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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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lange Wasser darauf gestanden, beträgt 45 Grad. Diese geo-
dätischen und astronomischen Operationen wären bei der Be-
schaffenheit des Terrains auch gar nicht kostspielig. Schon
La Condamine hat im Jahre 1734 dargethan, wie vorteil-
hafter und besonders weniger zeitraubend es gewesen wäre,
wenn man die Akademiker in die (vielleicht etwas zu stark
bewachsenen und sumpfigen) Ebenen im Süden von Cayenne,
dem Einflusse des Rio Xingu in den Amazonenstrom zu, ge-
schickt hätte, statt sie auf den Hochebenen von Quito mit Frost,
Stürmen und vulkanischen Ausbrüchen kämpfen zu lassen.

Die spanisch-amerikanischen Regierungen dürfen keines-
wegs meinen, daß die in Rede stehenden, mit Pendelbeobach-
tungen verbundenen Messungen in den Llanos nur ein rein
wissenschaftliches Interesse hätten: dieselben gäben zugleich die
Hauptgrundlagen für Karten ab, ohne welche keine regelmäßige
Verwaltung in einem Lande bestehen kann. Bis jetzt mußte
man sich auf eine rein astronomische Aufnahme beschrän-
ken, und es ist dies das sicherste und rascheste Verfahren
bei einer Oberfläche von sehr großer Ausdehnung. Man
suchte einige Punkte an den Küsten und im Inneren ab-
solut
zu bestimmen, das heißt nach Himmelserscheinungen
oder Reihen von Monddistanzen. Man stellte die Lage der
bedeutendsten Orte nach den drei Koordinaten der Breite, der
Länge und der Höhe fest. Die dazwischenliegenden Punkte
wurden mit den Hauptpunkten auf chronometrischem
Wege verknüpft. Durch den sehr gleichförmigen Gang der
Chronometer in Kanoen und durch die sonderbaren Krüm-
mungen des Orinoko wurde diese Anknüpfung erleichtert.
Man brachte die Chronometer zum Ausgangspunkte zurück,
oder man beobachtete zweimal (im Hinweg und im Herweg)
an einem dazwischenliegenden Punkte, man knüpfte die Enden
der chronometrischen Linien 1 an sehr weit auseinander
liegende Lokalitäten, deren Lage nach absoluten, das heißt rein
astronomischen Erscheinungen bestimmt ist, und so konnte man
die Summe der etwa begangenen Fehler schätzen. Auf diese
Weise (und vor meiner Reise war im Binnenlande die Länge

1 Mit diesem nicht gebräuchlichen Ausdruck bezeichne ich Linien,
welche durch die Punkte laufen, die mittels Uebertragung der Zeit
bestimmt worden und somit voneinander abhängig sind. Von der
zweckmäßigen Richtung dieser Linien hängt die Genauigkeit einer
rein astronomischen Aufnahme ab.

lange Waſſer darauf geſtanden, beträgt 45 Grad. Dieſe geo-
dätiſchen und aſtronomiſchen Operationen wären bei der Be-
ſchaffenheit des Terrains auch gar nicht koſtſpielig. Schon
La Condamine hat im Jahre 1734 dargethan, wie vorteil-
hafter und beſonders weniger zeitraubend es geweſen wäre,
wenn man die Akademiker in die (vielleicht etwas zu ſtark
bewachſenen und ſumpfigen) Ebenen im Süden von Cayenne,
dem Einfluſſe des Rio Xingu in den Amazonenſtrom zu, ge-
ſchickt hätte, ſtatt ſie auf den Hochebenen von Quito mit Froſt,
Stürmen und vulkaniſchen Ausbrüchen kämpfen zu laſſen.

Die ſpaniſch-amerikaniſchen Regierungen dürfen keines-
wegs meinen, daß die in Rede ſtehenden, mit Pendelbeobach-
tungen verbundenen Meſſungen in den Llanos nur ein rein
wiſſenſchaftliches Intereſſe hätten: dieſelben gäben zugleich die
Hauptgrundlagen für Karten ab, ohne welche keine regelmäßige
Verwaltung in einem Lande beſtehen kann. Bis jetzt mußte
man ſich auf eine rein aſtronomiſche Aufnahme beſchrän-
ken, und es iſt dies das ſicherſte und raſcheſte Verfahren
bei einer Oberfläche von ſehr großer Ausdehnung. Man
ſuchte einige Punkte an den Küſten und im Inneren ab-
ſolut
zu beſtimmen, das heißt nach Himmelserſcheinungen
oder Reihen von Monddiſtanzen. Man ſtellte die Lage der
bedeutendſten Orte nach den drei Koordinaten der Breite, der
Länge und der Höhe feſt. Die dazwiſchenliegenden Punkte
wurden mit den Hauptpunkten auf chronometriſchem
Wege verknüpft. Durch den ſehr gleichförmigen Gang der
Chronometer in Kanoen und durch die ſonderbaren Krüm-
mungen des Orinoko wurde dieſe Anknüpfung erleichtert.
Man brachte die Chronometer zum Ausgangspunkte zurück,
oder man beobachtete zweimal (im Hinweg und im Herweg)
an einem dazwiſchenliegenden Punkte, man knüpfte die Enden
der chronometriſchen Linien 1 an ſehr weit auseinander
liegende Lokalitäten, deren Lage nach abſoluten, das heißt rein
aſtronomiſchen Erſcheinungen beſtimmt iſt, und ſo konnte man
die Summe der etwa begangenen Fehler ſchätzen. Auf dieſe
Weiſe (und vor meiner Reiſe war im Binnenlande die Länge

1 Mit dieſem nicht gebräuchlichen Ausdruck bezeichne ich Linien,
welche durch die Punkte laufen, die mittels Uebertragung der Zeit
beſtimmt worden und ſomit voneinander abhängig ſind. Von der
zweckmäßigen Richtung dieſer Linien hängt die Genauigkeit einer
rein aſtronomiſchen Aufnahme ab.
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[253/0261] lange Waſſer darauf geſtanden, beträgt 45 Grad. Dieſe geo- dätiſchen und aſtronomiſchen Operationen wären bei der Be- ſchaffenheit des Terrains auch gar nicht koſtſpielig. Schon La Condamine hat im Jahre 1734 dargethan, wie vorteil- hafter und beſonders weniger zeitraubend es geweſen wäre, wenn man die Akademiker in die (vielleicht etwas zu ſtark bewachſenen und ſumpfigen) Ebenen im Süden von Cayenne, dem Einfluſſe des Rio Xingu in den Amazonenſtrom zu, ge- ſchickt hätte, ſtatt ſie auf den Hochebenen von Quito mit Froſt, Stürmen und vulkaniſchen Ausbrüchen kämpfen zu laſſen. Die ſpaniſch-amerikaniſchen Regierungen dürfen keines- wegs meinen, daß die in Rede ſtehenden, mit Pendelbeobach- tungen verbundenen Meſſungen in den Llanos nur ein rein wiſſenſchaftliches Intereſſe hätten: dieſelben gäben zugleich die Hauptgrundlagen für Karten ab, ohne welche keine regelmäßige Verwaltung in einem Lande beſtehen kann. Bis jetzt mußte man ſich auf eine rein aſtronomiſche Aufnahme beſchrän- ken, und es iſt dies das ſicherſte und raſcheſte Verfahren bei einer Oberfläche von ſehr großer Ausdehnung. Man ſuchte einige Punkte an den Küſten und im Inneren ab- ſolut zu beſtimmen, das heißt nach Himmelserſcheinungen oder Reihen von Monddiſtanzen. Man ſtellte die Lage der bedeutendſten Orte nach den drei Koordinaten der Breite, der Länge und der Höhe feſt. Die dazwiſchenliegenden Punkte wurden mit den Hauptpunkten auf chronometriſchem Wege verknüpft. Durch den ſehr gleichförmigen Gang der Chronometer in Kanoen und durch die ſonderbaren Krüm- mungen des Orinoko wurde dieſe Anknüpfung erleichtert. Man brachte die Chronometer zum Ausgangspunkte zurück, oder man beobachtete zweimal (im Hinweg und im Herweg) an einem dazwiſchenliegenden Punkte, man knüpfte die Enden der chronometriſchen Linien 1 an ſehr weit auseinander liegende Lokalitäten, deren Lage nach abſoluten, das heißt rein aſtronomiſchen Erſcheinungen beſtimmt iſt, und ſo konnte man die Summe der etwa begangenen Fehler ſchätzen. Auf dieſe Weiſe (und vor meiner Reiſe war im Binnenlande die Länge 1 Mit dieſem nicht gebräuchlichen Ausdruck bezeichne ich Linien, welche durch die Punkte laufen, die mittels Uebertragung der Zeit beſtimmt worden und ſomit voneinander abhängig ſind. Von der zweckmäßigen Richtung dieſer Linien hängt die Genauigkeit einer rein aſtronomiſchen Aufnahme ab.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/261>, abgerufen am 28.03.2024.