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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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sind zuweilen von einer feinen Dunstschicht umschleiert, ihr
Licht ist nicht mehr planetarisch ruhig, man sieht sie hin und
wieder bis zu 20° über dem Horizont flimmern. Um diese
Zeit wird der Wind schwächer, unregelmäßiger, und es tritt
öfter als zuvor völlige Windstille ein. In Süd-Süd-Ost ziehen
Wolken auf. Sie erscheinen wie ferne Gebirge mit sehr scharfen
Umrissen. Von Zeit zu Zeit lösen sie sich vom Horizont ab
und laufen über das Himmelsgewölbe mit einer Schnelligkeit,
die mit dem schwachen Wind in den unteren Luftschichten außer
Verhältnis steht. Zu Ende März wird das südliche Stück
des Himmels von kleinen, leuchtenden elektrischen Entladungen
durchzuckt, phosphorischen Aufleuchtungen, die immer nur von
einer Dunstmasse auszugehen scheinen. Von nun an dreht
sich der Wind von Zeit zu Zeit und auf mehrere Stunden
nach West und Südwest. Es ist dies ein sicheres Zeichen,
daß die Regenzeit bevorsteht, die am Orinoko gegen Ende
April eintritt. Der Himmel fängt an, sich zu beziehen, das
Blau verschwindet und macht einem gleichförmigen Grau
Platz. Zugleich nimmt die Luftwärme stetig zu, und nicht
lange, so sind nicht mehr Wolken am Himmel, sondern ver-
dichtete Wasserdünste hüllen ihn vollkommen ein. Lange vor
Sonnenaufgang erheben die Brüllaffen ihr klägliches Geschrei.
Die Luftelektrizität, die während der großen Dürre vom
Dezember bis März bei Tag fast beständig gleich 3,6 bis 4 mm
am Voltaschen Elektrometer war, fängt mit dem März an,
äußerst veränderlich zu werden. Ganze Tage lang ist sie Null,
und dann weichen wieder die Fliedermarkkügelchen ein paar
Stunden lang 6 bis 8 mm auseinander. Die Luftelektrizität,
die in der heißen wie in der gemäßigten Zone in der Regel
Glaselektrizität ist, schlägt auf 8 bis 10 Minuten in Harz-
elektrizität um. Die Regenzeit ist die Zeit der Gewitter,
und doch erscheint als Ergebnis meiner zahlreichen, dreijährigen
Beobachtungen, daß gerade in dieser Gewitterzeit die elek-
trische Spannung in den tiefen Luftregionen geringer ist. Sind
die Gewitter die Folge dieser ungleichen Ladung der über-
einander gelagerten Luftschichten? Was hindert die Elektrizität
in einer Luft, die schon seit März feuchter geworden, auf den
Boden herabzukommen? Um diese Zeit scheint die Elektrizität
nicht durch die ganze Luft verbreitet, sondern auf der äußeren
Hülle, auf der Oberfläche der Wolken angehäuft zu sein. Daß
sich das elektrische Fluidum an die Oberfläche der Wolke zieht,
ist, nach Gay-Lussac, eben eine Folge der Wolkenbildung. In

ſind zuweilen von einer feinen Dunſtſchicht umſchleiert, ihr
Licht iſt nicht mehr planetariſch ruhig, man ſieht ſie hin und
wieder bis zu 20° über dem Horizont flimmern. Um dieſe
Zeit wird der Wind ſchwächer, unregelmäßiger, und es tritt
öfter als zuvor völlige Windſtille ein. In Süd-Süd-Oſt ziehen
Wolken auf. Sie erſcheinen wie ferne Gebirge mit ſehr ſcharfen
Umriſſen. Von Zeit zu Zeit löſen ſie ſich vom Horizont ab
und laufen über das Himmelsgewölbe mit einer Schnelligkeit,
die mit dem ſchwachen Wind in den unteren Luftſchichten außer
Verhältnis ſteht. Zu Ende März wird das ſüdliche Stück
des Himmels von kleinen, leuchtenden elektriſchen Entladungen
durchzuckt, phosphoriſchen Aufleuchtungen, die immer nur von
einer Dunſtmaſſe auszugehen ſcheinen. Von nun an dreht
ſich der Wind von Zeit zu Zeit und auf mehrere Stunden
nach Weſt und Südweſt. Es iſt dies ein ſicheres Zeichen,
daß die Regenzeit bevorſteht, die am Orinoko gegen Ende
April eintritt. Der Himmel fängt an, ſich zu beziehen, das
Blau verſchwindet und macht einem gleichförmigen Grau
Platz. Zugleich nimmt die Luftwärme ſtetig zu, und nicht
lange, ſo ſind nicht mehr Wolken am Himmel, ſondern ver-
dichtete Waſſerdünſte hüllen ihn vollkommen ein. Lange vor
Sonnenaufgang erheben die Brüllaffen ihr klägliches Geſchrei.
Die Luftelektrizität, die während der großen Dürre vom
Dezember bis März bei Tag faſt beſtändig gleich 3,6 bis 4 mm
am Voltaſchen Elektrometer war, fängt mit dem März an,
äußerſt veränderlich zu werden. Ganze Tage lang iſt ſie Null,
und dann weichen wieder die Fliedermarkkügelchen ein paar
Stunden lang 6 bis 8 mm auseinander. Die Luftelektrizität,
die in der heißen wie in der gemäßigten Zone in der Regel
Glaselektrizität iſt, ſchlägt auf 8 bis 10 Minuten in Harz-
elektrizität um. Die Regenzeit iſt die Zeit der Gewitter,
und doch erſcheint als Ergebnis meiner zahlreichen, dreijährigen
Beobachtungen, daß gerade in dieſer Gewitterzeit die elek-
triſche Spannung in den tiefen Luftregionen geringer iſt. Sind
die Gewitter die Folge dieſer ungleichen Ladung der über-
einander gelagerten Luftſchichten? Was hindert die Elektrizität
in einer Luft, die ſchon ſeit März feuchter geworden, auf den
Boden herabzukommen? Um dieſe Zeit ſcheint die Elektrizität
nicht durch die ganze Luft verbreitet, ſondern auf der äußeren
Hülle, auf der Oberfläche der Wolken angehäuft zu ſein. Daß
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[11/0019] ſind zuweilen von einer feinen Dunſtſchicht umſchleiert, ihr Licht iſt nicht mehr planetariſch ruhig, man ſieht ſie hin und wieder bis zu 20° über dem Horizont flimmern. Um dieſe Zeit wird der Wind ſchwächer, unregelmäßiger, und es tritt öfter als zuvor völlige Windſtille ein. In Süd-Süd-Oſt ziehen Wolken auf. Sie erſcheinen wie ferne Gebirge mit ſehr ſcharfen Umriſſen. Von Zeit zu Zeit löſen ſie ſich vom Horizont ab und laufen über das Himmelsgewölbe mit einer Schnelligkeit, die mit dem ſchwachen Wind in den unteren Luftſchichten außer Verhältnis ſteht. Zu Ende März wird das ſüdliche Stück des Himmels von kleinen, leuchtenden elektriſchen Entladungen durchzuckt, phosphoriſchen Aufleuchtungen, die immer nur von einer Dunſtmaſſe auszugehen ſcheinen. Von nun an dreht ſich der Wind von Zeit zu Zeit und auf mehrere Stunden nach Weſt und Südweſt. Es iſt dies ein ſicheres Zeichen, daß die Regenzeit bevorſteht, die am Orinoko gegen Ende April eintritt. Der Himmel fängt an, ſich zu beziehen, das Blau verſchwindet und macht einem gleichförmigen Grau Platz. Zugleich nimmt die Luftwärme ſtetig zu, und nicht lange, ſo ſind nicht mehr Wolken am Himmel, ſondern ver- dichtete Waſſerdünſte hüllen ihn vollkommen ein. Lange vor Sonnenaufgang erheben die Brüllaffen ihr klägliches Geſchrei. Die Luftelektrizität, die während der großen Dürre vom Dezember bis März bei Tag faſt beſtändig gleich 3,6 bis 4 mm am Voltaſchen Elektrometer war, fängt mit dem März an, äußerſt veränderlich zu werden. Ganze Tage lang iſt ſie Null, und dann weichen wieder die Fliedermarkkügelchen ein paar Stunden lang 6 bis 8 mm auseinander. Die Luftelektrizität, die in der heißen wie in der gemäßigten Zone in der Regel Glaselektrizität iſt, ſchlägt auf 8 bis 10 Minuten in Harz- elektrizität um. Die Regenzeit iſt die Zeit der Gewitter, und doch erſcheint als Ergebnis meiner zahlreichen, dreijährigen Beobachtungen, daß gerade in dieſer Gewitterzeit die elek- triſche Spannung in den tiefen Luftregionen geringer iſt. Sind die Gewitter die Folge dieſer ungleichen Ladung der über- einander gelagerten Luftſchichten? Was hindert die Elektrizität in einer Luft, die ſchon ſeit März feuchter geworden, auf den Boden herabzukommen? Um dieſe Zeit ſcheint die Elektrizität nicht durch die ganze Luft verbreitet, ſondern auf der äußeren Hülle, auf der Oberfläche der Wolken angehäuft zu ſein. Daß ſich das elektriſche Fluidum an die Oberfläche der Wolke zieht, iſt, nach Gay-Luſſac, eben eine Folge der Wolkenbildung. In

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/19>, abgerufen am 29.03.2024.