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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845.

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zu der Bedeutung von Weltall umgestempelt. Die Einführung eines solchen Kunstausdruckes in die lateinische Sprache, die wörtliche Uebertragung des griechischen Kosmos, in zwiefachem Sinne gebraucht, ist wahrscheinlich dem Ennius10 zuzuschreiben, einem Anhänger der italischen Schule, dem Uebersetzer pythagoreischer Philosopheme des Epicharmus oder eines Nachahmers desselben.

Wie eine physische Weltgeschichte, wenn die Materialien dazu vorhanden wären, im weitesten Sinne des Worts die Veränderungen schildern sollte, welche im Laufe der Zeiten der Kosmos durchwandert hat, von den neuen Sternen an, die am Firmamente urplötzlich aufgelodert, und den Nebelflecken, die sich auflösen oder gegen ihre Mitte verdichten, bis zum feinsten Pflanzen-Gewebe, das die nackte, erkaltete Erdrinde oder ein gehobenes Corallen-Riff allmälig und fortschreitend bedeckt; so schildert dagegen die physische Weltbeschreibung das Zusammen-Bestehende im Raume, das gleichzeitige Wirken der Naturkräfte und der Gebilde, die das Product dieser Kräfte sind. Das Seiende ist aber, im Begreifen der Natur, nicht von dem Werden absolut zu scheiden: denn nicht das Organische allein ist ununterbrochen im Werden und Untergehen begriffen, das ganze Erdenleben mahnt, in jedem Stadium seiner Existenz, an die früher durchlaufenen Zustände. So enthalten die über einander gelagerten Steinschichten, aus denen der größere Theil der äußeren Erdrinde besteht, die Spuren einer fast gänzlich untergegangenen Schöpfung; sie verkünden eine Reihe von Bildungen, die sich gruppenweise ersetzt haben; sie entfalten dem Blick des Beobachters gleichzeitig im Raume die Faunen und Floren der verflossenen

zu der Bedeutung von Weltall umgestempelt. Die Einführung eines solchen Kunstausdruckes in die lateinische Sprache, die wörtliche Uebertragung des griechischen Kosmos, in zwiefachem Sinne gebraucht, ist wahrscheinlich dem Ennius10 zuzuschreiben, einem Anhänger der italischen Schule, dem Uebersetzer pythagoreischer Philosopheme des Epicharmus oder eines Nachahmers desselben.

Wie eine physische Weltgeschichte, wenn die Materialien dazu vorhanden wären, im weitesten Sinne des Worts die Veränderungen schildern sollte, welche im Laufe der Zeiten der Kosmos durchwandert hat, von den neuen Sternen an, die am Firmamente urplötzlich aufgelodert, und den Nebelflecken, die sich auflösen oder gegen ihre Mitte verdichten, bis zum feinsten Pflanzen-Gewebe, das die nackte, erkaltete Erdrinde oder ein gehobenes Corallen-Riff allmälig und fortschreitend bedeckt; so schildert dagegen die physische Weltbeschreibung das Zusammen-Bestehende im Raume, das gleichzeitige Wirken der Naturkräfte und der Gebilde, die das Product dieser Kräfte sind. Das Seiende ist aber, im Begreifen der Natur, nicht von dem Werden absolut zu scheiden: denn nicht das Organische allein ist ununterbrochen im Werden und Untergehen begriffen, das ganze Erdenleben mahnt, in jedem Stadium seiner Existenz, an die früher durchlaufenen Zustände. So enthalten die über einander gelagerten Steinschichten, aus denen der größere Theil der äußeren Erdrinde besteht, die Spuren einer fast gänzlich untergegangenen Schöpfung; sie verkünden eine Reihe von Bildungen, die sich gruppenweise ersetzt haben; sie entfalten dem Blick des Beobachters gleichzeitig im Raume die Faunen und Floren der verflossenen

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[63/0082] zu der Bedeutung von Weltall umgestempelt. Die Einführung eines solchen Kunstausdruckes in die lateinische Sprache, die wörtliche Uebertragung des griechischen Kosmos, in zwiefachem Sinne gebraucht, ist wahrscheinlich dem Ennius ¹⁰ zuzuschreiben, einem Anhänger der italischen Schule, dem Uebersetzer pythagoreischer Philosopheme des Epicharmus oder eines Nachahmers desselben. Wie eine physische Weltgeschichte, wenn die Materialien dazu vorhanden wären, im weitesten Sinne des Worts die Veränderungen schildern sollte, welche im Laufe der Zeiten der Kosmos durchwandert hat, von den neuen Sternen an, die am Firmamente urplötzlich aufgelodert, und den Nebelflecken, die sich auflösen oder gegen ihre Mitte verdichten, bis zum feinsten Pflanzen-Gewebe, das die nackte, erkaltete Erdrinde oder ein gehobenes Corallen-Riff allmälig und fortschreitend bedeckt; so schildert dagegen die physische Weltbeschreibung das Zusammen-Bestehende im Raume, das gleichzeitige Wirken der Naturkräfte und der Gebilde, die das Product dieser Kräfte sind. Das Seiende ist aber, im Begreifen der Natur, nicht von dem Werden absolut zu scheiden: denn nicht das Organische allein ist ununterbrochen im Werden und Untergehen begriffen, das ganze Erdenleben mahnt, in jedem Stadium seiner Existenz, an die früher durchlaufenen Zustände. So enthalten die über einander gelagerten Steinschichten, aus denen der größere Theil der äußeren Erdrinde besteht, die Spuren einer fast gänzlich untergegangenen Schöpfung; sie verkünden eine Reihe von Bildungen, die sich gruppenweise ersetzt haben; sie entfalten dem Blick des Beobachters gleichzeitig im Raume die Faunen und Floren der verflossenen

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845/82>, abgerufen am 18.04.2024.