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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
römischer Kraft und Tugend und der wirksamste Hebel römi-
scher Größe war, dermaleinst seinem Volke in sittlicher Bezie-
hung zum schweren Vorwurf gemacht werden würde.

3. Die Freiheit eine Eigenschaft der Institute
und eine Schranke des subjektiven Willens
.

Die Gefahr der Selbstvernichtung eine Klippe der subjektiven
Freiheit -- der Objektivismus in der Auffassung der Freiheit
(die Freiheit eine Pflicht) -- Nachweis desselben im römischen
Recht, namentlich am Eigenthum (Servituten).

XXXIII. Ein Punkt, an dem die Auffassung des Freiheits-
begriffs wie an keinem andern ihre Probe bestehen kann, ist die
im Begriff der Freiheit scheinbar enthaltene Möglichkeit einer
Selbstvernichtung derselben. Das Recht frei zu sein, hat man
oft gesagt, schließt mit Nothwendigkeit die Möglichkeit in sich,
die Freiheit ganz oder theilweise aufzugeben; ist letztere ein
Recht, warum sollte ich nicht darauf verzichten, ist der Wille frei,
warum sollte seine Thätigkeit nicht auch darin bestehen können,
sich selbst zu beschränken und nach allen Seiten hin zu binden
und fesseln? So trüge also die Freiheit den Keim der Unfreiheit
in sich, und es wäre sehr leicht möglich, daß aus der Aussaat
der Freiheit ein Reich der äußersten Unfreiheit hervorginge.
Das deutsche Recht liefert uns hier ein lehrreiches Beispiel.
Bewußt oder unbewußt ist dasselbe von dieser scheinbar conse-
quenten Auffassung des Freiheitsbegriffs ausgegangen und hat
fast überall die Unfreiheit geärndtet, wo es die Freiheit gesäet
hatte. Der freie Mann konnte durch Vertrag seine persön-
liche Freiheit
aufgeben oder beschränken d. h. Sklave oder
Leibeigner werden, durch Reallasten, die er auf sein Grundstück
legte, durch Familienfideicommisse u. s. w. die Freiheit des
Eigenthums
für ewige Zeiten verkümmern und zu Boden
drücken, durch Erbverträge die testamentarische Freiheit
opfern u. s. w. Kurz die Institute, die der Freiheit dienen

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
römiſcher Kraft und Tugend und der wirkſamſte Hebel römi-
ſcher Größe war, dermaleinſt ſeinem Volke in ſittlicher Bezie-
hung zum ſchweren Vorwurf gemacht werden würde.

3. Die Freiheit eine Eigenſchaft der Inſtitute
und eine Schranke des ſubjektiven Willens
.

Die Gefahr der Selbſtvernichtung eine Klippe der ſubjektiven
Freiheit — der Objektivismus in der Auffaſſung der Freiheit
(die Freiheit eine Pflicht) — Nachweis deſſelben im römiſchen
Recht, namentlich am Eigenthum (Servituten).

XXXIII. Ein Punkt, an dem die Auffaſſung des Freiheits-
begriffs wie an keinem andern ihre Probe beſtehen kann, iſt die
im Begriff der Freiheit ſcheinbar enthaltene Möglichkeit einer
Selbſtvernichtung derſelben. Das Recht frei zu ſein, hat man
oft geſagt, ſchließt mit Nothwendigkeit die Möglichkeit in ſich,
die Freiheit ganz oder theilweiſe aufzugeben; iſt letztere ein
Recht, warum ſollte ich nicht darauf verzichten, iſt der Wille frei,
warum ſollte ſeine Thätigkeit nicht auch darin beſtehen können,
ſich ſelbſt zu beſchränken und nach allen Seiten hin zu binden
und feſſeln? So trüge alſo die Freiheit den Keim der Unfreiheit
in ſich, und es wäre ſehr leicht möglich, daß aus der Ausſaat
der Freiheit ein Reich der äußerſten Unfreiheit hervorginge.
Das deutſche Recht liefert uns hier ein lehrreiches Beiſpiel.
Bewußt oder unbewußt iſt daſſelbe von dieſer ſcheinbar conſe-
quenten Auffaſſung des Freiheitsbegriffs ausgegangen und hat
faſt überall die Unfreiheit geärndtet, wo es die Freiheit geſäet
hatte. Der freie Mann konnte durch Vertrag ſeine perſön-
liche Freiheit
aufgeben oder beſchränken d. h. Sklave oder
Leibeigner werden, durch Reallaſten, die er auf ſein Grundſtück
legte, durch Familienfideicommiſſe u. ſ. w. die Freiheit des
Eigenthums
für ewige Zeiten verkümmern und zu Boden
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[222/0236] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. römiſcher Kraft und Tugend und der wirkſamſte Hebel römi- ſcher Größe war, dermaleinſt ſeinem Volke in ſittlicher Bezie- hung zum ſchweren Vorwurf gemacht werden würde. 3. Die Freiheit eine Eigenſchaft der Inſtitute und eine Schranke des ſubjektiven Willens. Die Gefahr der Selbſtvernichtung eine Klippe der ſubjektiven Freiheit — der Objektivismus in der Auffaſſung der Freiheit (die Freiheit eine Pflicht) — Nachweis deſſelben im römiſchen Recht, namentlich am Eigenthum (Servituten). XXXIII. Ein Punkt, an dem die Auffaſſung des Freiheits- begriffs wie an keinem andern ihre Probe beſtehen kann, iſt die im Begriff der Freiheit ſcheinbar enthaltene Möglichkeit einer Selbſtvernichtung derſelben. Das Recht frei zu ſein, hat man oft geſagt, ſchließt mit Nothwendigkeit die Möglichkeit in ſich, die Freiheit ganz oder theilweiſe aufzugeben; iſt letztere ein Recht, warum ſollte ich nicht darauf verzichten, iſt der Wille frei, warum ſollte ſeine Thätigkeit nicht auch darin beſtehen können, ſich ſelbſt zu beſchränken und nach allen Seiten hin zu binden und feſſeln? So trüge alſo die Freiheit den Keim der Unfreiheit in ſich, und es wäre ſehr leicht möglich, daß aus der Ausſaat der Freiheit ein Reich der äußerſten Unfreiheit hervorginge. Das deutſche Recht liefert uns hier ein lehrreiches Beiſpiel. Bewußt oder unbewußt iſt daſſelbe von dieſer ſcheinbar conſe- quenten Auffaſſung des Freiheitsbegriffs ausgegangen und hat faſt überall die Unfreiheit geärndtet, wo es die Freiheit geſäet hatte. Der freie Mann konnte durch Vertrag ſeine perſön- liche Freiheit aufgeben oder beſchränken d. h. Sklave oder Leibeigner werden, durch Reallaſten, die er auf ſein Grundſtück legte, durch Familienfideicommiſſe u. ſ. w. die Freiheit des Eigenthums für ewige Zeiten verkümmern und zu Boden drücken, durch Erbverträge die teſtamentariſche Freiheit opfern u. ſ. w. Kurz die Inſtitute, die der Freiheit dienen

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/236>, abgerufen am 19.04.2024.