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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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dieser Lärm keineswegs nur bei schönem Mondschein, sondern
vorzugsweise während der Gewitter und starken Regengüsse
unter den wilden Tieren ausbricht. "Der Himmel verleihe
ihnen eine ruhsame Nacht wie uns anderen!" sprach der Mönch,
der uns an den Rio Negro begleitete, wenn er, todmüde von
der Last des Tages, unser Nachtlager einrichten half. Es
war allerdings seltsam, daß man mitten im einsamen Walde
sollte keine Ruhe finden können. In den spanischen Herbergen
fürchtet man sich vor den schrillen Tönen der Guitarren im
anstoßenden Zimmer; in denen am Orinoko, das heißt auf
offenem Gestade oder unter einem einzeln stehenden Baume,
besorgt man durch Stimmen aus dem Walde im Schlafe ge-
stört zu werden.

Am 2. April. Wir gingen vor Sonnenaufgang unter
Segel. Der Morgen war schön und kühl, wie es Leuten
vorkommt, die an die große Hitze in diesen Ländern gewöhnt
sind. Der Thermometer stand in der Luft nur auf 28°, aber
der trockene, weiße Sand am Gestade hatte trotz der Strah-
lung gegen einen wolkenlosen Himmel eine Temperatur von
36° behalten. Die Delphine (Toninas) zogen in langen
Reihen durch den Fluß und das Ufer war mit fischfangenden
Vögeln bedeckt. Manche machen sich das Floßholz, das den
Fluß herabtreibt, zu Nutze und überraschen die Fische, die sich
mitten in der Strömung halten. Unser Kanoe stieß im Laufe
des Morgens mehrmals an. Solche Stöße, wenn sie sehr
heftig sind, können schwache Fahrzeuge zertrümmern. Wir
fuhren an den Spitzen mehrerer großer Bäume auf, die jahre-
lang in schiefer Richtung im Schlamme stecken bleiben. Diese
Bäume kommen beim Hochwasser aus dem Sarare herunter
und verstopfen das Flußbett dergestalt, daß die Pirogen
stromaufwärts häufig zwischen den Untiefen und überall, wo
Wirbel sind, kaum durchkommen. Wir kamen an eine Stelle
bei der Insel Carizales, wo ungeheuer dicke Courbarilstämme
aus dem Wasser ragten. Sie saßen voll Vögeln, einer Art
Plotus, die der Anhinga sehr nahe steht. Diese Vögel
sitzen in Reihen auf, wie die Fasanen und die Parraqua,
und bleiben stundenlang, den Schnabel gen Himmel gestreckt,
regungslos, was ihnen ein ungemein dummes Aussehen gibt.

Von der Insel Carizales an wurde die Abnahme des
Wassers im Flusse desto auffallender, da unterhalb der Gabe-
lung bei der Boca de Arichuna kein Arm, kein natürlicher
Abzugskanal mehr dem Apure Wasser entzieht. Der Verlust

dieſer Lärm keineswegs nur bei ſchönem Mondſchein, ſondern
vorzugsweiſe während der Gewitter und ſtarken Regengüſſe
unter den wilden Tieren ausbricht. „Der Himmel verleihe
ihnen eine ruhſame Nacht wie uns anderen!“ ſprach der Mönch,
der uns an den Rio Negro begleitete, wenn er, todmüde von
der Laſt des Tages, unſer Nachtlager einrichten half. Es
war allerdings ſeltſam, daß man mitten im einſamen Walde
ſollte keine Ruhe finden können. In den ſpaniſchen Herbergen
fürchtet man ſich vor den ſchrillen Tönen der Guitarren im
anſtoßenden Zimmer; in denen am Orinoko, das heißt auf
offenem Geſtade oder unter einem einzeln ſtehenden Baume,
beſorgt man durch Stimmen aus dem Walde im Schlafe ge-
ſtört zu werden.

Am 2. April. Wir gingen vor Sonnenaufgang unter
Segel. Der Morgen war ſchön und kühl, wie es Leuten
vorkommt, die an die große Hitze in dieſen Ländern gewöhnt
ſind. Der Thermometer ſtand in der Luft nur auf 28°, aber
der trockene, weiße Sand am Geſtade hatte trotz der Strah-
lung gegen einen wolkenloſen Himmel eine Temperatur von
36° behalten. Die Delphine (Toninas) zogen in langen
Reihen durch den Fluß und das Ufer war mit fiſchfangenden
Vögeln bedeckt. Manche machen ſich das Floßholz, das den
Fluß herabtreibt, zu Nutze und überraſchen die Fiſche, die ſich
mitten in der Strömung halten. Unſer Kanoe ſtieß im Laufe
des Morgens mehrmals an. Solche Stöße, wenn ſie ſehr
heftig ſind, können ſchwache Fahrzeuge zertrümmern. Wir
fuhren an den Spitzen mehrerer großer Bäume auf, die jahre-
lang in ſchiefer Richtung im Schlamme ſtecken bleiben. Dieſe
Bäume kommen beim Hochwaſſer aus dem Sarare herunter
und verſtopfen das Flußbett dergeſtalt, daß die Pirogen
ſtromaufwärts häufig zwiſchen den Untiefen und überall, wo
Wirbel ſind, kaum durchkommen. Wir kamen an eine Stelle
bei der Inſel Carizales, wo ungeheuer dicke Courbarilſtämme
aus dem Waſſer ragten. Sie ſaßen voll Vögeln, einer Art
Plotus, die der Anhinga ſehr nahe ſteht. Dieſe Vögel
ſitzen in Reihen auf, wie die Faſanen und die Parraqua,
und bleiben ſtundenlang, den Schnabel gen Himmel geſtreckt,
regungslos, was ihnen ein ungemein dummes Ausſehen gibt.

Von der Inſel Carizales an wurde die Abnahme des
Waſſers im Fluſſe deſto auffallender, da unterhalb der Gabe-
lung bei der Boca de Arichuna kein Arm, kein natürlicher
Abzugskanal mehr dem Apure Waſſer entzieht. Der Verluſt

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[29/0037] dieſer Lärm keineswegs nur bei ſchönem Mondſchein, ſondern vorzugsweiſe während der Gewitter und ſtarken Regengüſſe unter den wilden Tieren ausbricht. „Der Himmel verleihe ihnen eine ruhſame Nacht wie uns anderen!“ ſprach der Mönch, der uns an den Rio Negro begleitete, wenn er, todmüde von der Laſt des Tages, unſer Nachtlager einrichten half. Es war allerdings ſeltſam, daß man mitten im einſamen Walde ſollte keine Ruhe finden können. In den ſpaniſchen Herbergen fürchtet man ſich vor den ſchrillen Tönen der Guitarren im anſtoßenden Zimmer; in denen am Orinoko, das heißt auf offenem Geſtade oder unter einem einzeln ſtehenden Baume, beſorgt man durch Stimmen aus dem Walde im Schlafe ge- ſtört zu werden. Am 2. April. Wir gingen vor Sonnenaufgang unter Segel. Der Morgen war ſchön und kühl, wie es Leuten vorkommt, die an die große Hitze in dieſen Ländern gewöhnt ſind. Der Thermometer ſtand in der Luft nur auf 28°, aber der trockene, weiße Sand am Geſtade hatte trotz der Strah- lung gegen einen wolkenloſen Himmel eine Temperatur von 36° behalten. Die Delphine (Toninas) zogen in langen Reihen durch den Fluß und das Ufer war mit fiſchfangenden Vögeln bedeckt. Manche machen ſich das Floßholz, das den Fluß herabtreibt, zu Nutze und überraſchen die Fiſche, die ſich mitten in der Strömung halten. Unſer Kanoe ſtieß im Laufe des Morgens mehrmals an. Solche Stöße, wenn ſie ſehr heftig ſind, können ſchwache Fahrzeuge zertrümmern. Wir fuhren an den Spitzen mehrerer großer Bäume auf, die jahre- lang in ſchiefer Richtung im Schlamme ſtecken bleiben. Dieſe Bäume kommen beim Hochwaſſer aus dem Sarare herunter und verſtopfen das Flußbett dergeſtalt, daß die Pirogen ſtromaufwärts häufig zwiſchen den Untiefen und überall, wo Wirbel ſind, kaum durchkommen. Wir kamen an eine Stelle bei der Inſel Carizales, wo ungeheuer dicke Courbarilſtämme aus dem Waſſer ragten. Sie ſaßen voll Vögeln, einer Art Plotus, die der Anhinga ſehr nahe ſteht. Dieſe Vögel ſitzen in Reihen auf, wie die Faſanen und die Parraqua, und bleiben ſtundenlang, den Schnabel gen Himmel geſtreckt, regungslos, was ihnen ein ungemein dummes Ausſehen gibt. Von der Inſel Carizales an wurde die Abnahme des Waſſers im Fluſſe deſto auffallender, da unterhalb der Gabe- lung bei der Boca de Arichuna kein Arm, kein natürlicher Abzugskanal mehr dem Apure Waſſer entzieht. Der Verluſt

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/37>, abgerufen am 19.04.2024.