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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Carl II.

Der letzte Schattenkönig, welcher aus dem Halbschlaf, in den
weibisch-pfäffische Erziehung seinen schwachen Geist gebannt
hatte, nie ganz erwachte, ein genio anonimo (Foscarini), willenlos,
unfähig sich auf irgend einen Gegenstand, nicht einmal auf
Liebhabereien, zu sammeln, stets überall und nirgends, misstrauisch
gegen sich selbst und andere, finster und versteckt und doch nicht
im Stande seine Geheimnisse bei sich zu behalten, zweizüngig
aus Furchtsamkeit, dieser arme Altersspross, der seinen Vater
hätte hassen können, dass er ihm ein halbes Dasein gegeben,
und das Schicksal, dass es ihn zum Könige und Gatten gemacht,
da er keins sein konnte, der nur gelangweilt und gequält wurde
von Geschäften und Cerimonien, auf den die Nation hoffend
blickte als auf den Erhalter des angestammten Hauses, und der
fünfundzwanzig Jahre lang auf dem Thron die Schmach seiner
Unfähigkeit trug; dieser unselige Carlos II hatte, wenn er je
einen Anflug von Willen spürte, den Trieb der Schatten seiner
Vorfahren zu sein. Darin blieb er der Ueberlieferung treu.
Auch er wünschte als Kind in Africa die alten Glaubenskämpfe
fortzusetzen, auch er hasste die Gallier (gavachos), denen er zu-
letzt sein Reich vererben musste, auch er war der devote Augen-
zeuge der Autodafe's auf der Plaza mayor, deren eins er von Rizi
malen liess. Wie die Nation fest im Glauben an die Unverbesser-
lichkeit alles Spanischen an ihren Einrichtungen und Vorurtheilen,
den Lehren der Erfahrung zum Trotz, festhielt, so waren auch
die Herscher in Gestalt, Charakter, Lebensgewohnheiten immer
schwächer werdende Kopien ihrer Vorfahren. Die Natur selbst
schien Carl II darauf hinzuweisen: in seinem bleichen, ausge-
löschten Antlitz, dem vorgeschobenen Unterkiefer, den blonden
Haaren und blauen Augen, der Melancholie, sind die Züge des
Ahnherrn Carl in schauerlicher Degeneration noch erkennbar.
Sein nächstes Vorbild aber war der Vater; als er die Lust an
der Jagd verlor, blieb noch bis zuletzt die Freude den Malern
zuzusehn: dann ging er aus seinem trägen, leeren, brütenden
Schweigen heraus, und wurde sogar scherzhaft; hatte er doch
selbst gemalt und musicirt.

Wol das beste unter seinen Bildnissen von der Hand Car-
renno's ist das in Wien, im Palais an der Freiung, welches jener Graf
Harrach im Jahre 1677 mitbrachte, der 1697, als die Testament-
frage brennend geworden war, vom Wiener Cabinet zum zweiten-
male nach Madrid geschickt wurde. Eine Gestalt, die den Betrach-
ter wider seinen Willen, wie das Grauenhafte, festhält. Er ist auf-

Carl II.

Der letzte Schattenkönig, welcher aus dem Halbschlaf, in den
weibisch-pfäffische Erziehung seinen schwachen Geist gebannt
hatte, nie ganz erwachte, ein genio anonimo (Foscarini), willenlos,
unfähig sich auf irgend einen Gegenstand, nicht einmal auf
Liebhabereien, zu sammeln, stets überall und nirgends, misstrauisch
gegen sich selbst und andere, finster und versteckt und doch nicht
im Stande seine Geheimnisse bei sich zu behalten, zweizüngig
aus Furchtsamkeit, dieser arme Altersspross, der seinen Vater
hätte hassen können, dass er ihm ein halbes Dasein gegeben,
und das Schicksal, dass es ihn zum Könige und Gatten gemacht,
da er keins sein konnte, der nur gelangweilt und gequält wurde
von Geschäften und Cerimonien, auf den die Nation hoffend
blickte als auf den Erhalter des angestammten Hauses, und der
fünfundzwanzig Jahre lang auf dem Thron die Schmach seiner
Unfähigkeit trug; dieser unselige Carlos II hatte, wenn er je
einen Anflug von Willen spürte, den Trieb der Schatten seiner
Vorfahren zu sein. Darin blieb er der Ueberlieferung treu.
Auch er wünschte als Kind in Africa die alten Glaubenskämpfe
fortzusetzen, auch er hasste die Gallier (gavachos), denen er zu-
letzt sein Reich vererben musste, auch er war der devote Augen-
zeuge der Autodafé’s auf der Plaza mayor, deren eins er von Rizi
malen liess. Wie die Nation fest im Glauben an die Unverbesser-
lichkeit alles Spanischen an ihren Einrichtungen und Vorurtheilen,
den Lehren der Erfahrung zum Trotz, festhielt, so waren auch
die Herscher in Gestalt, Charakter, Lebensgewohnheiten immer
schwächer werdende Kopien ihrer Vorfahren. Die Natur selbst
schien Carl II darauf hinzuweisen: in seinem bleichen, ausge-
löschten Antlitz, dem vorgeschobenen Unterkiefer, den blonden
Haaren und blauen Augen, der Melancholie, sind die Züge des
Ahnherrn Carl in schauerlicher Degeneration noch erkennbar.
Sein nächstes Vorbild aber war der Vater; als er die Lust an
der Jagd verlor, blieb noch bis zuletzt die Freude den Malern
zuzusehn: dann ging er aus seinem trägen, leeren, brütenden
Schweigen heraus, und wurde sogar scherzhaft; hatte er doch
selbst gemalt und musicirt.

Wol das beste unter seinen Bildnissen von der Hand Car-
reño’s ist das in Wien, im Palais an der Freiung, welches jener Graf
Harrach im Jahre 1677 mitbrachte, der 1697, als die Testament-
frage brennend geworden war, vom Wiener Cabinet zum zweiten-
male nach Madrid geschickt wurde. Eine Gestalt, die den Betrach-
ter wider seinen Willen, wie das Grauenhafte, festhält. Er ist auf-

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[391/0417] Carl II. Der letzte Schattenkönig, welcher aus dem Halbschlaf, in den weibisch-pfäffische Erziehung seinen schwachen Geist gebannt hatte, nie ganz erwachte, ein genio anonimo (Foscarini), willenlos, unfähig sich auf irgend einen Gegenstand, nicht einmal auf Liebhabereien, zu sammeln, stets überall und nirgends, misstrauisch gegen sich selbst und andere, finster und versteckt und doch nicht im Stande seine Geheimnisse bei sich zu behalten, zweizüngig aus Furchtsamkeit, dieser arme Altersspross, der seinen Vater hätte hassen können, dass er ihm ein halbes Dasein gegeben, und das Schicksal, dass es ihn zum Könige und Gatten gemacht, da er keins sein konnte, der nur gelangweilt und gequält wurde von Geschäften und Cerimonien, auf den die Nation hoffend blickte als auf den Erhalter des angestammten Hauses, und der fünfundzwanzig Jahre lang auf dem Thron die Schmach seiner Unfähigkeit trug; dieser unselige Carlos II hatte, wenn er je einen Anflug von Willen spürte, den Trieb der Schatten seiner Vorfahren zu sein. Darin blieb er der Ueberlieferung treu. Auch er wünschte als Kind in Africa die alten Glaubenskämpfe fortzusetzen, auch er hasste die Gallier (gavachos), denen er zu- letzt sein Reich vererben musste, auch er war der devote Augen- zeuge der Autodafé’s auf der Plaza mayor, deren eins er von Rizi malen liess. Wie die Nation fest im Glauben an die Unverbesser- lichkeit alles Spanischen an ihren Einrichtungen und Vorurtheilen, den Lehren der Erfahrung zum Trotz, festhielt, so waren auch die Herscher in Gestalt, Charakter, Lebensgewohnheiten immer schwächer werdende Kopien ihrer Vorfahren. Die Natur selbst schien Carl II darauf hinzuweisen: in seinem bleichen, ausge- löschten Antlitz, dem vorgeschobenen Unterkiefer, den blonden Haaren und blauen Augen, der Melancholie, sind die Züge des Ahnherrn Carl in schauerlicher Degeneration noch erkennbar. Sein nächstes Vorbild aber war der Vater; als er die Lust an der Jagd verlor, blieb noch bis zuletzt die Freude den Malern zuzusehn: dann ging er aus seinem trägen, leeren, brütenden Schweigen heraus, und wurde sogar scherzhaft; hatte er doch selbst gemalt und musicirt. Wol das beste unter seinen Bildnissen von der Hand Car- reño’s ist das in Wien, im Palais an der Freiung, welches jener Graf Harrach im Jahre 1677 mitbrachte, der 1697, als die Testament- frage brennend geworden war, vom Wiener Cabinet zum zweiten- male nach Madrid geschickt wurde. Eine Gestalt, die den Betrach- ter wider seinen Willen, wie das Grauenhafte, festhält. Er ist auf-

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/417>, abgerufen am 24.04.2024.