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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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verschieden ausfallen, als die Vorstellungen selbst. (Man
vergleiche §. 44.) So nun entsteht zwar etwas mehr ver-
wickeltes, aber doch ähnliches, wie vorhin.

Aber das Auge, wenn es eine Gestalt auffassen will,
bewegt sich, wie schon oben erinnert, nicht in Einer ge-
raden Linie, sondern es läuft hin und wieder. Durch
jede Bewegung vorwärts erzeugt sich eine Menge von
Reproductionsgesetzen; durch jede Bewegung rückwärts
werden sie wirksam, wegen des erneuerten Anblicks des
früher Geschehenen. Was ist schneller, als die Bewe-
gungen eines geübten Auges *); und was also wird schnel-
ler fertig als eine räumliche Auffassung?

Da aber der Begriff des Raumes auf dem Merkmale
des Aussereinander beruht, so wollen wir jetzt noch
genauer die psychologische Möglichkeit erwägen, dass et-
was als aussereinander könne wahrgenommen werden.

Das Aussereinander erfordert einen Punct ausser
dem andern
; und strenge genommen weiter gar Nichts,
nicht einmal ein Mittleres zwischen beyden; wie
sogleich daraus erhellt, dass, wofern ein solches Mittleres
vorhanden ist, alsdann dasselbe sich ausser Jedem
der beyden
, dadurch getrennten, Puncte, befindet, folg-
lich zur Darstellung des Aussereinander nun schon Einer
der beyden Puncte überflüssig wird, und die einfachste
Darstellung des Aussereinander schon überschritten ist.
Woher es nun komme, dass dennoch die Phantasie sich
sträubt, sich etwas als Aussereinander vorzustellen ohne
ein Mittleres dazwischen, -- wobey ihr noch obendrein
Geometer und Philosophen so kräftig als möglich das
Wort geredet haben, -- davon wird sich der Grund auf
dem Wege der psychologischen Forschung entdecken.

*) Hiebey darf man nicht gerade voraussetzen, das Auge gehe
genau auf einer Linie vorwärts und rückwärts; welches vielmehr sehr
selten geschehn wird. Aber jede, auch die kleinste, krummlinigte
Bewegung geht vorwärts und rückwärts in Ansehung des Perpendikels
auf die Sehne des Bogens.

verschieden ausfallen, als die Vorstellungen selbst. (Man
vergleiche §. 44.) So nun entsteht zwar etwas mehr ver-
wickeltes, aber doch ähnliches, wie vorhin.

Aber das Auge, wenn es eine Gestalt auffassen will,
bewegt sich, wie schon oben erinnert, nicht in Einer ge-
raden Linie, sondern es läuft hin und wieder. Durch
jede Bewegung vorwärts erzeugt sich eine Menge von
Reproductionsgesetzen; durch jede Bewegung rückwärts
werden sie wirksam, wegen des erneuerten Anblicks des
früher Geschehenen. Was ist schneller, als die Bewe-
gungen eines geübten Auges *); und was also wird schnel-
ler fertig als eine räumliche Auffassung?

Da aber der Begriff des Raumes auf dem Merkmale
des Auſsereinander beruht, so wollen wir jetzt noch
genauer die psychologische Möglichkeit erwägen, daſs et-
was als auſsereinander könne wahrgenommen werden.

Das Auſsereinander erfordert einen Punct auſser
dem andern
; und strenge genommen weiter gar Nichts,
nicht einmal ein Mittleres zwischen beyden; wie
sogleich daraus erhellt, daſs, wofern ein solches Mittleres
vorhanden ist, alsdann dasselbe sich auſser Jedem
der beyden
, dadurch getrennten, Puncte, befindet, folg-
lich zur Darstellung des Auſsereinander nun schon Einer
der beyden Puncte überflüssig wird, und die einfachste
Darstellung des Auſsereinander schon überschritten ist.
Woher es nun komme, daſs dennoch die Phantasie sich
sträubt, sich etwas als Auſsereinander vorzustellen ohne
ein Mittleres dazwischen, — wobey ihr noch obendrein
Geometer und Philosophen so kräftig als möglich das
Wort geredet haben, — davon wird sich der Grund auf
dem Wege der psychologischen Forschung entdecken.

*) Hiebey darf man nicht gerade voraussetzen, das Auge gehe
genau auf einer Linie vorwärts und rückwärts; welches vielmehr sehr
selten geschehn wird. Aber jede, auch die kleinste, krummlinigte
Bewegung geht vorwärts und rückwärts in Ansehung des Perpendikels
auf die Sehne des Bogens.
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[134/0169] verschieden ausfallen, als die Vorstellungen selbst. (Man vergleiche §. 44.) So nun entsteht zwar etwas mehr ver- wickeltes, aber doch ähnliches, wie vorhin. Aber das Auge, wenn es eine Gestalt auffassen will, bewegt sich, wie schon oben erinnert, nicht in Einer ge- raden Linie, sondern es läuft hin und wieder. Durch jede Bewegung vorwärts erzeugt sich eine Menge von Reproductionsgesetzen; durch jede Bewegung rückwärts werden sie wirksam, wegen des erneuerten Anblicks des früher Geschehenen. Was ist schneller, als die Bewe- gungen eines geübten Auges *); und was also wird schnel- ler fertig als eine räumliche Auffassung? Da aber der Begriff des Raumes auf dem Merkmale des Auſsereinander beruht, so wollen wir jetzt noch genauer die psychologische Möglichkeit erwägen, daſs et- was als auſsereinander könne wahrgenommen werden. Das Auſsereinander erfordert einen Punct auſser dem andern; und strenge genommen weiter gar Nichts, nicht einmal ein Mittleres zwischen beyden; wie sogleich daraus erhellt, daſs, wofern ein solches Mittleres vorhanden ist, alsdann dasselbe sich auſser Jedem der beyden, dadurch getrennten, Puncte, befindet, folg- lich zur Darstellung des Auſsereinander nun schon Einer der beyden Puncte überflüssig wird, und die einfachste Darstellung des Auſsereinander schon überschritten ist. Woher es nun komme, daſs dennoch die Phantasie sich sträubt, sich etwas als Auſsereinander vorzustellen ohne ein Mittleres dazwischen, — wobey ihr noch obendrein Geometer und Philosophen so kräftig als möglich das Wort geredet haben, — davon wird sich der Grund auf dem Wege der psychologischen Forschung entdecken. *) Hiebey darf man nicht gerade voraussetzen, das Auge gehe genau auf einer Linie vorwärts und rückwärts; welches vielmehr sehr selten geschehn wird. Aber jede, auch die kleinste, krummlinigte Bewegung geht vorwärts und rückwärts in Ansehung des Perpendikels auf die Sehne des Bogens.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/169>, abgerufen am 25.04.2024.