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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Bildnisskunst des Meisters.
nahen Dynastie. Aber schon seit Heinrich VIII und Peter Aretino
(bemerkt derselbe Schriftsteller) sind die schönsten Porträts
nicht die der schönsten Figuren gewesen 1).

Trotzdem nun aber ist es Thatsache, dass er die Nähe der
hierin weit begünstigteren Porträtisten andrer Länder nicht zu
scheuen braucht. Ja noch mehr, diese verlieren etwas neben
ihm. Die Wahl seiner Originale, die meist keine Wahl war,
mag uns befremden; aber für ihn scheint es gleichgültig, was er
in die Hand nimmt. Dem scheinbar Undankbarsten ist er sicher,
ein dauerndes Interesse zu geben, das Andre mit ihren weit
liebenswürdigern Modellen und bestechendern Darstellungsmitteln
nicht erringen können. Wenige giebt es, welche die Unter-
stützung durch das Stoffliche, die Ideenassociation so wenig
benöthigen, obwol er soviel Gedankenverbindungen anregt.

Was war sein Geheimniss?

Er machte grosse Ansprüche an sein Fach. Wenn er ein-
mal gesagt hat, er kenne Niemanden, der einen Kopf gut zu
malen verstünde, so meinte er wohl: Nicht bloss die Kunst in
ihrem ganzen Umfang könne in einem Porträt gezeigt werden,
auch die Kunst eines grossen Malers sei dazu nöthig. Wie
Ingres das Porträt den Prüfstein des Malers nannte.

Seine Bildnisse sind oft nach Eindruck und Ausdruck ge-
schildert worden, aber eine Analyse von Künstlerhand ist noch
nicht geschrieben. Das Schweigen der Berufenen mag meiner
Laienkühnheit als Entschuldigung dienen, wenn ich versuche,
meine Bemerkungen verwebt mit fremden zusammenzustellen.

Am nächsten stehen sie gewiss den venezianischen, und wie
schon berührt worden ist, vielleicht noch näher als Tizian dem
Tintoretto. Ueberhaupt schliessen sie sich in einer Beziehung
mehr denen des vorigen Jahrhunderts an, als den nach Bewe-
gung und Affect trachtenden zeitgenössischen. Mit den Vene-
zianern gehört Velazquez zu den Koryphäen des grossen Stils,
der auf dem grossen Zug der Linien beruht, in Gestalt wie Ant-
litz, auf der breiten Anlage der Flächen, auf der Einheit des
Motivs und der strengen Unterordnung der Einzelheiten. -- Seine
von hohem Augenpunkt aufgenommenen Figuren sind schon als
Silhouette charakteristisch und wiedererkennbar. Er hat immer die
ganze Figur, stehend, im Auge gehabt, auch wo er bloss Halb-
figuren oder Büsten malte. Die Rathschläge Palomino's in dieser

1) W. Burger, Salons de 1844--48. S. 172.

Die Bildnisskunst des Meisters.
nahen Dynastie. Aber schon seit Heinrich VIII und Peter Aretino
(bemerkt derselbe Schriftsteller) sind die schönsten Porträts
nicht die der schönsten Figuren gewesen 1).

Trotzdem nun aber ist es Thatsache, dass er die Nähe der
hierin weit begünstigteren Porträtisten andrer Länder nicht zu
scheuen braucht. Ja noch mehr, diese verlieren etwas neben
ihm. Die Wahl seiner Originale, die meist keine Wahl war,
mag uns befremden; aber für ihn scheint es gleichgültig, was er
in die Hand nimmt. Dem scheinbar Undankbarsten ist er sicher,
ein dauerndes Interesse zu geben, das Andre mit ihren weit
liebenswürdigern Modellen und bestechendern Darstellungsmitteln
nicht erringen können. Wenige giebt es, welche die Unter-
stützung durch das Stoffliche, die Ideenassociation so wenig
benöthigen, obwol er soviel Gedankenverbindungen anregt.

Was war sein Geheimniss?

Er machte grosse Ansprüche an sein Fach. Wenn er ein-
mal gesagt hat, er kenne Niemanden, der einen Kopf gut zu
malen verstünde, so meinte er wohl: Nicht bloss die Kunst in
ihrem ganzen Umfang könne in einem Porträt gezeigt werden,
auch die Kunst eines grossen Malers sei dazu nöthig. Wie
Ingres das Porträt den Prüfstein des Malers nannte.

Seine Bildnisse sind oft nach Eindruck und Ausdruck ge-
schildert worden, aber eine Analyse von Künstlerhand ist noch
nicht geschrieben. Das Schweigen der Berufenen mag meiner
Laienkühnheit als Entschuldigung dienen, wenn ich versuche,
meine Bemerkungen verwebt mit fremden zusammenzustellen.

Am nächsten stehen sie gewiss den venezianischen, und wie
schon berührt worden ist, vielleicht noch näher als Tizian dem
Tintoretto. Ueberhaupt schliessen sie sich in einer Beziehung
mehr denen des vorigen Jahrhunderts an, als den nach Bewe-
gung und Affect trachtenden zeitgenössischen. Mit den Vene-
zianern gehört Velazquez zu den Koryphäen des grossen Stils,
der auf dem grossen Zug der Linien beruht, in Gestalt wie Ant-
litz, auf der breiten Anlage der Flächen, auf der Einheit des
Motivs und der strengen Unterordnung der Einzelheiten. — Seine
von hohem Augenpunkt aufgenommenen Figuren sind schon als
Silhouette charakteristisch und wiedererkennbar. Er hat immer die
ganze Figur, stehend, im Auge gehabt, auch wo er bloss Halb-
figuren oder Büsten malte. Die Rathschläge Palomino’s in dieser

1) W. Burger, Salons de 1844—48. S. 172.
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[5/0025] Die Bildnisskunst des Meisters. nahen Dynastie. Aber schon seit Heinrich VIII und Peter Aretino (bemerkt derselbe Schriftsteller) sind die schönsten Porträts nicht die der schönsten Figuren gewesen 1). Trotzdem nun aber ist es Thatsache, dass er die Nähe der hierin weit begünstigteren Porträtisten andrer Länder nicht zu scheuen braucht. Ja noch mehr, diese verlieren etwas neben ihm. Die Wahl seiner Originale, die meist keine Wahl war, mag uns befremden; aber für ihn scheint es gleichgültig, was er in die Hand nimmt. Dem scheinbar Undankbarsten ist er sicher, ein dauerndes Interesse zu geben, das Andre mit ihren weit liebenswürdigern Modellen und bestechendern Darstellungsmitteln nicht erringen können. Wenige giebt es, welche die Unter- stützung durch das Stoffliche, die Ideenassociation so wenig benöthigen, obwol er soviel Gedankenverbindungen anregt. Was war sein Geheimniss? Er machte grosse Ansprüche an sein Fach. Wenn er ein- mal gesagt hat, er kenne Niemanden, der einen Kopf gut zu malen verstünde, so meinte er wohl: Nicht bloss die Kunst in ihrem ganzen Umfang könne in einem Porträt gezeigt werden, auch die Kunst eines grossen Malers sei dazu nöthig. Wie Ingres das Porträt den Prüfstein des Malers nannte. Seine Bildnisse sind oft nach Eindruck und Ausdruck ge- schildert worden, aber eine Analyse von Künstlerhand ist noch nicht geschrieben. Das Schweigen der Berufenen mag meiner Laienkühnheit als Entschuldigung dienen, wenn ich versuche, meine Bemerkungen verwebt mit fremden zusammenzustellen. Am nächsten stehen sie gewiss den venezianischen, und wie schon berührt worden ist, vielleicht noch näher als Tizian dem Tintoretto. Ueberhaupt schliessen sie sich in einer Beziehung mehr denen des vorigen Jahrhunderts an, als den nach Bewe- gung und Affect trachtenden zeitgenössischen. Mit den Vene- zianern gehört Velazquez zu den Koryphäen des grossen Stils, der auf dem grossen Zug der Linien beruht, in Gestalt wie Ant- litz, auf der breiten Anlage der Flächen, auf der Einheit des Motivs und der strengen Unterordnung der Einzelheiten. — Seine von hohem Augenpunkt aufgenommenen Figuren sind schon als Silhouette charakteristisch und wiedererkennbar. Er hat immer die ganze Figur, stehend, im Auge gehabt, auch wo er bloss Halb- figuren oder Büsten malte. Die Rathschläge Palomino’s in dieser 1) W. Burger, Salons de 1844—48. S. 172.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/25>, abgerufen am 28.03.2024.