die Zeit der Salier.
weit schärfer das durch den Regierungswechsel keinen Augenblick
erloschene Herrschaftsrecht des Reiches in jener Antwort an die
Pavesen betonte: „Wenn der König gestorben ist, so ist doch das
Reich geblieben, wie das Schiff bleibt, dessen Steuermann zu Grunde
geht.“ Die Bischofspartei mit dem getreuen Leo von Vercelli († 1026)
an der Spitze hatte unter Heinrich die sichere Basis der deutschen
Herrschaft abgegeben; an ihrer Haltung scheiterte auch jetzt die
von den weltlichen Großen aufgestellte italische Thronkandidatur
eines Sohnes des Herzogs Wilhelm V. von Aquitanien, sie vor-
nehmlich trug das erste Romfahrtunternehmen Konrads (1026‒27).

Aber die Anwendung derselben Grundsätze wie in Deutsch-
land führte den Kaiser hier nach kurzer Zeit zu einer viel hand-
greiflicheren Abkehr von der Politik seines Vorgängers. Einmal
wußte er, wie dort die Herzöge, so hier die Markgrafen bald mit
seiner Herrschaft zu versöhnen und durch Familienverbindungen
enger an Deutschland zu ketten.1) Dann aber brachte ihn die in
Übereinstimmung mit seinem deutschen Vorgehen auch hier ergriffene
Parteinahme für die kleineren Lehensträger bei den scharf und
eigenartig zugespitzten ständischen Verhältnissen der Lombardei,
die durch die persönliche Machtpolitik des stolzen und herrischen
Erzbischofs Aribert von Mailand noch ihre besondere Färbung er-
hielten, zuletzt gar in einen offenen Konflikt mit den Bischöfen.

Die städtische Entwicklung Norditaliens war der deutschen
weit vorausgeeilt. Autonomistische Erhebungen der Bürgerschaften
gegen die mit den früheren Grafenrechten und der gesamten
Regelung des Verkehrswesens betrauten bischöflichen Stadtherren,
wie sie in Deutschland erst gegen Ende des Jahrhunderts einsetzten,
kannte man hier schon seit Jahrzehnten. Eine Ausnahme machte
indes die mächtigste Stadt Mailand. Solange hier noch ein welt-
licher Vertreter des Kaisers die Grafenrechte wahrnahm, gingen
im Gegensatze zu ihm Erzbischof und Bürgerschaft einträchtig zu-
sammen. Dadurch gestärkt, konnte Aribert gegenüber den kleineren
Lehensträgern, den Valvassoren, wie sie hier im Unterschied zu
den mit Grafschaften und Grafenrechten belehnten Fürsten oder
Kapitanen bezeichnet zu werden pflegten, um so eigenmächtiger ver-
fahren; er nutzte jede Gelegenheit zur Einziehung ihrer Lehen,
deren Erblichkeit hier so wenig wie in Deutschland bis dahin
grundsätzlich anerkannt war. Darüber kam es zum Aufruhr der
Valvassoren und zu ihrer Vertreibung aus Mailand (1035), und

1) Folgenreich waren namentlich die Verbindung des Hauses Este mit
den süddeutschen Welfen und die Vermählung des Markgrafen Bonifaz von
Canossa mit Beatrix, der Tochter des verstorbenen Herzogs Friedrich von
Oberlothringen.
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[14/0022] I. Die Zeit der Salier. weit schärfer das durch den Regierungswechsel keinen Augenblick erloschene Herrschaftsrecht des Reiches in jener Antwort an die Pavesen betonte: „Wenn der König gestorben ist, so ist doch das Reich geblieben, wie das Schiff bleibt, dessen Steuermann zu Grunde geht.“ Die Bischofspartei mit dem getreuen Leo von Vercelli († 1026) an der Spitze hatte unter Heinrich die sichere Basis der deutschen Herrschaft abgegeben; an ihrer Haltung scheiterte auch jetzt die von den weltlichen Großen aufgestellte italische Thronkandidatur eines Sohnes des Herzogs Wilhelm V. von Aquitanien, sie vor- nehmlich trug das erste Romfahrtunternehmen Konrads (1026‒27). Aber die Anwendung derselben Grundsätze wie in Deutsch- land führte den Kaiser hier nach kurzer Zeit zu einer viel hand- greiflicheren Abkehr von der Politik seines Vorgängers. Einmal wußte er, wie dort die Herzöge, so hier die Markgrafen bald mit seiner Herrschaft zu versöhnen und durch Familienverbindungen enger an Deutschland zu ketten. 1) Dann aber brachte ihn die in Übereinstimmung mit seinem deutschen Vorgehen auch hier ergriffene Parteinahme für die kleineren Lehensträger bei den scharf und eigenartig zugespitzten ständischen Verhältnissen der Lombardei, die durch die persönliche Machtpolitik des stolzen und herrischen Erzbischofs Aribert von Mailand noch ihre besondere Färbung er- hielten, zuletzt gar in einen offenen Konflikt mit den Bischöfen. Die städtische Entwicklung Norditaliens war der deutschen weit vorausgeeilt. Autonomistische Erhebungen der Bürgerschaften gegen die mit den früheren Grafenrechten und der gesamten Regelung des Verkehrswesens betrauten bischöflichen Stadtherren, wie sie in Deutschland erst gegen Ende des Jahrhunderts einsetzten, kannte man hier schon seit Jahrzehnten. Eine Ausnahme machte indes die mächtigste Stadt Mailand. Solange hier noch ein welt- licher Vertreter des Kaisers die Grafenrechte wahrnahm, gingen im Gegensatze zu ihm Erzbischof und Bürgerschaft einträchtig zu- sammen. Dadurch gestärkt, konnte Aribert gegenüber den kleineren Lehensträgern, den Valvassoren, wie sie hier im Unterschied zu den mit Grafschaften und Grafenrechten belehnten Fürsten oder Kapitanen bezeichnet zu werden pflegten, um so eigenmächtiger ver- fahren; er nutzte jede Gelegenheit zur Einziehung ihrer Lehen, deren Erblichkeit hier so wenig wie in Deutschland bis dahin grundsätzlich anerkannt war. Darüber kam es zum Aufruhr der Valvassoren und zu ihrer Vertreibung aus Mailand (1035), und 1) Folgenreich waren namentlich die Verbindung des Hauses Este mit den süddeutschen Welfen und die Vermählung des Markgrafen Bonifaz von Canossa mit Beatrix, der Tochter des verstorbenen Herzogs Friedrich von Oberlothringen.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/22>, abgerufen am 19.04.2024.