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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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posten Sisarga signalisiert worden und scheine nach der Mün-
dung des Tajo zu segeln. Die Leute, welche unsere Korvette
die Anker lichten sahen, äußerten laut, ehe drei Tage ver-
gehen, seien wir aufgebracht und mit dem Schiffe, dessen Los
wir teilen müßten, auf dem Wege nach Lissabon. Diese Prophe-
zeiung beunruhigte uns um so mehr, als wir in Madrid
Mexikaner kennen gelernt hatten, die sich dreimal in Cadiz
nach Veracruz eingeschifft hatten, jedesmal aber fast unmittel-
bar vor dem Hafen aufgebracht worden und über Portugal
nach Spanien zurückgekehrt waren.

Um zwei Uhr nachmittags war der Pizarro unter Segel.
Der Kanal, durch den man aus dem Hafen von Corunda fährt,
ist lang und schmal; da er sich gegen Nord öffnet und der
Wind uns entgegen war, mußten wir acht kleine Schläge
machen, von denen drei so gut wie verloren waren. Gewendet
wurde immer äußerst langsam, und einmal, unter dem Fort
St. Amarro, schwebten wir in Gefahr, da uns die Strömung
sehr nahe an die Klippen trieb, an denen sich das Meer mit
Ungestüm bricht. Unsere Blicke hingen am Schloß St. Antonio,
wo damals der unglückliche Malaspina als Staatsgefangener
saß. Im Augenblick, da wir Europa verließen, um Länder
zu besuchen, welche dieser bedeutende Forscher mit so vielem
Erfolg bereist hat, hätte ich mit meinen Gedanken gern bei
einem minder traurigen Gegenstande verweilt.

Um sechs ein halb Uhr kamen wir am Turm des Herkules
vorüber, von dem oben die Rede war, der Corunda als Leucht-
turm dient, und auf dem man seit den ältesten Zeiten ein
Steinkohlenfeuer unterhält. Der Schein dieses Feuers steht
in schlechtem Verhältnis mit dem schönen, stattlichen Bauwerk;
es ist so schwach, daß die Schiffe es erst gewahr werden,
wenn sie bereits Gefahr laufen zu stranden. Bei Einbruch
der Nacht wurde die See sehr unruhig und der Wind bedeu-
tend frischer. Wir steuerten gegen Nordwest, um nicht den
englischen Fregatten zu begegnen, die, wie man glaubte, in
diesen Strichen kreuzten. Gegen neun Uhr sahen wir das
Licht in einer Fischerhütte von Sisarga, das letzte, was uns
von der Küste von Europa zu Gesicht kam. Mit der zu-
nehmenden Entfernung verschmolz der schwache Schimmer mit
dem Licht der Sterne, die am Horizont aufgingen, und un-
willkürlich blieben unsere Blicke daran hängen. Dergleichen
Eindrücke vergißt einer nie, der in einem Alter, wo die Em-
pfindung noch ihre volle Tiefe und Kraft besitzt, eine weite

poſten Siſarga ſignaliſiert worden und ſcheine nach der Mün-
dung des Tajo zu ſegeln. Die Leute, welche unſere Korvette
die Anker lichten ſahen, äußerten laut, ehe drei Tage ver-
gehen, ſeien wir aufgebracht und mit dem Schiffe, deſſen Los
wir teilen müßten, auf dem Wege nach Liſſabon. Dieſe Prophe-
zeiung beunruhigte uns um ſo mehr, als wir in Madrid
Mexikaner kennen gelernt hatten, die ſich dreimal in Cadiz
nach Veracruz eingeſchifft hatten, jedesmal aber faſt unmittel-
bar vor dem Hafen aufgebracht worden und über Portugal
nach Spanien zurückgekehrt waren.

Um zwei Uhr nachmittags war der Pizarro unter Segel.
Der Kanal, durch den man aus dem Hafen von Coruña fährt,
iſt lang und ſchmal; da er ſich gegen Nord öffnet und der
Wind uns entgegen war, mußten wir acht kleine Schläge
machen, von denen drei ſo gut wie verloren waren. Gewendet
wurde immer äußerſt langſam, und einmal, unter dem Fort
St. Amarro, ſchwebten wir in Gefahr, da uns die Strömung
ſehr nahe an die Klippen trieb, an denen ſich das Meer mit
Ungeſtüm bricht. Unſere Blicke hingen am Schloß St. Antonio,
wo damals der unglückliche Malaſpina als Staatsgefangener
ſaß. Im Augenblick, da wir Europa verließen, um Länder
zu beſuchen, welche dieſer bedeutende Forſcher mit ſo vielem
Erfolg bereiſt hat, hätte ich mit meinen Gedanken gern bei
einem minder traurigen Gegenſtande verweilt.

Um ſechs ein halb Uhr kamen wir am Turm des Herkules
vorüber, von dem oben die Rede war, der Coruña als Leucht-
turm dient, und auf dem man ſeit den älteſten Zeiten ein
Steinkohlenfeuer unterhält. Der Schein dieſes Feuers ſteht
in ſchlechtem Verhältnis mit dem ſchönen, ſtattlichen Bauwerk;
es iſt ſo ſchwach, daß die Schiffe es erſt gewahr werden,
wenn ſie bereits Gefahr laufen zu ſtranden. Bei Einbruch
der Nacht wurde die See ſehr unruhig und der Wind bedeu-
tend friſcher. Wir ſteuerten gegen Nordweſt, um nicht den
engliſchen Fregatten zu begegnen, die, wie man glaubte, in
dieſen Strichen kreuzten. Gegen neun Uhr ſahen wir das
Licht in einer Fiſcherhütte von Siſarga, das letzte, was uns
von der Küſte von Europa zu Geſicht kam. Mit der zu-
nehmenden Entfernung verſchmolz der ſchwache Schimmer mit
dem Licht der Sterne, die am Horizont aufgingen, und un-
willkürlich blieben unſere Blicke daran hängen. Dergleichen
Eindrücke vergißt einer nie, der in einem Alter, wo die Em-
pfindung noch ihre volle Tiefe und Kraft beſitzt, eine weite

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[20/0036] poſten Siſarga ſignaliſiert worden und ſcheine nach der Mün- dung des Tajo zu ſegeln. Die Leute, welche unſere Korvette die Anker lichten ſahen, äußerten laut, ehe drei Tage ver- gehen, ſeien wir aufgebracht und mit dem Schiffe, deſſen Los wir teilen müßten, auf dem Wege nach Liſſabon. Dieſe Prophe- zeiung beunruhigte uns um ſo mehr, als wir in Madrid Mexikaner kennen gelernt hatten, die ſich dreimal in Cadiz nach Veracruz eingeſchifft hatten, jedesmal aber faſt unmittel- bar vor dem Hafen aufgebracht worden und über Portugal nach Spanien zurückgekehrt waren. Um zwei Uhr nachmittags war der Pizarro unter Segel. Der Kanal, durch den man aus dem Hafen von Coruña fährt, iſt lang und ſchmal; da er ſich gegen Nord öffnet und der Wind uns entgegen war, mußten wir acht kleine Schläge machen, von denen drei ſo gut wie verloren waren. Gewendet wurde immer äußerſt langſam, und einmal, unter dem Fort St. Amarro, ſchwebten wir in Gefahr, da uns die Strömung ſehr nahe an die Klippen trieb, an denen ſich das Meer mit Ungeſtüm bricht. Unſere Blicke hingen am Schloß St. Antonio, wo damals der unglückliche Malaſpina als Staatsgefangener ſaß. Im Augenblick, da wir Europa verließen, um Länder zu beſuchen, welche dieſer bedeutende Forſcher mit ſo vielem Erfolg bereiſt hat, hätte ich mit meinen Gedanken gern bei einem minder traurigen Gegenſtande verweilt. Um ſechs ein halb Uhr kamen wir am Turm des Herkules vorüber, von dem oben die Rede war, der Coruña als Leucht- turm dient, und auf dem man ſeit den älteſten Zeiten ein Steinkohlenfeuer unterhält. Der Schein dieſes Feuers ſteht in ſchlechtem Verhältnis mit dem ſchönen, ſtattlichen Bauwerk; es iſt ſo ſchwach, daß die Schiffe es erſt gewahr werden, wenn ſie bereits Gefahr laufen zu ſtranden. Bei Einbruch der Nacht wurde die See ſehr unruhig und der Wind bedeu- tend friſcher. Wir ſteuerten gegen Nordweſt, um nicht den engliſchen Fregatten zu begegnen, die, wie man glaubte, in dieſen Strichen kreuzten. Gegen neun Uhr ſahen wir das Licht in einer Fiſcherhütte von Siſarga, das letzte, was uns von der Küſte von Europa zu Geſicht kam. Mit der zu- nehmenden Entfernung verſchmolz der ſchwache Schimmer mit dem Licht der Sterne, die am Horizont aufgingen, und un- willkürlich blieben unſere Blicke daran hängen. Dergleichen Eindrücke vergißt einer nie, der in einem Alter, wo die Em- pfindung noch ihre volle Tiefe und Kraft beſitzt, eine weite

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/36>, abgerufen am 16.04.2024.