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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Sigaud la Fond, noch das Wörterbuch von Valmont de
Bomare befanden. Diese drei Werke und der Traite d'economie
politique
von Baron Bielfeld sind die bekanntesten und ge-
achtetsten fremden Bücher im spanischen Amerika von Caracas
und Chile bis Guatemala und Nordmexiko. Man gilt nur
dann für gelehrt, wenn man die Uebersetzungen derselben
recht oft citieren kann, und nur in den großen Haupt-
städten, in Lima, Santa Fe de Bogota und Mexiko, fangen
die Namen Haller, Cavendish und Lavoisier an jene zu ver-
drängen, deren Ruf seit einem halben Jahrhundert populär
geworden ist.

Die Neugierde, mit der die Menschen sich mit den Himmels-
erscheinungen und verschiedenen naturwissenschaftlichen Gegen-
ständen abgeben, äußert sich ganz anders bei altcivilisierten
Völkern als da, wo die Geistesentwickelung noch geringe Fort-
schritte gemacht hat. In beiden Fällen finden sich in den
höchsten Ständen viele Personen, die den Wissenschaften ferne
stehen; aber in den Kolonieen und bei jungen Völkern ist die
Wißbegier keineswegs müßig und vorübergehend, sondern
entspringt aus dem lebendigen Triebe, sich zu belehren; sie
äußert sich so arglos und naiv, wie sie in Europa nur in
früher Jugend auftritt.

Erst am 28. Juli konnte ich eine ordentliche Reihe astro-
nomischer Beobachtungen beginnen, obgleich mir viel daran
lag, die Länge, wie sie Louis Berthouds Chronometer angab,
kennen zu lernen. Der Zufall wollte, daß in einem Lande,
wo der Himmel beständig rein und klar ist, mehrere Nächte
sternlos waren. Zwei Stunden nach dem Durchgang der
Sonne durch den Meridian zog jeden Tag ein Gewitter auf
und es wurde mir schwer, korrespondierende Sonnenhöhen zu
erhalten, obgleich ich in verschiedenen Intervallen drei, vier
Gruppen aufnahm. Die vom Chronometer angegebene Länge
von Cumana differierte nur um 4 Sekunden Zeit von der,
welche ich durch Himmelsbeobachtungen gefunden, und doch
hatte unsere Ueberfahrt 41 Tage gewährt und bei der Be-
steigung des Piks von Tenerifa war der Chronometer starken
Temperaturwechseln ausgesetzt gewesen.

Aus meinen Beobachtungen in den Jahren 1799 und
1800 ergibt sich als Gesamtresultat, daß der große Platz von
Cumana unter 10° 27' 52" der Breite und 66° 30' 2" der
Länge liegt. Die Bestimmung der Länge gründet sich auf
den Uebertrag der Zeit, auf Monddistanzen, auf die Sonnen-

Sigaud la Fond, noch das Wörterbuch von Valmont de
Bomare befanden. Dieſe drei Werke und der Traité d’économie
politique
von Baron Bielfeld ſind die bekannteſten und ge-
achtetſten fremden Bücher im ſpaniſchen Amerika von Caracas
und Chile bis Guatemala und Nordmexiko. Man gilt nur
dann für gelehrt, wenn man die Ueberſetzungen derſelben
recht oft citieren kann, und nur in den großen Haupt-
ſtädten, in Lima, Santa Fé de Bogota und Mexiko, fangen
die Namen Haller, Cavendiſh und Lavoiſier an jene zu ver-
drängen, deren Ruf ſeit einem halben Jahrhundert populär
geworden iſt.

Die Neugierde, mit der die Menſchen ſich mit den Himmels-
erſcheinungen und verſchiedenen naturwiſſenſchaftlichen Gegen-
ſtänden abgeben, äußert ſich ganz anders bei altciviliſierten
Völkern als da, wo die Geiſtesentwickelung noch geringe Fort-
ſchritte gemacht hat. In beiden Fällen finden ſich in den
höchſten Ständen viele Perſonen, die den Wiſſenſchaften ferne
ſtehen; aber in den Kolonieen und bei jungen Völkern iſt die
Wißbegier keineswegs müßig und vorübergehend, ſondern
entſpringt aus dem lebendigen Triebe, ſich zu belehren; ſie
äußert ſich ſo arglos und naiv, wie ſie in Europa nur in
früher Jugend auftritt.

Erſt am 28. Juli konnte ich eine ordentliche Reihe aſtro-
nomiſcher Beobachtungen beginnen, obgleich mir viel daran
lag, die Länge, wie ſie Louis Berthouds Chronometer angab,
kennen zu lernen. Der Zufall wollte, daß in einem Lande,
wo der Himmel beſtändig rein und klar iſt, mehrere Nächte
ſternlos waren. Zwei Stunden nach dem Durchgang der
Sonne durch den Meridian zog jeden Tag ein Gewitter auf
und es wurde mir ſchwer, korreſpondierende Sonnenhöhen zu
erhalten, obgleich ich in verſchiedenen Intervallen drei, vier
Gruppen aufnahm. Die vom Chronometer angegebene Länge
von Cumana differierte nur um 4 Sekunden Zeit von der,
welche ich durch Himmelsbeobachtungen gefunden, und doch
hatte unſere Ueberfahrt 41 Tage gewährt und bei der Be-
ſteigung des Piks von Tenerifa war der Chronometer ſtarken
Temperaturwechſeln ausgeſetzt geweſen.

Aus meinen Beobachtungen in den Jahren 1799 und
1800 ergibt ſich als Geſamtreſultat, daß der große Platz von
Cumana unter 10° 27′ 52″ der Breite und 66° 30′ 2″ der
Länge liegt. Die Beſtimmung der Länge gründet ſich auf
den Uebertrag der Zeit, auf Monddiſtanzen, auf die Sonnen-

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[185/0201] Sigaud la Fond, noch das Wörterbuch von Valmont de Bomare befanden. Dieſe drei Werke und der Traité d’économie politique von Baron Bielfeld ſind die bekannteſten und ge- achtetſten fremden Bücher im ſpaniſchen Amerika von Caracas und Chile bis Guatemala und Nordmexiko. Man gilt nur dann für gelehrt, wenn man die Ueberſetzungen derſelben recht oft citieren kann, und nur in den großen Haupt- ſtädten, in Lima, Santa Fé de Bogota und Mexiko, fangen die Namen Haller, Cavendiſh und Lavoiſier an jene zu ver- drängen, deren Ruf ſeit einem halben Jahrhundert populär geworden iſt. Die Neugierde, mit der die Menſchen ſich mit den Himmels- erſcheinungen und verſchiedenen naturwiſſenſchaftlichen Gegen- ſtänden abgeben, äußert ſich ganz anders bei altciviliſierten Völkern als da, wo die Geiſtesentwickelung noch geringe Fort- ſchritte gemacht hat. In beiden Fällen finden ſich in den höchſten Ständen viele Perſonen, die den Wiſſenſchaften ferne ſtehen; aber in den Kolonieen und bei jungen Völkern iſt die Wißbegier keineswegs müßig und vorübergehend, ſondern entſpringt aus dem lebendigen Triebe, ſich zu belehren; ſie äußert ſich ſo arglos und naiv, wie ſie in Europa nur in früher Jugend auftritt. Erſt am 28. Juli konnte ich eine ordentliche Reihe aſtro- nomiſcher Beobachtungen beginnen, obgleich mir viel daran lag, die Länge, wie ſie Louis Berthouds Chronometer angab, kennen zu lernen. Der Zufall wollte, daß in einem Lande, wo der Himmel beſtändig rein und klar iſt, mehrere Nächte ſternlos waren. Zwei Stunden nach dem Durchgang der Sonne durch den Meridian zog jeden Tag ein Gewitter auf und es wurde mir ſchwer, korreſpondierende Sonnenhöhen zu erhalten, obgleich ich in verſchiedenen Intervallen drei, vier Gruppen aufnahm. Die vom Chronometer angegebene Länge von Cumana differierte nur um 4 Sekunden Zeit von der, welche ich durch Himmelsbeobachtungen gefunden, und doch hatte unſere Ueberfahrt 41 Tage gewährt und bei der Be- ſteigung des Piks von Tenerifa war der Chronometer ſtarken Temperaturwechſeln ausgeſetzt geweſen. Aus meinen Beobachtungen in den Jahren 1799 und 1800 ergibt ſich als Geſamtreſultat, daß der große Platz von Cumana unter 10° 27′ 52″ der Breite und 66° 30′ 2″ der Länge liegt. Die Beſtimmung der Länge gründet ſich auf den Uebertrag der Zeit, auf Monddiſtanzen, auf die Sonnen-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/201>, abgerufen am 28.03.2024.