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Hilbert, David: Mathematische Probleme. Vortrag, gehalten auf dem internationalen Mathematiker-Kongreß zu Paris 1900. Göttingen, 1900.

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D. Hilbert,
19. Sind die Lösungen regulärer Variationsprobleme stets notwendig analytisch?

Eine der begrifflich merkwürdigsten Thatsachen in den Ele-
menten der Theorie der analytischen Functionen erblicke ich dar-
in, daß es partielle Differentialgleichungen giebt, deren Integrale
sämtlich notwendig analytische Functionen der unabhän-
gigen Variabeln sind, die also, kurz gesagt, nur analytischer Lö-
sungen fähig sind. Die bekanntesten partiellen Differentialglei-
chungen dieser Art sind die Potentialgleichung
[Formel 1] und gewisse von Picard1) untersuchte lineare Differentialglei-
chungen, ferner die Differentialgleichung
[Formel 2] die partielle Differentialgleichung der Minimalfläche und andere.
Die Mehrzahl dieser partiellen Differentialgleichungen haben als
Merkmal miteinander gemein, daß sie die Lagrangeschen Diffe-
rentialgleichungen gewisser Variationsprobleme sind und zwar sol-
cher Variationsprobleme
[Formel 3] bei denen für alle in Frage kommenden Argumente die Unglei-
chung
[Formel 4] gilt, während F selbst eine analytische Function ist. Wir wollen
ein solches Variationsproblem ein reguläres Variationsproblem
nennen. Die regulären Variationsprobleme sind es vornehmlich,
die in der Geometrie, Mechanik und mathematischen Physik eine
Rolle spielen, und es liegt die Frage nahe, ob alle Lösungen re-
gulärer Variationsprobleme stets notwendig analytische Func-
tionen sein müssen, d. h. ob jede Lagrangesche partielle Differen-
tialgleichung eines regulären Variationsproblems die Eigenschaft hat,
daß sie nur analytische Integrale zuläßt
-- selbst wenn man, wie
bei dem Dirichletschen Potentialprobleme, der Function irgend
welche stetige, aber nicht analytische Randwerte aufzwingt.

1) Journal de l'Ecole Polytechnique 1890.
D. Hilbert,
19. Sind die Lösungen regulärer Variationsprobleme stets notwendig analytisch?

Eine der begrifflich merkwürdigsten Thatsachen in den Ele-
menten der Theorie der analytischen Functionen erblicke ich dar-
in, daß es partielle Differentialgleichungen giebt, deren Integrale
sämtlich notwendig analytische Functionen der unabhän-
gigen Variabeln sind, die also, kurz gesagt, nur analytischer Lö-
sungen fähig sind. Die bekanntesten partiellen Differentialglei-
chungen dieser Art sind die Potentialgleichung
[Formel 1] und gewisse von Picard1) untersuchte lineare Differentialglei-
chungen, ferner die Differentialgleichung
[Formel 2] die partielle Differentialgleichung der Minimalfläche und andere.
Die Mehrzahl dieser partiellen Differentialgleichungen haben als
Merkmal miteinander gemein, daß sie die Lagrangeschen Diffe-
rentialgleichungen gewisser Variationsprobleme sind und zwar sol-
cher Variationsprobleme
[Formel 3] bei denen für alle in Frage kommenden Argumente die Unglei-
chung
[Formel 4] gilt, während F selbst eine analytische Function ist. Wir wollen
ein solches Variationsproblem ein reguläres Variationsproblem
nennen. Die regulären Variationsprobleme sind es vornehmlich,
die in der Geometrie, Mechanik und mathematischen Physik eine
Rolle spielen, und es liegt die Frage nahe, ob alle Lösungen re-
gulärer Variationsprobleme stets notwendig analytische Func-
tionen sein müssen, d. h. ob jede Lagrangesche partielle Differen-
tialgleichung eines regulären Variationsproblems die Eigenschaft hat,
daß sie nur analytische Integrale zuläßt
— selbst wenn man, wie
bei dem Dirichletschen Potentialprobleme, der Function irgend
welche stetige, aber nicht analytische Randwerte aufzwingt.

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[288/0044] D. Hilbert, 19. Sind die Lösungen regulärer Variationsprobleme stets notwendig analytisch? Eine der begrifflich merkwürdigsten Thatsachen in den Ele- menten der Theorie der analytischen Functionen erblicke ich dar- in, daß es partielle Differentialgleichungen giebt, deren Integrale sämtlich notwendig analytische Functionen der unabhän- gigen Variabeln sind, die also, kurz gesagt, nur analytischer Lö- sungen fähig sind. Die bekanntesten partiellen Differentialglei- chungen dieser Art sind die Potentialgleichung [FORMEL] und gewisse von Picard 1) untersuchte lineare Differentialglei- chungen, ferner die Differentialgleichung [FORMEL] die partielle Differentialgleichung der Minimalfläche und andere. Die Mehrzahl dieser partiellen Differentialgleichungen haben als Merkmal miteinander gemein, daß sie die Lagrangeschen Diffe- rentialgleichungen gewisser Variationsprobleme sind und zwar sol- cher Variationsprobleme [FORMEL] bei denen für alle in Frage kommenden Argumente die Unglei- chung [FORMEL] gilt, während F selbst eine analytische Function ist. Wir wollen ein solches Variationsproblem ein reguläres Variationsproblem nennen. Die regulären Variationsprobleme sind es vornehmlich, die in der Geometrie, Mechanik und mathematischen Physik eine Rolle spielen, und es liegt die Frage nahe, ob alle Lösungen re- gulärer Variationsprobleme stets notwendig analytische Func- tionen sein müssen, d. h. ob jede Lagrangesche partielle Differen- tialgleichung eines regulären Variationsproblems die Eigenschaft hat, daß sie nur analytische Integrale zuläßt — selbst wenn man, wie bei dem Dirichletschen Potentialprobleme, der Function irgend welche stetige, aber nicht analytische Randwerte aufzwingt. 1) Journal de l’École Polytechnique 1890.

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Zitationshilfe: Hilbert, David: Mathematische Probleme. Vortrag, gehalten auf dem internationalen Mathematiker-Kongreß zu Paris 1900. Göttingen, 1900, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hilbert_mathematische_1900/44>, abgerufen am 28.03.2024.