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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

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I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsätzen
ist ein Wille, dem die bloße gesetzgebende Form der
Maxime allein zum Gesetze dienen kann, ein freyer
Wille.

§. 6.
Aufgabe II.

Vorausgesetzt, daß ein Wille frey sey, das Gesetz
zu finden, welches ihn allein nothwendig zu bestimmen
tauglich ist.

Da die Materie des practischen Gesetzes, d. i.
ein Object der Maxime, niemals anders als empirisch ge-
geben werden kann, der freye Wille aber, als von em-
pirischen (d. i. zur Sinnenwelt gehörigen) Bedingun-
gen unabhängig, dennoch bestimmbar seyn muß; so
muß ein freyer Wille, unabhängig von der Materie
des Gesetzes, dennoch einen Bestimmungsgrund in dem
Gesetze antreffen. Es ist aber, außer der Materie des
Gesetzes, nichts weiter in demselben, als die gesetzge-
bende Form enthalten. Also ist die gesetzgebende Form,
so fern sie in der Maxime enthalten ist, das einzige, was
einen Bestimmungsgrund des Willens ausmachen kann.

Anmerkung.

Freyheit und unbedingtes practisches Gesetz weisen also
wechselsweise auf einander zurück. Ich frage hier nun nicht:
ob sie auch in der That verschieden seyn, und nicht vielmehr
ein unbedingtes Gesetz blos das Selbstbewußtseyn einer reinen
practischen Vernunft, diese aber ganz einerley mit dem positi-
ven Begriffe der Freyheit sey; sondern wovon unsere Er-
kenntniß
des unbedingt-Practischen anhebe, ob von der

Freyheit

I. Th. I. B. I. Hauptſt. Von den Grundſaͤtzen
iſt ein Wille, dem die bloße geſetzgebende Form der
Maxime allein zum Geſetze dienen kann, ein freyer
Wille.

§. 6.
Aufgabe II.

Vorausgeſetzt, daß ein Wille frey ſey, das Geſetz
zu finden, welches ihn allein nothwendig zu beſtimmen
tauglich iſt.

Da die Materie des practiſchen Geſetzes, d. i.
ein Object der Maxime, niemals anders als empiriſch ge-
geben werden kann, der freye Wille aber, als von em-
piriſchen (d. i. zur Sinnenwelt gehoͤrigen) Bedingun-
gen unabhaͤngig, dennoch beſtimmbar ſeyn muß; ſo
muß ein freyer Wille, unabhaͤngig von der Materie
des Geſetzes, dennoch einen Beſtimmungsgrund in dem
Geſetze antreffen. Es iſt aber, außer der Materie des
Geſetzes, nichts weiter in demſelben, als die geſetzge-
bende Form enthalten. Alſo iſt die geſetzgebende Form,
ſo fern ſie in der Maxime enthalten iſt, das einzige, was
einen Beſtimmungsgrund des Willens ausmachen kann.

Anmerkung.

Freyheit und unbedingtes practiſches Geſetz weiſen alſo
wechſelsweiſe auf einander zuruͤck. Ich frage hier nun nicht:
ob ſie auch in der That verſchieden ſeyn, und nicht vielmehr
ein unbedingtes Geſetz blos das Selbſtbewußtſeyn einer reinen
practiſchen Vernunft, dieſe aber ganz einerley mit dem poſiti-
ven Begriffe der Freyheit ſey; ſondern wovon unſere Er-
kenntniß
des unbedingt-Practiſchen anhebe, ob von der

Freyheit
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[52/0060] I. Th. I. B. I. Hauptſt. Von den Grundſaͤtzen iſt ein Wille, dem die bloße geſetzgebende Form der Maxime allein zum Geſetze dienen kann, ein freyer Wille. §. 6. Aufgabe II. Vorausgeſetzt, daß ein Wille frey ſey, das Geſetz zu finden, welches ihn allein nothwendig zu beſtimmen tauglich iſt. Da die Materie des practiſchen Geſetzes, d. i. ein Object der Maxime, niemals anders als empiriſch ge- geben werden kann, der freye Wille aber, als von em- piriſchen (d. i. zur Sinnenwelt gehoͤrigen) Bedingun- gen unabhaͤngig, dennoch beſtimmbar ſeyn muß; ſo muß ein freyer Wille, unabhaͤngig von der Materie des Geſetzes, dennoch einen Beſtimmungsgrund in dem Geſetze antreffen. Es iſt aber, außer der Materie des Geſetzes, nichts weiter in demſelben, als die geſetzge- bende Form enthalten. Alſo iſt die geſetzgebende Form, ſo fern ſie in der Maxime enthalten iſt, das einzige, was einen Beſtimmungsgrund des Willens ausmachen kann. Anmerkung. Freyheit und unbedingtes practiſches Geſetz weiſen alſo wechſelsweiſe auf einander zuruͤck. Ich frage hier nun nicht: ob ſie auch in der That verſchieden ſeyn, und nicht vielmehr ein unbedingtes Geſetz blos das Selbſtbewußtſeyn einer reinen practiſchen Vernunft, dieſe aber ganz einerley mit dem poſiti- ven Begriffe der Freyheit ſey; ſondern wovon unſere Er- kenntniß des unbedingt-Practiſchen anhebe, ob von der Freyheit

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/60>, abgerufen am 24.04.2024.