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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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Noch wer ich dieses Gesprächs wegen
in einer unaussprechlichen Bewegung, in ei-
ner schwermüthigen Wonne -- auf einem
schönen baumreichen Kirchhofe; als Herr
v. G -- der jüngere mich im Namen mei-
nes Vaters aufsuchte. Ich flog, mein Va-
ter reichte mir die Hand entgegen, und ging
mit mir auf unser Zimmer, stieß ein Fenster
auf, und fing an: "Ich dachte, Alexander,
"noch vier und zwanzig Stunden um Dich
"zu seyn; mein Amt will mich. Der --
"ist im Letzten."

Dieser arme Mann war ein Bekannter
von uns. Das erst' und letztemal, da er
eine Flinte losdrückte, oder vielmehr, da sie,
ohne sein Vorwißen und Mitwürckung, in sei-
ner unerfahrnen Hand losging, erschoß er
seinen Sohn. Er wollte seiner Frauenbru-
der, der auf Vogelwild ausgegangen war,
eine unerwartete Freude machen, und ihm in
Jägeruniform entgegen kommen. -- Das
Trauerspiel geschahe in dieses Jagdverständi-
gen Hause, und also nicht in unserm Kirch-
spiel, wo, wie meine Mutter zu sagen pfleg-
te, die Erde keinen Tropfen unschuldig Blut
(er wäre denn von meinem Balbier versprützt)
getruncken hätte. -- Knall und Fall! Die

Ge-

Noch wer ich dieſes Geſpraͤchs wegen
in einer unausſprechlichen Bewegung, in ei-
ner ſchwermuͤthigen Wonne — auf einem
ſchoͤnen baumreichen Kirchhofe; als Herr
v. G — der juͤngere mich im Namen mei-
nes Vaters aufſuchte. Ich flog, mein Va-
ter reichte mir die Hand entgegen, und ging
mit mir auf unſer Zimmer, ſtieß ein Fenſter
auf, und fing an: „Ich dachte, Alexander,
„noch vier und zwanzig Stunden um Dich
„zu ſeyn; mein Amt will mich. Der —
„iſt im Letzten.“

Dieſer arme Mann war ein Bekannter
von uns. Das erſt’ und letztemal, da er
eine Flinte losdruͤckte, oder vielmehr, da ſie,
ohne ſein Vorwißen und Mitwuͤrckung, in ſei-
ner unerfahrnen Hand losging, erſchoß er
ſeinen Sohn. Er wollte ſeiner Frauenbru-
der, der auf Vogelwild ausgegangen war,
eine unerwartete Freude machen, und ihm in
Jaͤgeruniform entgegen kommen. — Das
Trauerſpiel geſchahe in dieſes Jagdverſtaͤndi-
gen Hauſe, und alſo nicht in unſerm Kirch-
ſpiel, wo, wie meine Mutter zu ſagen pfleg-
te, die Erde keinen Tropfen unſchuldig Blut
(er waͤre denn von meinem Balbier verſpruͤtzt)
getruncken haͤtte. — Knall und Fall! Die

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[523/0539] Noch wer ich dieſes Geſpraͤchs wegen in einer unausſprechlichen Bewegung, in ei- ner ſchwermuͤthigen Wonne — auf einem ſchoͤnen baumreichen Kirchhofe; als Herr v. G — der juͤngere mich im Namen mei- nes Vaters aufſuchte. Ich flog, mein Va- ter reichte mir die Hand entgegen, und ging mit mir auf unſer Zimmer, ſtieß ein Fenſter auf, und fing an: „Ich dachte, Alexander, „noch vier und zwanzig Stunden um Dich „zu ſeyn; mein Amt will mich. Der — „iſt im Letzten.“ Dieſer arme Mann war ein Bekannter von uns. Das erſt’ und letztemal, da er eine Flinte losdruͤckte, oder vielmehr, da ſie, ohne ſein Vorwißen und Mitwuͤrckung, in ſei- ner unerfahrnen Hand losging, erſchoß er ſeinen Sohn. Er wollte ſeiner Frauenbru- der, der auf Vogelwild ausgegangen war, eine unerwartete Freude machen, und ihm in Jaͤgeruniform entgegen kommen. — Das Trauerſpiel geſchahe in dieſes Jagdverſtaͤndi- gen Hauſe, und alſo nicht in unſerm Kirch- ſpiel, wo, wie meine Mutter zu ſagen pfleg- te, die Erde keinen Tropfen unſchuldig Blut (er waͤre denn von meinem Balbier verſpruͤtzt) getruncken haͤtte. — Knall und Fall! Die Ge-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 523. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/539>, abgerufen am 28.03.2024.