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Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896.

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Vorrede.


Der Gedanke, den ich in dieser Schrift ausführe, ist ein
uralter. Es ist die Herstellung des Judenstaates.

Die Welt widerhallt vom Geschrei gegen die Juden, und
das weckt den eingeschlummerten Gedanken auf.

Ich erfinde nichts, das wolle man sich vor Allem und auf
jedem Punkte meiner Ausführungen deutlich vor Augen halten.
Ich erfinde weder die geschichtlich gewordenen Zustände der
Juden, noch die Mittel zur Abhilfe. Die materiellen Bestandtheile
des Baues, den ich entwerfe, sind in der Wirklichkeit
vorhanden, sind mit Händen zu greifen; jeder kann sich davon
überzeugen. Will man also diesen Versuch einer Lösung der
Judenfrage mit einem Worte kennzeichnen, so darf man ihn
nicht "Phantasie", sondern höchstens "Combination" nennen.

Gegen die Behandlung als Utopie muss ich meinen Entwurf
zuerst vertheidigen. Eigentlich bewahre ich damit nur die
oberflächlichen Beurtheiler vor einer Albernheit, die sie begehen
könnten. Es wäre ja keine Schande, eine menschenfreundliche
Utopie geschrieben zu haben. Ich könnte mir auch einen leichteren
literarischen Erfolg bereiten, wenn ich für Leser, die sich unterhalten
wollen, diesen Plan in den gleichsam unverantwortlichen
Vortrag eines Romans brächte. Aber das ist keine solche liebenswürdige
Utopie, wie man sie vor und nach Thomas Morus so
häufig producirt hat. Und ich glaube, die Lage der Juden in

Vorrede.


Der Gedanke, den ich in dieser Schrift ausführe, ist ein
uralter. Es ist die Herstellung des Judenstaates.

Die Welt widerhallt vom Geschrei gegen die Juden, und
das weckt den eingeschlummerten Gedanken auf.

Ich erfinde nichts, das wolle man sich vor Allem und auf
jedem Punkte meiner Ausführungen deutlich vor Augen halten.
Ich erfinde weder die geschichtlich gewordenen Zustände der
Juden, noch die Mittel zur Abhilfe. Die materiellen Bestandtheile
des Baues, den ich entwerfe, sind in der Wirklichkeit
vorhanden, sind mit Händen zu greifen; jeder kann sich davon
überzeugen. Will man also diesen Versuch einer Lösung der
Judenfrage mit einem Worte kennzeichnen, so darf man ihn
nicht „Phantasie“, sondern höchstens „Combination“ nennen.

Gegen die Behandlung als Utopie muss ich meinen Entwurf
zuerst vertheidigen. Eigentlich bewahre ich damit nur die
oberflächlichen Beurtheiler vor einer Albernheit, die sie begehen
könnten. Es wäre ja keine Schande, eine menschenfreundliche
Utopie geschrieben zu haben. Ich könnte mir auch einen leichteren
literarischen Erfolg bereiten, wenn ich für Leser, die sich unterhalten
wollen, diesen Plan in den gleichsam unverantwortlichen
Vortrag eines Romans brächte. Aber das ist keine solche liebenswürdige
Utopie, wie man sie vor und nach Thomas Morus so
häufig producirt hat. Und ich glaube, die Lage der Juden in

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[0003] Vorrede. Der Gedanke, den ich in dieser Schrift ausführe, ist ein uralter. Es ist die Herstellung des Judenstaates. Die Welt widerhallt vom Geschrei gegen die Juden, und das weckt den eingeschlummerten Gedanken auf. Ich erfinde nichts, das wolle man sich vor Allem und auf jedem Punkte meiner Ausführungen deutlich vor Augen halten. Ich erfinde weder die geschichtlich gewordenen Zustände der Juden, noch die Mittel zur Abhilfe. Die materiellen Bestandtheile des Baues, den ich entwerfe, sind in der Wirklichkeit vorhanden, sind mit Händen zu greifen; jeder kann sich davon überzeugen. Will man also diesen Versuch einer Lösung der Judenfrage mit einem Worte kennzeichnen, so darf man ihn nicht „Phantasie“, sondern höchstens „Combination“ nennen. Gegen die Behandlung als Utopie muss ich meinen Entwurf zuerst vertheidigen. Eigentlich bewahre ich damit nur die oberflächlichen Beurtheiler vor einer Albernheit, die sie begehen könnten. Es wäre ja keine Schande, eine menschenfreundliche Utopie geschrieben zu haben. Ich könnte mir auch einen leichteren literarischen Erfolg bereiten, wenn ich für Leser, die sich unterhalten wollen, diesen Plan in den gleichsam unverantwortlichen Vortrag eines Romans brächte. Aber das ist keine solche liebenswürdige Utopie, wie man sie vor und nach Thomas Morus so häufig producirt hat. Und ich glaube, die Lage der Juden in

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Zitationshilfe: Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herzl_judenstaat_1896/3>, abgerufen am 24.04.2024.