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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 4. Die Anfänge Heinrichs IV. und Gregors VII. (1065-1075).
einen Tag nach Alexanders Tode (1073) in tumultuarischer, völlig
ungesetzlicher Weise als Gregor VII. zum Papst erhoben1).

Auch Gregor VII. ist erst spät in seiner wahren Bedeutung
erkannt2). Den Zeitgenossen vielfach unheimlich, später lange
Jahrhunderte als selbstsüchtiger Kirchentyrann schlechthin beurteilt,
hat er erst in neuerer Zeit eine ruhigere Würdigung gefunden, die
freilich noch immer einigermaßen von konfessioneller Voreingenommen-
heit getrübt ist3). In seiner kleinen Gestalt mit den bleichen und
häßlichen Gesichtszügen lebte eine Feuerseele, ein durchdringender
Geist, dem sich die wirren Erscheinungen der Außenwelt mühelos
zum klaren, wohlabgerundeten System zusammenschlossen, ohne daß
daneben ein Zug zum Phantastischen gefehlt hätte, eine Gemüts-
kraft, weit entfernt von jeglicher Ruhe der Betrachtung, aber erfüllt
von mystischen Antrieben und dem Bewußtsein einer unmittelbaren
Beziehung zu überirdischen Mächten, -- vor allem aber ein alles
meisternder, stahlharter Wille, verbunden mit einem dämonisch-
stürmischen Temperamente, das "rauh wie der Nordwind" seine
Umgebung anfuhr und dem Papste von Damiani die Bezeichnung
"heiliger Satan" eintrug. Diese gewaltige Persönlichkeit hatte sich
nun mit allen ihren Kräften derart in den Dienst einer einzigen
großen Idee gestellt, daß sie gleichsam nur noch als deren Ver-
körperung erschien. Diese Idee war die Verwirklichung des Gottes-
reiches hienieden unter Leitung des Papstes als des Vertreters der
von Christus eingesetzten apostolischen Gewalt, der die Brücke
bildete zwischen Diesseits und Jenseits, und dem daher die unein-
geschränkte Verfügung über alles Geistliche und Weltliche auf Erden
zustehen mußte. Vorstellungen und Handlungen Gregors waren
durch die ausschließliche Hingabe an diese Idee völlig bestimmt,
für das, was ihr widerstrebte, fehlte ihm alles Verständnis. Selb-

1) Über eine fälschende Darstellung des Wahlvorgangs im päpstlichen
Register vgl. Richter, Ann. III, 2, 105; Meyer v. Knonau II, 205.
2) Vgl. Giesebrecht III, 1086 ff., Meyer v. Knonau IV, 531 ff.
3) Seine großartige kirchliche Reformtätigkeit ist zuerst von dem Pro-
testanten Joh. Voigt (Hildebrand als Papst G. VII. u. s. Zeitalter 1815;
2. Aufl. 1846) mit einer Wärme gewürdigt, die dem Verf. den Ruf eines ver-
kappten Katholiken eintrug. In ähnlicher Richtung bewegt sich das neuere
Werk von Delarc (S. Greg. VII. et la reforme de l'eglise au XIe siecle, 3 Bde.
1889/90), während Gfrörer (P. Gr. VII. u. s. Zeitalter, 7 Bde. 1859-61)
mit noch stärkerer Tendenz das Verhältnis des Papstes zum Staat zum Mittel-
punkt seiner weitausholenden Darstellung machte. Das Buch von Martens
(G. VII., sein Leben u. Wirken, 2 Bde. 1894) erstrebt in Einzeluntersuchungen
eine unparteiischere kritische Grundlegung. Die bedeutendste Charakteristik
verdanken wir Hauck, der indes seine politische Begabung u. welthistorische
Größe doch wohl zu niedrig wertet. Eine befriedigende Gesamtbiographie
fehlt. Zu den zeitgenöss. Quellen vgl. oben S. u. 4.

§ 4. Die Anfänge Heinrichs IV. und Gregors VII. (1065‒1075).
einen Tag nach Alexanders Tode (1073) in tumultuarischer, völlig
ungesetzlicher Weise als Gregor VII. zum Papst erhoben1).

Auch Gregor VII. ist erst spät in seiner wahren Bedeutung
erkannt2). Den Zeitgenossen vielfach unheimlich, später lange
Jahrhunderte als selbstsüchtiger Kirchentyrann schlechthin beurteilt,
hat er erst in neuerer Zeit eine ruhigere Würdigung gefunden, die
freilich noch immer einigermaßen von konfessioneller Voreingenommen-
heit getrübt ist3). In seiner kleinen Gestalt mit den bleichen und
häßlichen Gesichtszügen lebte eine Feuerseele, ein durchdringender
Geist, dem sich die wirren Erscheinungen der Außenwelt mühelos
zum klaren, wohlabgerundeten System zusammenschlossen, ohne daß
daneben ein Zug zum Phantastischen gefehlt hätte, eine Gemüts-
kraft, weit entfernt von jeglicher Ruhe der Betrachtung, aber erfüllt
von mystischen Antrieben und dem Bewußtsein einer unmittelbaren
Beziehung zu überirdischen Mächten, — vor allem aber ein alles
meisternder, stahlharter Wille, verbunden mit einem dämonisch-
stürmischen Temperamente, das „rauh wie der Nordwind“ seine
Umgebung anfuhr und dem Papste von Damiani die Bezeichnung
„heiliger Satan“ eintrug. Diese gewaltige Persönlichkeit hatte sich
nun mit allen ihren Kräften derart in den Dienst einer einzigen
großen Idee gestellt, daß sie gleichsam nur noch als deren Ver-
körperung erschien. Diese Idee war die Verwirklichung des Gottes-
reiches hienieden unter Leitung des Papstes als des Vertreters der
von Christus eingesetzten apostolischen Gewalt, der die Brücke
bildete zwischen Diesseits und Jenseits, und dem daher die unein-
geschränkte Verfügung über alles Geistliche und Weltliche auf Erden
zustehen mußte. Vorstellungen und Handlungen Gregors waren
durch die ausschließliche Hingabe an diese Idee völlig bestimmt,
für das, was ihr widerstrebte, fehlte ihm alles Verständnis. Selb-

1) Über eine fälschende Darstellung des Wahlvorgangs im päpstlichen
Register vgl. Richter, Ann. III, 2, 105; Meyer v. Knonau II, 205.
2) Vgl. Giesebrecht III, 1086 ff., Meyer v. Knonau IV, 531 ff.
3) Seine großartige kirchliche Reformtätigkeit ist zuerst von dem Pro-
testanten Joh. Voigt (Hildebrand als Papst G. VII. u. s. Zeitalter 1815;
2. Aufl. 1846) mit einer Wärme gewürdigt, die dem Verf. den Ruf eines ver-
kappten Katholiken eintrug. In ähnlicher Richtung bewegt sich das neuere
Werk von Delarc (S. Grég. VII. et la reforme de l'église au XIe siècle, 3 Bde.
1889/90), während Gfrörer (P. Gr. VII. u. s. Zeitalter, 7 Bde. 1859‒61)
mit noch stärkerer Tendenz das Verhältnis des Papstes zum Staat zum Mittel-
punkt seiner weitausholenden Darstellung machte. Das Buch von Martens
(G. VII., sein Leben u. Wirken, 2 Bde. 1894) erstrebt in Einzeluntersuchungen
eine unparteiischere kritische Grundlegung. Die bedeutendste Charakteristik
verdanken wir Hauck, der indes seine politische Begabung u. welthistorische
Größe doch wohl zu niedrig wertet. Eine befriedigende Gesamtbiographie
fehlt. Zu den zeitgenöss. Quellen vgl. oben S. u. 4.
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[43/0051] § 4. Die Anfänge Heinrichs IV. und Gregors VII. (1065‒1075). einen Tag nach Alexanders Tode (1073) in tumultuarischer, völlig ungesetzlicher Weise als Gregor VII. zum Papst erhoben 1). Auch Gregor VII. ist erst spät in seiner wahren Bedeutung erkannt 2). Den Zeitgenossen vielfach unheimlich, später lange Jahrhunderte als selbstsüchtiger Kirchentyrann schlechthin beurteilt, hat er erst in neuerer Zeit eine ruhigere Würdigung gefunden, die freilich noch immer einigermaßen von konfessioneller Voreingenommen- heit getrübt ist 3). In seiner kleinen Gestalt mit den bleichen und häßlichen Gesichtszügen lebte eine Feuerseele, ein durchdringender Geist, dem sich die wirren Erscheinungen der Außenwelt mühelos zum klaren, wohlabgerundeten System zusammenschlossen, ohne daß daneben ein Zug zum Phantastischen gefehlt hätte, eine Gemüts- kraft, weit entfernt von jeglicher Ruhe der Betrachtung, aber erfüllt von mystischen Antrieben und dem Bewußtsein einer unmittelbaren Beziehung zu überirdischen Mächten, — vor allem aber ein alles meisternder, stahlharter Wille, verbunden mit einem dämonisch- stürmischen Temperamente, das „rauh wie der Nordwind“ seine Umgebung anfuhr und dem Papste von Damiani die Bezeichnung „heiliger Satan“ eintrug. Diese gewaltige Persönlichkeit hatte sich nun mit allen ihren Kräften derart in den Dienst einer einzigen großen Idee gestellt, daß sie gleichsam nur noch als deren Ver- körperung erschien. Diese Idee war die Verwirklichung des Gottes- reiches hienieden unter Leitung des Papstes als des Vertreters der von Christus eingesetzten apostolischen Gewalt, der die Brücke bildete zwischen Diesseits und Jenseits, und dem daher die unein- geschränkte Verfügung über alles Geistliche und Weltliche auf Erden zustehen mußte. Vorstellungen und Handlungen Gregors waren durch die ausschließliche Hingabe an diese Idee völlig bestimmt, für das, was ihr widerstrebte, fehlte ihm alles Verständnis. Selb- 1) Über eine fälschende Darstellung des Wahlvorgangs im päpstlichen Register vgl. Richter, Ann. III, 2, 105; Meyer v. Knonau II, 205. 2) Vgl. Giesebrecht III, 1086 ff., Meyer v. Knonau IV, 531 ff. 3) Seine großartige kirchliche Reformtätigkeit ist zuerst von dem Pro- testanten Joh. Voigt (Hildebrand als Papst G. VII. u. s. Zeitalter 1815; 2. Aufl. 1846) mit einer Wärme gewürdigt, die dem Verf. den Ruf eines ver- kappten Katholiken eintrug. In ähnlicher Richtung bewegt sich das neuere Werk von Delarc (S. Grég. VII. et la reforme de l'église au XIe siècle, 3 Bde. 1889/90), während Gfrörer (P. Gr. VII. u. s. Zeitalter, 7 Bde. 1859‒61) mit noch stärkerer Tendenz das Verhältnis des Papstes zum Staat zum Mittel- punkt seiner weitausholenden Darstellung machte. Das Buch von Martens (G. VII., sein Leben u. Wirken, 2 Bde. 1894) erstrebt in Einzeluntersuchungen eine unparteiischere kritische Grundlegung. Die bedeutendste Charakteristik verdanken wir Hauck, der indes seine politische Begabung u. welthistorische Größe doch wohl zu niedrig wertet. Eine befriedigende Gesamtbiographie fehlt. Zu den zeitgenöss. Quellen vgl. oben S. u. 4.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/51>, abgerufen am 28.03.2024.