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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795.

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de als Sprossen Eines Baumes erzogen
werden, giebt es kein wahres Ver-
ständniß der Gemüther, keine ge-
meinsame patriotische Bildung,
keine innige Mit- und Zusammen-
empfindung, kein vaterländisches
Publicum mehr
. Entweder bequemt
man sich nach der fremden Denkart des
Andern, und buhlt ohne Dank und Kraft
um dessen leere Vorstellungsweise, wie um
einen nichtigen Schatten; oder man spricht
und schreibt nicht für ihn; er ist ein tod-
tes oder ein hinderndes, oft feindlich-wir-
kendes Glied der Gemeine. Wenn die
Stimme des Vaterlandes die Stimme
Gottes ist, so kann diese zu gemeinschaft-
lichen, allumfassenden, und aufs tiefste
greifenden Zwecken nur in der Sprache
des Vaterlandes
tönen; sie muß von
Jugend auf, durch alle Classen der Na-

Fünfte Samml. (E)

de als Sproſſen Eines Baumes erzogen
werden, giebt es kein wahres Ver-
ſtaͤndniß der Gemuͤther, keine ge-
meinſame patriotiſche Bildung,
keine innige Mit- und Zuſammen-
empfindung, kein vaterlaͤndiſches
Publicum mehr
. Entweder bequemt
man ſich nach der fremden Denkart des
Andern, und buhlt ohne Dank und Kraft
um deſſen leere Vorſtellungsweiſe, wie um
einen nichtigen Schatten; oder man ſpricht
und ſchreibt nicht fuͤr ihn; er iſt ein tod-
tes oder ein hinderndes, oft feindlich-wir-
kendes Glied der Gemeine. Wenn die
Stimme des Vaterlandes die Stimme
Gottes iſt, ſo kann dieſe zu gemeinſchaft-
lichen, allumfaſſenden, und aufs tiefſte
greifenden Zwecken nur in der Sprache
des Vaterlandes
toͤnen; ſie muß von
Jugend auf, durch alle Claſſen der Na-

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[65/0080] de als Sproſſen Eines Baumes erzogen werden, giebt es kein wahres Ver- ſtaͤndniß der Gemuͤther, keine ge- meinſame patriotiſche Bildung, keine innige Mit- und Zuſammen- empfindung, kein vaterlaͤndiſches Publicum mehr. Entweder bequemt man ſich nach der fremden Denkart des Andern, und buhlt ohne Dank und Kraft um deſſen leere Vorſtellungsweiſe, wie um einen nichtigen Schatten; oder man ſpricht und ſchreibt nicht fuͤr ihn; er iſt ein tod- tes oder ein hinderndes, oft feindlich-wir- kendes Glied der Gemeine. Wenn die Stimme des Vaterlandes die Stimme Gottes iſt, ſo kann dieſe zu gemeinſchaft- lichen, allumfaſſenden, und aufs tiefſte greifenden Zwecken nur in der Sprache des Vaterlandes toͤnen; ſie muß von Jugend auf, durch alle Claſſen der Na- Fuͤnfte Samml. (E)

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/80>, abgerufen am 28.03.2024.