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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Reise nach den Pyrenäen.
mit roth gekleideten Ruderknechten geschleppt, unter Kanonen-
donner und Musketengeknatter, in den Hafen einlief, erschollen
von den Tausenden, welche die Ufer so dicht bedeckten, dass
man den Erdboden nicht sah, vielsprachige betäubende Victor-
rufe, während deren man das mächtige Admiralschiff Ronces-
valles bestieg. --

Der Gegenstand dieses Jubels war ein kränklicher, durch
Missgeschick aller Art verdüsterter, alternder Mann, der nur mit
Schmerz und Reue an die Vergangenheit zurückdachte; jetzt im
Begriff sich zu trennen von der Tochter, dem einzigen Pfand
das ihm von der Gattin seiner Jugend geblieben war, "die mit
Thränen sich verabschiedet hatte von den Mauern wo sie geboren
war", um in ein Land zu gehn, dem sie immer fremd blieb, und zu
einem Gatten, der sie nicht liebte; als eine Bürgschaft des Frie-
dens wie man meinte, in der That aber als Ursache künftigen
Bürgerkriegs und der Theilung der Monarchie.

In S. Sebastian bestieg Velazquez mit dem Gouverneur der
Festung, Baron von Vatteville, eine Gabarra, und begab sich
nach der Fasaneninsel, um das vor einigen Monaten dort er-
richtete Konferenzhaus zu besichtigen. Die Insel des Grenz-
flüsschens war damals 500 Fuss lang und 60 breit1).

Der Hauptraum des ephemeren Inselpalasts war der beiden
Nationen gemeinschaftliche Saal in der Mitte, 56 Fuss lang,
28 breit und 22 hoch. Zu seinen Seiten befanden sich eine gleiche
Anzahl besondrer Gemächer für Spanien und Frankreich; nämlich
je eine lange Galerie, zu welcher man auf Schiffbrücken gelangte,
drei Säle, und ein schmaler Gang der zu einem Cabinet führte.
Alle diese Räume waren mit kostbaren Tapisserien geschmückt.
Man hatte aus dem überreichen Vorrath niederländischer Arbeiten
im Alcazar zu Madrid eine Auswahl der besten mitgenommen,
sämmtlich biblischen, moralischen und mythologischen Inhalts.

1) Als ich auf einer Reise nach Spanien im Jahre 1876 in Irun einige Tage
zurückgehalten wurde, machte ich am 14. März einen Gang nach dem welthistorischen
Platz. Die Insel war noch da. Man hatte sie durch Terrassen gegen den Strom ge-
schützt und mit Akazien, Cypressen, Rosen, Camelien und Syrenen bepflanzt. Ein
Denkmal war zur Erinnerung an den Besuch Isabella II und Napoleon III (1861)
errichtet worden. Die Umgebung bot einen ganz andern Anblick als bei jener Frie-
densheirath. Der eben über das Land hingegangene Kriegssturm hatte überall aus-
gebrannte Ruinen zurückgelassen. Die durch frevelhaften Ehrgeiz verführten Kinder
von Guipuzcoa, meist Jünglinge, kehrten in Folge der Amnestie unter dem Jubel
und Tücherschwenken baskischer Mädchen in die heimathlichen Berge zurück.
II. 25

Die Reise nach den Pyrenäen.
mit roth gekleideten Ruderknechten geschleppt, unter Kanonen-
donner und Musketengeknatter, in den Hafen einlief, erschollen
von den Tausenden, welche die Ufer so dicht bedeckten, dass
man den Erdboden nicht sah, vielsprachige betäubende Victor-
rufe, während deren man das mächtige Admiralschiff Ronces-
valles bestieg. —

Der Gegenstand dieses Jubels war ein kränklicher, durch
Missgeschick aller Art verdüsterter, alternder Mann, der nur mit
Schmerz und Reue an die Vergangenheit zurückdachte; jetzt im
Begriff sich zu trennen von der Tochter, dem einzigen Pfand
das ihm von der Gattin seiner Jugend geblieben war, „die mit
Thränen sich verabschiedet hatte von den Mauern wo sie geboren
war“, um in ein Land zu gehn, dem sie immer fremd blieb, und zu
einem Gatten, der sie nicht liebte; als eine Bürgschaft des Frie-
dens wie man meinte, in der That aber als Ursache künftigen
Bürgerkriegs und der Theilung der Monarchie.

In S. Sebastian bestieg Velazquez mit dem Gouverneur der
Festung, Baron von Vatteville, eine Gabarra, und begab sich
nach der Fasaneninsel, um das vor einigen Monaten dort er-
richtete Konferenzhaus zu besichtigen. Die Insel des Grenz-
flüsschens war damals 500 Fuss lang und 60 breit1).

Der Hauptraum des ephemeren Inselpalasts war der beiden
Nationen gemeinschaftliche Saal in der Mitte, 56 Fuss lang,
28 breit und 22 hoch. Zu seinen Seiten befanden sich eine gleiche
Anzahl besondrer Gemächer für Spanien und Frankreich; nämlich
je eine lange Galerie, zu welcher man auf Schiffbrücken gelangte,
drei Säle, und ein schmaler Gang der zu einem Cabinet führte.
Alle diese Räume waren mit kostbaren Tapisserien geschmückt.
Man hatte aus dem überreichen Vorrath niederländischer Arbeiten
im Alcazar zu Madrid eine Auswahl der besten mitgenommen,
sämmtlich biblischen, moralischen und mythologischen Inhalts.

1) Als ich auf einer Reise nach Spanien im Jahre 1876 in Irun einige Tage
zurückgehalten wurde, machte ich am 14. März einen Gang nach dem welthistorischen
Platz. Die Insel war noch da. Man hatte sie durch Terrassen gegen den Strom ge-
schützt und mit Akazien, Cypressen, Rosen, Camelien und Syrenen bepflanzt. Ein
Denkmal war zur Erinnerung an den Besuch Isabella II und Napoleon III (1861)
errichtet worden. Die Umgebung bot einen ganz andern Anblick als bei jener Frie-
densheirath. Der eben über das Land hingegangene Kriegssturm hatte überall aus-
gebrannte Ruinen zurückgelassen. Die durch frevelhaften Ehrgeiz verführten Kinder
von Guipuzcoa, meist Jünglinge, kehrten in Folge der Amnestie unter dem Jubel
und Tücherschwenken baskischer Mädchen in die heimathlichen Berge zurück.
II. 25
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[385/0411] Die Reise nach den Pyrenäen. mit roth gekleideten Ruderknechten geschleppt, unter Kanonen- donner und Musketengeknatter, in den Hafen einlief, erschollen von den Tausenden, welche die Ufer so dicht bedeckten, dass man den Erdboden nicht sah, vielsprachige betäubende Victor- rufe, während deren man das mächtige Admiralschiff Ronces- valles bestieg. — Der Gegenstand dieses Jubels war ein kränklicher, durch Missgeschick aller Art verdüsterter, alternder Mann, der nur mit Schmerz und Reue an die Vergangenheit zurückdachte; jetzt im Begriff sich zu trennen von der Tochter, dem einzigen Pfand das ihm von der Gattin seiner Jugend geblieben war, „die mit Thränen sich verabschiedet hatte von den Mauern wo sie geboren war“, um in ein Land zu gehn, dem sie immer fremd blieb, und zu einem Gatten, der sie nicht liebte; als eine Bürgschaft des Frie- dens wie man meinte, in der That aber als Ursache künftigen Bürgerkriegs und der Theilung der Monarchie. In S. Sebastian bestieg Velazquez mit dem Gouverneur der Festung, Baron von Vatteville, eine Gabarra, und begab sich nach der Fasaneninsel, um das vor einigen Monaten dort er- richtete Konferenzhaus zu besichtigen. Die Insel des Grenz- flüsschens war damals 500 Fuss lang und 60 breit 1). Der Hauptraum des ephemeren Inselpalasts war der beiden Nationen gemeinschaftliche Saal in der Mitte, 56 Fuss lang, 28 breit und 22 hoch. Zu seinen Seiten befanden sich eine gleiche Anzahl besondrer Gemächer für Spanien und Frankreich; nämlich je eine lange Galerie, zu welcher man auf Schiffbrücken gelangte, drei Säle, und ein schmaler Gang der zu einem Cabinet führte. Alle diese Räume waren mit kostbaren Tapisserien geschmückt. Man hatte aus dem überreichen Vorrath niederländischer Arbeiten im Alcazar zu Madrid eine Auswahl der besten mitgenommen, sämmtlich biblischen, moralischen und mythologischen Inhalts. 1) Als ich auf einer Reise nach Spanien im Jahre 1876 in Irun einige Tage zurückgehalten wurde, machte ich am 14. März einen Gang nach dem welthistorischen Platz. Die Insel war noch da. Man hatte sie durch Terrassen gegen den Strom ge- schützt und mit Akazien, Cypressen, Rosen, Camelien und Syrenen bepflanzt. Ein Denkmal war zur Erinnerung an den Besuch Isabella II und Napoleon III (1861) errichtet worden. Die Umgebung bot einen ganz andern Anblick als bei jener Frie- densheirath. Der eben über das Land hingegangene Kriegssturm hatte überall aus- gebrannte Ruinen zurückgelassen. Die durch frevelhaften Ehrgeiz verführten Kinder von Guipuzcoa, meist Jünglinge, kehrten in Folge der Amnestie unter dem Jubel und Tücherschwenken baskischer Mädchen in die heimathlichen Berge zurück. II. 25

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/411>, abgerufen am 16.04.2024.