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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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liegenden Niederung vorgekommen; denn im allgemeinen hagelt
es unter den Tropen nur in mehr als 580 m Meereshöhe.
Bildet sich der Hagel in derselben Höhe über Niederungen
und Hochebenen, so muß man annehmen, er schmelze bei seinem
Durchgang durch die untersten Luftschichten (zwischen 0 und
580 m), deren mittlere Temperatur 27,5° und 24° beträgt.
Ich gestehe indessen, daß es beim jetzigen Stande der Meteo-
rologie sehr schwer zu erklären ist, warum es in Philadelphia,
Rom und Montpellier in den heißesten Monaten mit einer
mittleren Temperatur von 25 bis 26° hagelt, während in
Cumana, Guayra und überhaupt in den Niederungen in der
Nähe des Aequators die Erscheinung nicht vorkommt. In
den Vereingten Staaten und im südlichen Europa (unter dem
40. bis 43. Grad der Breite) ist die Temperatur auf den
Niederungen im Sommer ungefähr ebenso hoch als unter
den Tropen. Auch die Wärmeabnahme ist nach meinen Unter-
suchungen nur wenig verschieden. Rührt nun der Umstand,
daß in der heißen Zone kein Hagel fällt, davon her, daß die
Hagelkörner beim Durchgang durch die unteren Luftschichten
schmelzen, so muß man annehmen, daß die Körner im Mo-
ment der Bildung in der gemäßigten Zone größer sind als
in der heißen. Wir kennen die Bedingungen, unter denen in
unserem Klima das Wasser in einer Gewitterwolke friert,
noch so wenig, daß wir nicht zu beurteilen vermögen, ob unter
dem Aequator über den Niederungen dieselben Bedingungen
eintreten. Ich bezweifle, daß sich der Hagel immer in einer
Luftregion bildet, deren mittlere Temperatur gleich Null ist,
und die bei uns im Sommer 2920 bis 3120 m hoch liegt. Die
Wolken, in denen man die Hagelkörner, bevor sie fallen, an-
einander schlagen hört, und die wagerecht ziehen, kamen mir
immer lange nicht so hoch vor, und es erscheint begreiflich,
daß in solch geringerer Höhe durch die Ausdehnung der auf-
steigenden Luft, welche an Wärmekapazität zunimmt, durch
Ströme kalter Luft aus einer höheren Breite, besonders aber
(nach Gay-Lussac) durch die Strahlung der oberen Fläche
der Wolken, eine ungewöhnliche Erkältung hervorgebracht wird.
Ich werde Gelegenheit haben, auf diesen Punkt zurückzu-
kommen, wenn von den verschiedenen Formen die Rede ist,
unter denen auf den Anden in 3900 bis 5070 m Meeres-
höhe Hagel und Graupen auftreten, und die Frage erörtert
wird, ob man die Wolken, welche die Gebirge einhüllen,
als eine horizontale Fortsetzung der Wolkenschicht betrachten

A. v. Humboldt, Reise. III. 6

liegenden Niederung vorgekommen; denn im allgemeinen hagelt
es unter den Tropen nur in mehr als 580 m Meereshöhe.
Bildet ſich der Hagel in derſelben Höhe über Niederungen
und Hochebenen, ſo muß man annehmen, er ſchmelze bei ſeinem
Durchgang durch die unterſten Luftſchichten (zwiſchen 0 und
580 m), deren mittlere Temperatur 27,5° und 24° beträgt.
Ich geſtehe indeſſen, daß es beim jetzigen Stande der Meteo-
rologie ſehr ſchwer zu erklären iſt, warum es in Philadelphia,
Rom und Montpellier in den heißeſten Monaten mit einer
mittleren Temperatur von 25 bis 26° hagelt, während in
Cumana, Guayra und überhaupt in den Niederungen in der
Nähe des Aequators die Erſcheinung nicht vorkommt. In
den Vereingten Staaten und im ſüdlichen Europa (unter dem
40. bis 43. Grad der Breite) iſt die Temperatur auf den
Niederungen im Sommer ungefähr ebenſo hoch als unter
den Tropen. Auch die Wärmeabnahme iſt nach meinen Unter-
ſuchungen nur wenig verſchieden. Rührt nun der Umſtand,
daß in der heißen Zone kein Hagel fällt, davon her, daß die
Hagelkörner beim Durchgang durch die unteren Luftſchichten
ſchmelzen, ſo muß man annehmen, daß die Körner im Mo-
ment der Bildung in der gemäßigten Zone größer ſind als
in der heißen. Wir kennen die Bedingungen, unter denen in
unſerem Klima das Waſſer in einer Gewitterwolke friert,
noch ſo wenig, daß wir nicht zu beurteilen vermögen, ob unter
dem Aequator über den Niederungen dieſelben Bedingungen
eintreten. Ich bezweifle, daß ſich der Hagel immer in einer
Luftregion bildet, deren mittlere Temperatur gleich Null iſt,
und die bei uns im Sommer 2920 bis 3120 m hoch liegt. Die
Wolken, in denen man die Hagelkörner, bevor ſie fallen, an-
einander ſchlagen hört, und die wagerecht ziehen, kamen mir
immer lange nicht ſo hoch vor, und es erſcheint begreiflich,
daß in ſolch geringerer Höhe durch die Ausdehnung der auf-
ſteigenden Luft, welche an Wärmekapazität zunimmt, durch
Ströme kalter Luft aus einer höheren Breite, beſonders aber
(nach Gay-Luſſac) durch die Strahlung der oberen Fläche
der Wolken, eine ungewöhnliche Erkältung hervorgebracht wird.
Ich werde Gelegenheit haben, auf dieſen Punkt zurückzu-
kommen, wenn von den verſchiedenen Formen die Rede iſt,
unter denen auf den Anden in 3900 bis 5070 m Meeres-
höhe Hagel und Graupen auftreten, und die Frage erörtert
wird, ob man die Wolken, welche die Gebirge einhüllen,
als eine horizontale Fortſetzung der Wolkenſchicht betrachten

A. v. Humboldt, Reiſe. III. 6
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[81/0089] liegenden Niederung vorgekommen; denn im allgemeinen hagelt es unter den Tropen nur in mehr als 580 m Meereshöhe. Bildet ſich der Hagel in derſelben Höhe über Niederungen und Hochebenen, ſo muß man annehmen, er ſchmelze bei ſeinem Durchgang durch die unterſten Luftſchichten (zwiſchen 0 und 580 m), deren mittlere Temperatur 27,5° und 24° beträgt. Ich geſtehe indeſſen, daß es beim jetzigen Stande der Meteo- rologie ſehr ſchwer zu erklären iſt, warum es in Philadelphia, Rom und Montpellier in den heißeſten Monaten mit einer mittleren Temperatur von 25 bis 26° hagelt, während in Cumana, Guayra und überhaupt in den Niederungen in der Nähe des Aequators die Erſcheinung nicht vorkommt. In den Vereingten Staaten und im ſüdlichen Europa (unter dem 40. bis 43. Grad der Breite) iſt die Temperatur auf den Niederungen im Sommer ungefähr ebenſo hoch als unter den Tropen. Auch die Wärmeabnahme iſt nach meinen Unter- ſuchungen nur wenig verſchieden. Rührt nun der Umſtand, daß in der heißen Zone kein Hagel fällt, davon her, daß die Hagelkörner beim Durchgang durch die unteren Luftſchichten ſchmelzen, ſo muß man annehmen, daß die Körner im Mo- ment der Bildung in der gemäßigten Zone größer ſind als in der heißen. Wir kennen die Bedingungen, unter denen in unſerem Klima das Waſſer in einer Gewitterwolke friert, noch ſo wenig, daß wir nicht zu beurteilen vermögen, ob unter dem Aequator über den Niederungen dieſelben Bedingungen eintreten. Ich bezweifle, daß ſich der Hagel immer in einer Luftregion bildet, deren mittlere Temperatur gleich Null iſt, und die bei uns im Sommer 2920 bis 3120 m hoch liegt. Die Wolken, in denen man die Hagelkörner, bevor ſie fallen, an- einander ſchlagen hört, und die wagerecht ziehen, kamen mir immer lange nicht ſo hoch vor, und es erſcheint begreiflich, daß in ſolch geringerer Höhe durch die Ausdehnung der auf- ſteigenden Luft, welche an Wärmekapazität zunimmt, durch Ströme kalter Luft aus einer höheren Breite, beſonders aber (nach Gay-Luſſac) durch die Strahlung der oberen Fläche der Wolken, eine ungewöhnliche Erkältung hervorgebracht wird. Ich werde Gelegenheit haben, auf dieſen Punkt zurückzu- kommen, wenn von den verſchiedenen Formen die Rede iſt, unter denen auf den Anden in 3900 bis 5070 m Meeres- höhe Hagel und Graupen auftreten, und die Frage erörtert wird, ob man die Wolken, welche die Gebirge einhüllen, als eine horizontale Fortſetzung der Wolkenſchicht betrachten A. v. Humboldt, Reiſe. III. 6

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/89>, abgerufen am 28.03.2024.