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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

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Daß für die Mahlerei dies alles anders sei,
sieht jeder. Die ist fürs Auge und spricht fürs
Auge: denn Farbe ist nur der getheilte Lichtstral,
die Augensprache. Jn ihr kann das Haar schwe-
ben und duften, und wie Seide spielen und schlin-
gen und sich umwinden. Die Werke der Mah-
lerei sind nicht blind, sie schauen und sprechen:
das allgegenwärtige Licht kann Einen hellen
Punkt zum Auge, das in die Seele geht, bele-
ben;
es ist ja Farben-Zauber- und Licht-
tafel.



3.

Wie weit kann die Bildnerei Häßlichkeiten
bilden? und die Mahlerei Häßlich-
keiten mahlen?

Antwort. So weit jeder Kunst es ihr Sinn
erlaubet, das Gesicht dem Gemählde, dem
Bilde das Gefühl. Beide aber stehn mit
nichten auf Einem Grunde.

Jener Mahler, der einen verwesenden Leich-
nam so hinzauberte, daß, nicht wie in
Poußins Gemählde, der Zuschauer auf der
Tafel, sondern jeder leibhafte Zuschauer selbst,

sich

Daß fuͤr die Mahlerei dies alles anders ſei,
ſieht jeder. Die iſt fuͤrs Auge und ſpricht fuͤrs
Auge: denn Farbe iſt nur der getheilte Lichtſtral,
die Augenſprache. Jn ihr kann das Haar ſchwe-
ben und duften, und wie Seide ſpielen und ſchlin-
gen und ſich umwinden. Die Werke der Mah-
lerei ſind nicht blind, ſie ſchauen und ſprechen:
das allgegenwaͤrtige Licht kann Einen hellen
Punkt zum Auge, das in die Seele geht, bele-
ben;
es iſt ja Farben-Zauber- und Licht-
tafel.



3.

Wie weit kann die Bildnerei Haͤßlichkeiten
bilden? und die Mahlerei Haͤßlich-
keiten mahlen?

Antwort. So weit jeder Kunſt es ihr Sinn
erlaubet, das Geſicht dem Gemaͤhlde, dem
Bilde das Gefuͤhl. Beide aber ſtehn mit
nichten auf Einem Grunde.

Jener Mahler, der einen verweſenden Leich-
nam ſo hinzauberte, daß, nicht wie in
Poußins Gemaͤhlde, der Zuſchauer auf der
Tafel, ſondern jeder leibhafte Zuſchauer ſelbſt,

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[48/0051] Daß fuͤr die Mahlerei dies alles anders ſei, ſieht jeder. Die iſt fuͤrs Auge und ſpricht fuͤrs Auge: denn Farbe iſt nur der getheilte Lichtſtral, die Augenſprache. Jn ihr kann das Haar ſchwe- ben und duften, und wie Seide ſpielen und ſchlin- gen und ſich umwinden. Die Werke der Mah- lerei ſind nicht blind, ſie ſchauen und ſprechen: das allgegenwaͤrtige Licht kann Einen hellen Punkt zum Auge, das in die Seele geht, bele- ben; es iſt ja Farben-Zauber- und Licht- tafel. 3. Wie weit kann die Bildnerei Haͤßlichkeiten bilden? und die Mahlerei Haͤßlich- keiten mahlen? Antwort. So weit jeder Kunſt es ihr Sinn erlaubet, das Geſicht dem Gemaͤhlde, dem Bilde das Gefuͤhl. Beide aber ſtehn mit nichten auf Einem Grunde. Jener Mahler, der einen verweſenden Leich- nam ſo hinzauberte, daß, nicht wie in Poußins Gemaͤhlde, der Zuſchauer auf der Tafel, ſondern jeder leibhafte Zuſchauer ſelbſt, ſich

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/51>, abgerufen am 29.03.2024.