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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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teilchen an der Oberfläche spezifisch verschieden schwer werden,
so bildet sich an der Fläche ein Strom dem Punkte zu, wo
das Wasser am kältesten ist, oder am meisten salzsaures Natron,
schwefelsauren Kalk und schwefelsaure oder salzsaure Bittererde
enthält. In den Meeren unter den Wendekreisen zeigt der
Thermometer in großen Tiefen nicht mehr als 7 bis 8° der
hundertteiligen Skale. Dies ergibt sich aus zahlreichen Be-
obachtungen des Kommodore Ellis und Perons. Da in diesen
Strichen die Lufttemperatur nie unter 19 bis 20° sinkt, so
kann das Wasser einen dem Gefrierpunkt und dem Maximum
der Dichtigkeit des Wassers so nahe gerückten Kältegrad nicht
an der Oberfläche angenommen haben. Die Existenz solcher
kalten Wasserschichten in niederen Breiten weist somit auf
einen Strom hin, der in der Tiefe von den Polen zum
Aequator geht; sie weist ferner darauf hin, daß die Salze,
welche das spezifische Gewicht des Wassers verändern, im
Ozean so verteilt sind, daß sie die von der Verschiedenheit im
Wärmegrad abhängigen Wirkungen nicht aufheben.

Bedenkt man, daß infolge der Umdrehung der Erde die
Wasserteilchen je nach der Breite eine verschiedene Geschwindig-
keit haben, so sollte man voraussetzen, daß jede von Süd
nach Nord gehende Strömung zugleich nach Ost, die Gewässer
dagegen, die vom Pol zum Aequator strömen, nach West ab-
lenken müßten. Man sollte ferner glauben, daß diese Neigung
den tropischen Strom bis zu einem gewissen Grade einerseits
verlangsamen, andererseits dem Polarstrome, der sich im Juli
und August, wenn das Eis schmilzt, unter der Breite der
Bank von Neufundland und weiter nordwärts regelmäßig ein-
stellt, eine andere Richtung geben müßte. Sehr alte nautische
Beobachtungen, die ich zu bestätigen Gelegenheit hatte, indem
ich die vom Chronometer angegebene Länge mit der Schätzung
des Schiffers verglich, widersprechen diesen theoretischen An-
nahmen. In beiden Hemisphären weichen die Polarströme,
wenn sie merkbar sind, ein wenig nach Ost ab, und nach
unserer Ansicht ist der Grund dieser Erscheinung in der Be-
ständigkeit der in hohen Breiten herrschenden Westwinde zu
suchen. Ueberdies bewegen sich die Wasserteilchen nicht mit
derselben Geschwindigkeit wie die Luftteilchen, und die stärksten
Meeresströmungen, die wir kennen, legen nur 2,5 bis 2,9 m
in der Sekunde zurück; es ist demnach höchst wahrscheinlich,
daß das Wasser, indem es durch verschiedene Breiten geht,
die denselben entsprechende Geschwindigkeit annimmt, und daß

teilchen an der Oberfläche ſpezifiſch verſchieden ſchwer werden,
ſo bildet ſich an der Fläche ein Strom dem Punkte zu, wo
das Waſſer am kälteſten iſt, oder am meiſten ſalzſaures Natron,
ſchwefelſauren Kalk und ſchwefelſaure oder ſalzſaure Bittererde
enthält. In den Meeren unter den Wendekreiſen zeigt der
Thermometer in großen Tiefen nicht mehr als 7 bis 8° der
hundertteiligen Skale. Dies ergibt ſich aus zahlreichen Be-
obachtungen des Kommodore Ellis und Perons. Da in dieſen
Strichen die Lufttemperatur nie unter 19 bis 20° ſinkt, ſo
kann das Waſſer einen dem Gefrierpunkt und dem Maximum
der Dichtigkeit des Waſſers ſo nahe gerückten Kältegrad nicht
an der Oberfläche angenommen haben. Die Exiſtenz ſolcher
kalten Waſſerſchichten in niederen Breiten weiſt ſomit auf
einen Strom hin, der in der Tiefe von den Polen zum
Aequator geht; ſie weiſt ferner darauf hin, daß die Salze,
welche das ſpezifiſche Gewicht des Waſſers verändern, im
Ozean ſo verteilt ſind, daß ſie die von der Verſchiedenheit im
Wärmegrad abhängigen Wirkungen nicht aufheben.

Bedenkt man, daß infolge der Umdrehung der Erde die
Waſſerteilchen je nach der Breite eine verſchiedene Geſchwindig-
keit haben, ſo ſollte man vorausſetzen, daß jede von Süd
nach Nord gehende Strömung zugleich nach Oſt, die Gewäſſer
dagegen, die vom Pol zum Aequator ſtrömen, nach Weſt ab-
lenken müßten. Man ſollte ferner glauben, daß dieſe Neigung
den tropiſchen Strom bis zu einem gewiſſen Grade einerſeits
verlangſamen, andererſeits dem Polarſtrome, der ſich im Juli
und Auguſt, wenn das Eis ſchmilzt, unter der Breite der
Bank von Neufundland und weiter nordwärts regelmäßig ein-
ſtellt, eine andere Richtung geben müßte. Sehr alte nautiſche
Beobachtungen, die ich zu beſtätigen Gelegenheit hatte, indem
ich die vom Chronometer angegebene Länge mit der Schätzung
des Schiffers verglich, widerſprechen dieſen theoretiſchen An-
nahmen. In beiden Hemiſphären weichen die Polarſtröme,
wenn ſie merkbar ſind, ein wenig nach Oſt ab, und nach
unſerer Anſicht iſt der Grund dieſer Erſcheinung in der Be-
ſtändigkeit der in hohen Breiten herrſchenden Weſtwinde zu
ſuchen. Ueberdies bewegen ſich die Waſſerteilchen nicht mit
derſelben Geſchwindigkeit wie die Luftteilchen, und die ſtärkſten
Meeresſtrömungen, die wir kennen, legen nur 2,5 bis 2,9 m
in der Sekunde zurück; es iſt demnach höchſt wahrſcheinlich,
daß das Waſſer, indem es durch verſchiedene Breiten geht,
die denſelben entſprechende Geſchwindigkeit annimmt, und daß

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[32/0048] teilchen an der Oberfläche ſpezifiſch verſchieden ſchwer werden, ſo bildet ſich an der Fläche ein Strom dem Punkte zu, wo das Waſſer am kälteſten iſt, oder am meiſten ſalzſaures Natron, ſchwefelſauren Kalk und ſchwefelſaure oder ſalzſaure Bittererde enthält. In den Meeren unter den Wendekreiſen zeigt der Thermometer in großen Tiefen nicht mehr als 7 bis 8° der hundertteiligen Skale. Dies ergibt ſich aus zahlreichen Be- obachtungen des Kommodore Ellis und Perons. Da in dieſen Strichen die Lufttemperatur nie unter 19 bis 20° ſinkt, ſo kann das Waſſer einen dem Gefrierpunkt und dem Maximum der Dichtigkeit des Waſſers ſo nahe gerückten Kältegrad nicht an der Oberfläche angenommen haben. Die Exiſtenz ſolcher kalten Waſſerſchichten in niederen Breiten weiſt ſomit auf einen Strom hin, der in der Tiefe von den Polen zum Aequator geht; ſie weiſt ferner darauf hin, daß die Salze, welche das ſpezifiſche Gewicht des Waſſers verändern, im Ozean ſo verteilt ſind, daß ſie die von der Verſchiedenheit im Wärmegrad abhängigen Wirkungen nicht aufheben. Bedenkt man, daß infolge der Umdrehung der Erde die Waſſerteilchen je nach der Breite eine verſchiedene Geſchwindig- keit haben, ſo ſollte man vorausſetzen, daß jede von Süd nach Nord gehende Strömung zugleich nach Oſt, die Gewäſſer dagegen, die vom Pol zum Aequator ſtrömen, nach Weſt ab- lenken müßten. Man ſollte ferner glauben, daß dieſe Neigung den tropiſchen Strom bis zu einem gewiſſen Grade einerſeits verlangſamen, andererſeits dem Polarſtrome, der ſich im Juli und Auguſt, wenn das Eis ſchmilzt, unter der Breite der Bank von Neufundland und weiter nordwärts regelmäßig ein- ſtellt, eine andere Richtung geben müßte. Sehr alte nautiſche Beobachtungen, die ich zu beſtätigen Gelegenheit hatte, indem ich die vom Chronometer angegebene Länge mit der Schätzung des Schiffers verglich, widerſprechen dieſen theoretiſchen An- nahmen. In beiden Hemiſphären weichen die Polarſtröme, wenn ſie merkbar ſind, ein wenig nach Oſt ab, und nach unſerer Anſicht iſt der Grund dieſer Erſcheinung in der Be- ſtändigkeit der in hohen Breiten herrſchenden Weſtwinde zu ſuchen. Ueberdies bewegen ſich die Waſſerteilchen nicht mit derſelben Geſchwindigkeit wie die Luftteilchen, und die ſtärkſten Meeresſtrömungen, die wir kennen, legen nur 2,5 bis 2,9 m in der Sekunde zurück; es iſt demnach höchſt wahrſcheinlich, daß das Waſſer, indem es durch verſchiedene Breiten geht, die denſelben entſprechende Geſchwindigkeit annimmt, und daß

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/48>, abgerufen am 19.04.2024.