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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Der Prediger erinnerte sich an seine Pflicht,
der Regierung nach Königsberg von dem erfolgten
Tod' unserer Seligen Nachricht zu ertheilen. Ich
schrieb an meine Mutter, und an meinen Va-
ter, an Benjamin und an Herrmann
. Ich
leugn' es nicht, daß der Brief an meine Mutter
mit Bitterkeit gewürzt war, der an Herrmann
war gewissensrührig! Ich bestätigt' alles, was
Mine in meinem Namen versprochen hatte. Ich
forderte nicht ihr Blut von seines und des v. E.
Händen; allein ich forderte den Herrmann auf,
zu bedenken zu dieser seiner Zeit, was zu seinem
Frieden diene. Bald würd' es vor seinen Augen
verborgen seyn, wenn der Richter der Lebendigen
und der Todten sein Gericht eröfnen würde! --

Um Minens Grab ward ein viereckigt Boll-
werk geschlagen, welches man in L -- einen Kranz
nannte Es war nichts weiter darauf geschrie-
ben, als:

Wilhelmine -- -- --
gebohren zu -- in Curland
gestorben zu L -- in Preußen
wer so stirbt, der stirbt wohl!

Acht Tage blieben wir so versammelt, so ein-
müthig, so bei verschlossenen Thüren, wie die
Jünger, da ihr Herr und Meister sich ihren sicht-
lichen Augen entzogen hatte. Wir sprachen von
Minen, und giengen Hand in Hand zu ihrem
Grabe. Mine war der Mittelpunkt aller unsrer
Unterredungen, bis auf die Abhandlung von der
Sünde wider den heiligen Geist
, worin sich
weder Gretchen noch ihre Mutter mischte. So
oft ich allein zu Minens Grabe wallfahrtete, be-
gegnete ich Gretchen, die mir nie im Wege war.


Der Prediger erinnerte ſich an ſeine Pflicht,
der Regierung nach Koͤnigsberg von dem erfolgten
Tod’ unſerer Seligen Nachricht zu ertheilen. Ich
ſchrieb an meine Mutter, und an meinen Va-
ter, an Benjamin und an Herrmann
. Ich
leugn’ es nicht, daß der Brief an meine Mutter
mit Bitterkeit gewuͤrzt war, der an Herrmann
war gewiſſensruͤhrig! Ich beſtaͤtigt’ alles, was
Mine in meinem Namen verſprochen hatte. Ich
forderte nicht ihr Blut von ſeines und des v. E.
Haͤnden; allein ich forderte den Herrmann auf,
zu bedenken zu dieſer ſeiner Zeit, was zu ſeinem
Frieden diene. Bald wuͤrd’ es vor ſeinen Augen
verborgen ſeyn, wenn der Richter der Lebendigen
und der Todten ſein Gericht eroͤfnen wuͤrde! —

Um Minens Grab ward ein viereckigt Boll-
werk geſchlagen, welches man in L — einen Kranz
nannte Es war nichts weiter darauf geſchrie-
ben, als:

Wilhelmine — — —
gebohren zu — in Curland
geſtorben zu L — in Preußen
wer ſo ſtirbt, der ſtirbt wohl!

Acht Tage blieben wir ſo verſammelt, ſo ein-
muͤthig, ſo bei verſchloſſenen Thuͤren, wie die
Juͤnger, da ihr Herr und Meiſter ſich ihren ſicht-
lichen Augen entzogen hatte. Wir ſprachen von
Minen, und giengen Hand in Hand zu ihrem
Grabe. Mine war der Mittelpunkt aller unſrer
Unterredungen, bis auf die Abhandlung von der
Suͤnde wider den heiligen Geiſt
, worin ſich
weder Gretchen noch ihre Mutter miſchte. So
oft ich allein zu Minens Grabe wallfahrtete, be-
gegnete ich Gretchen, die mir nie im Wege war.


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[660/0674] Der Prediger erinnerte ſich an ſeine Pflicht, der Regierung nach Koͤnigsberg von dem erfolgten Tod’ unſerer Seligen Nachricht zu ertheilen. Ich ſchrieb an meine Mutter, und an meinen Va- ter, an Benjamin und an Herrmann. Ich leugn’ es nicht, daß der Brief an meine Mutter mit Bitterkeit gewuͤrzt war, der an Herrmann war gewiſſensruͤhrig! Ich beſtaͤtigt’ alles, was Mine in meinem Namen verſprochen hatte. Ich forderte nicht ihr Blut von ſeines und des v. E. Haͤnden; allein ich forderte den Herrmann auf, zu bedenken zu dieſer ſeiner Zeit, was zu ſeinem Frieden diene. Bald wuͤrd’ es vor ſeinen Augen verborgen ſeyn, wenn der Richter der Lebendigen und der Todten ſein Gericht eroͤfnen wuͤrde! — Um Minens Grab ward ein viereckigt Boll- werk geſchlagen, welches man in L — einen Kranz nannte Es war nichts weiter darauf geſchrie- ben, als: Wilhelmine — — — gebohren zu — in Curland geſtorben zu L — in Preußen wer ſo ſtirbt, der ſtirbt wohl! Acht Tage blieben wir ſo verſammelt, ſo ein- muͤthig, ſo bei verſchloſſenen Thuͤren, wie die Juͤnger, da ihr Herr und Meiſter ſich ihren ſicht- lichen Augen entzogen hatte. Wir ſprachen von Minen, und giengen Hand in Hand zu ihrem Grabe. Mine war der Mittelpunkt aller unſrer Unterredungen, bis auf die Abhandlung von der Suͤnde wider den heiligen Geiſt, worin ſich weder Gretchen noch ihre Mutter miſchte. So oft ich allein zu Minens Grabe wallfahrtete, be- gegnete ich Gretchen, die mir nie im Wege war.

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 660. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/674>, abgerufen am 29.03.2024.