Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

unerkanntes schließen; denn die Natur ist, wie Carus11 trefflich sagt, und wie das Wort selbst dem Römer und dem Griechen andeutete, "das ewig Wachsende, ewig im Bilden und Entfalten Begriffene". Der Kreis der organischen Typen erweitert sich, je mehr die Erdräume auf Land- und Seereisen durchsucht, die lebendigen Organismen mit den abgestorbenen verglichen, die Mikroskope vervollkommnet und verbreitet werden. In der Mannigfaltigkeit und im periodischen Wechsel der Lebensgebilde erneuert sich unablässig das Urgeheimniß aller Gestaltung, ich sollte sagen, das von Göthe so glücklich behandelte Problem der Metamorphose, eine Lösung, die dem Bedürfniß nach einem idealen Zurückführen der Formen auf gewisse Grundtypen entspricht. Mit wachsender Einsicht vermehrt sich das Gefühl von der Unermeßlichkeit des Naturlebens; man erkennt, daß auf der Feste, in der Lufthülle, welche die Feste umgiebt, in den Tiefen des Oceans, wie in den Tiefen des Himmels, dem kühnen wissenschaftlichen Eroberer12, auch nach Jahrtausenden, nicht "der Weltraum fehlen wird".

Allgemeine Ansichten des Geschaffenen (sei es der Materie, zu fernen Himmelskörpern geballt, sei es der uns nahen tellurischen Erscheinungen) sind nicht allein anziehender und erhebender, als die speciellen Studien, welche abgesonderte Theile des Naturwissens umfassen; sie empfehlen sich auch vorzugsweise denen, die wenig Muße auf Beschäftigungen dieser Art verwenden können. Die naturbeschreibenden Disciplinen sind meist nur für gewisse Lagen geeignet; sie gewähren nicht dieselbe Freude zu jeder Jahrszeit, in jedem Lande, das wir bewohnen.

unerkanntes schließen; denn die Natur ist, wie Carus11 trefflich sagt, und wie das Wort selbst dem Römer und dem Griechen andeutete, „das ewig Wachsende, ewig im Bilden und Entfalten Begriffene“. Der Kreis der organischen Typen erweitert sich, je mehr die Erdräume auf Land- und Seereisen durchsucht, die lebendigen Organismen mit den abgestorbenen verglichen, die Mikroskope vervollkommnet und verbreitet werden. In der Mannigfaltigkeit und im periodischen Wechsel der Lebensgebilde erneuert sich unablässig das Urgeheimniß aller Gestaltung, ich sollte sagen, das von Göthe so glücklich behandelte Problem der Metamorphose, eine Lösung, die dem Bedürfniß nach einem idealen Zurückführen der Formen auf gewisse Grundtypen entspricht. Mit wachsender Einsicht vermehrt sich das Gefühl von der Unermeßlichkeit des Naturlebens; man erkennt, daß auf der Feste, in der Lufthülle, welche die Feste umgiebt, in den Tiefen des Oceans, wie in den Tiefen des Himmels, dem kühnen wissenschaftlichen Eroberer12, auch nach Jahrtausenden, nicht „der Weltraum fehlen wird“.

Allgemeine Ansichten des Geschaffenen (sei es der Materie, zu fernen Himmelskörpern geballt, sei es der uns nahen tellurischen Erscheinungen) sind nicht allein anziehender und erhebender, als die speciellen Studien, welche abgesonderte Theile des Naturwissens umfassen; sie empfehlen sich auch vorzugsweise denen, die wenig Muße auf Beschäftigungen dieser Art verwenden können. Die naturbeschreibenden Disciplinen sind meist nur für gewisse Lagen geeignet; sie gewähren nicht dieselbe Freude zu jeder Jahrszeit, in jedem Lande, das wir bewohnen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0041" n="22"/>
unerkanntes schließen; denn die Natur ist, wie Carus<note xml:id="ftn11" next="ftn11-text" place="end" n="11"/> trefflich sagt, und wie das Wort selbst dem Römer und dem Griechen andeutete, &#x201E;das ewig Wachsende, ewig im Bilden und Entfalten Begriffene&#x201C;. Der Kreis der organischen Typen erweitert sich, je mehr die Erdräume auf Land- und Seereisen durchsucht, die lebendigen Organismen mit den abgestorbenen verglichen, die Mikroskope vervollkommnet und verbreitet werden. In der Mannigfaltigkeit und im periodischen Wechsel der Lebensgebilde erneuert sich unablässig das Urgeheimniß aller Gestaltung, ich sollte sagen, das von Göthe so glücklich behandelte Problem der Metamorphose, eine Lösung, die dem Bedürfniß nach einem idealen Zurückführen der Formen auf gewisse Grundtypen entspricht. Mit wachsender Einsicht vermehrt sich das Gefühl von der Unermeßlichkeit des Naturlebens; man erkennt, daß auf der Feste, in der Lufthülle, welche die Feste umgiebt, in den Tiefen des Oceans, wie in den Tiefen des Himmels, dem kühnen wissenschaftlichen Eroberer<note xml:id="ftn12" next="ftn12-text" place="end" n="12"/>, auch nach Jahrtausenden, nicht &#x201E;der Weltraum fehlen wird&#x201C;.</p>
          <p>Allgemeine Ansichten des Geschaffenen (sei es der Materie, zu fernen Himmelskörpern geballt, sei es der uns nahen tellurischen Erscheinungen) sind nicht allein anziehender und erhebender, als die speciellen Studien, welche abgesonderte Theile des Naturwissens umfassen; sie empfehlen sich auch vorzugsweise denen, die wenig Muße auf Beschäftigungen dieser Art verwenden können. Die naturbeschreibenden Disciplinen sind meist nur für gewisse Lagen geeignet; sie gewähren nicht dieselbe Freude zu jeder Jahrszeit, in jedem Lande, das wir bewohnen.
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0041] unerkanntes schließen; denn die Natur ist, wie Carus ¹¹ trefflich sagt, und wie das Wort selbst dem Römer und dem Griechen andeutete, „das ewig Wachsende, ewig im Bilden und Entfalten Begriffene“. Der Kreis der organischen Typen erweitert sich, je mehr die Erdräume auf Land- und Seereisen durchsucht, die lebendigen Organismen mit den abgestorbenen verglichen, die Mikroskope vervollkommnet und verbreitet werden. In der Mannigfaltigkeit und im periodischen Wechsel der Lebensgebilde erneuert sich unablässig das Urgeheimniß aller Gestaltung, ich sollte sagen, das von Göthe so glücklich behandelte Problem der Metamorphose, eine Lösung, die dem Bedürfniß nach einem idealen Zurückführen der Formen auf gewisse Grundtypen entspricht. Mit wachsender Einsicht vermehrt sich das Gefühl von der Unermeßlichkeit des Naturlebens; man erkennt, daß auf der Feste, in der Lufthülle, welche die Feste umgiebt, in den Tiefen des Oceans, wie in den Tiefen des Himmels, dem kühnen wissenschaftlichen Eroberer ¹² , auch nach Jahrtausenden, nicht „der Weltraum fehlen wird“. Allgemeine Ansichten des Geschaffenen (sei es der Materie, zu fernen Himmelskörpern geballt, sei es der uns nahen tellurischen Erscheinungen) sind nicht allein anziehender und erhebender, als die speciellen Studien, welche abgesonderte Theile des Naturwissens umfassen; sie empfehlen sich auch vorzugsweise denen, die wenig Muße auf Beschäftigungen dieser Art verwenden können. Die naturbeschreibenden Disciplinen sind meist nur für gewisse Lagen geeignet; sie gewähren nicht dieselbe Freude zu jeder Jahrszeit, in jedem Lande, das wir bewohnen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845/41
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845/41>, abgerufen am 19.04.2024.