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Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896.

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Der Plan.

Der ganze Plan ist in seiner Grundform unendlich einfach,
und muss es ja auch sein, wenn er von allen Menschen verstanden
werden soll.

Man gebe uns die Souveränetät eines für unsere gerechten
Volksbedürfnisse genügenden Stückes der Erdoberfläche, alles
andere werden wir selbst besorgen.

Das Entstehen einer neuen Souveränetät ist nichts Lächerliches
oder Unmögliches. Wir haben es doch in unseren Tagen
miterlebt, bei Völkern, die nicht wie wir Mittelstandsvölker,
sondern ärmere, ungebildete und darum schwächere Völker
sind. Uns die Souveränetät zu verschaffen, sind die Regierungen
der vom Antisemitismus heimgesuchten Länder lebhaft interessirt.

Es werden für die im Princip einfache, in der Durchführung
complicirte Aufgabe zwei grosse Organe geschaffen: die
Society of Jews und die Jewish Company.

Was die Society of Jews wissenschaftlich und politisch
vorbereitet hat, führt die Jewish Company praktisch aus.

Die Jewish Company besorgt die Liquidirung aller Vermögensinteressen
der abziehenden Juden und organisirt im
neuen Lande den wirthschaftlichen Verkehr.

Den Abzug der Juden darf man sich, wie schon gesagt
wurde, nicht als einen plötzlichen vorstellen. Es wird ein allmäliger
sein und Jahrzehnte dauern. Zuerst werden die Aermsten
gehen und das Land urbar machen. Sie werden nach einem von
vornherein feststehenden Plane Strassen, Brücken, Bahnen bauen,
Telegraphen errichten, Flüsse reguliren, und sich selbst ihre
Heimstätten schaffen. Ihre Arbeit bringt den Verkehr, der Verkehr
die Märkte, die Märkte locken neue Ansiedler heran.
Denn jeder kommt freiwillig, auf eigene Kosten und Gefahr.
Die Arbeit, die wir in die Erde versenken, steigert den Werth
des Landes. Die Juden werden schnell einsehen, dass sich für
ihre bisher gehasste und verachtete Unternehmungslust ein
neues, dauerndes Gebiet erschlossen hat.

Will man heute ein Land gründen, darf man es nicht in
der Weise machen, die vor tausend Jahren die einzig mögliche
gewesen wäre. Es ist thöricht, auf alte Culturstufen zurückzukehren,
wie es manche Zionisten möchten. Kämen wir beispielsweise
in die Lage, ein Land von wilden Thieren zu säubern,
würden wir es nicht in der Art der Europäer aus dem fünften
Jahrhundert thun. Wir würden nicht einzeln mit Speer und
Lanze gegen Bären ausziehen, sondern eine grosse fröhliche
Jagd veranstalten, die Bestien zusammentreiben und eine Melinitbombe
unter sie werfen.

Der Plan.

Der ganze Plan ist in seiner Grundform unendlich einfach,
und muss es ja auch sein, wenn er von allen Menschen verstanden
werden soll.

Man gebe uns die Souveränetät eines für unsere gerechten
Volksbedürfnisse genügenden Stückes der Erdoberfläche, alles
andere werden wir selbst besorgen.

Das Entstehen einer neuen Souveränetät ist nichts Lächerliches
oder Unmögliches. Wir haben es doch in unseren Tagen
miterlebt, bei Völkern, die nicht wie wir Mittelstandsvölker,
sondern ärmere, ungebildete und darum schwächere Völker
sind. Uns die Souveränetät zu verschaffen, sind die Regierungen
der vom Antisemitismus heimgesuchten Länder lebhaft interessirt.

Es werden für die im Princip einfache, in der Durchführung
complicirte Aufgabe zwei grosse Organe geschaffen: die
Society of Jews und die Jewish Company.

Was die Society of Jews wissenschaftlich und politisch
vorbereitet hat, führt die Jewish Company praktisch aus.

Die Jewish Company besorgt die Liquidirung aller Vermögensinteressen
der abziehenden Juden und organisirt im
neuen Lande den wirthschaftlichen Verkehr.

Den Abzug der Juden darf man sich, wie schon gesagt
wurde, nicht als einen plötzlichen vorstellen. Es wird ein allmäliger
sein und Jahrzehnte dauern. Zuerst werden die Aermsten
gehen und das Land urbar machen. Sie werden nach einem von
vornherein feststehenden Plane Strassen, Brücken, Bahnen bauen,
Telegraphen errichten, Flüsse reguliren, und sich selbst ihre
Heimstätten schaffen. Ihre Arbeit bringt den Verkehr, der Verkehr
die Märkte, die Märkte locken neue Ansiedler heran.
Denn jeder kommt freiwillig, auf eigene Kosten und Gefahr.
Die Arbeit, die wir in die Erde versenken, steigert den Werth
des Landes. Die Juden werden schnell einsehen, dass sich für
ihre bisher gehasste und verachtete Unternehmungslust ein
neues, dauerndes Gebiet erschlossen hat.

Will man heute ein Land gründen, darf man es nicht in
der Weise machen, die vor tausend Jahren die einzig mögliche
gewesen wäre. Es ist thöricht, auf alte Culturstufen zurückzukehren,
wie es manche Zionisten möchten. Kämen wir beispielsweise
in die Lage, ein Land von wilden Thieren zu säubern,
würden wir es nicht in der Art der Europäer aus dem fünften
Jahrhundert thun. Wir würden nicht einzeln mit Speer und
Lanze gegen Bären ausziehen, sondern eine grosse fröhliche
Jagd veranstalten, die Bestien zusammentreiben und eine Melinitbombe
unter sie werfen.

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Zitationshilfe: Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herzl_judenstaat_1896/27>, abgerufen am 28.03.2024.