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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

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der reinen practischen Vernunft.
ist Freyheit im negativen, diese eigene Gesetzgebung
aber der reinen, und als solche, practischen Vernunft,
ist Freyheit im positiven Verstande. Also drückt das
moralische Gesetz nichts anders aus, als die Avtonomie
der reinen practischen Vernunft, d. i. der Freyheit, und
diese ist selbst die formale Bedingung aller Maximen,
unter der sie allein mit dem obersten practischen Gesetze
zusammenstimmen können. Wenn daher die Materie
des Wollens, welche nichts anders, als das Object ei-
ner Begierde seyn kann, die mit dem Gesetz verbunden
wird, in das practische Gesetz als Bedingung
der Möglichkeit desselben
hineinkommt, so
wird daraus Heteronomie der Willkühr, nemlich Ab-
hängigkeit vom Naturgesetze, irgend einem Antriebe
oder Neigung zu folgen, und der Wille giebt sich nicht
selbst das Gesetz, sondern nur die Vorschrift zur ver-
nünftigen Befolgung pathologischer Gesetze; die Ma-
xime aber die auf solche Weise niemals die allgemein-
gesetzgebende Form in sich enthalten kann, stiftet auf
diese Weise nicht allein keine Verbindlichkeit, sondern
ist selbst dem Princip einer reinen practischen Vernunft,
hiemit also auch der sittlichen Gesinnung entgegen, wenn
gleich die Handlung, die daraus entspringt, gesetzmä-
ßig seyn sollte.

Anmerkung I.

Zum practischen Gesetze muß also niemals eine practische
Vorschrift gezählt werden, die eine materiale (mithin empi-

rische)

der reinen practiſchen Vernunft.
iſt Freyheit im negativen, dieſe eigene Geſetzgebung
aber der reinen, und als ſolche, practiſchen Vernunft,
iſt Freyheit im poſitiven Verſtande. Alſo druͤckt das
moraliſche Geſetz nichts anders aus, als die Avtonomie
der reinen practiſchen Vernunft, d. i. der Freyheit, und
dieſe iſt ſelbſt die formale Bedingung aller Maximen,
unter der ſie allein mit dem oberſten practiſchen Geſetze
zuſammenſtimmen koͤnnen. Wenn daher die Materie
des Wollens, welche nichts anders, als das Object ei-
ner Begierde ſeyn kann, die mit dem Geſetz verbunden
wird, in das practiſche Geſetz als Bedingung
der Moͤglichkeit deſſelben
hineinkommt, ſo
wird daraus Heteronomie der Willkuͤhr, nemlich Ab-
haͤngigkeit vom Naturgeſetze, irgend einem Antriebe
oder Neigung zu folgen, und der Wille giebt ſich nicht
ſelbſt das Geſetz, ſondern nur die Vorſchrift zur ver-
nuͤnftigen Befolgung pathologiſcher Geſetze; die Ma-
xime aber die auf ſolche Weiſe niemals die allgemein-
geſetzgebende Form in ſich enthalten kann, ſtiftet auf
dieſe Weiſe nicht allein keine Verbindlichkeit, ſondern
iſt ſelbſt dem Princip einer reinen practiſchen Vernunft,
hiemit alſo auch der ſittlichen Geſinnung entgegen, wenn
gleich die Handlung, die daraus entſpringt, geſetzmaͤ-
ßig ſeyn ſollte.

Anmerkung I.

Zum practiſchen Geſetze muß alſo niemals eine practiſche
Vorſchrift gezaͤhlt werden, die eine materiale (mithin empi-

riſche)
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[59/0067] der reinen practiſchen Vernunft. iſt Freyheit im negativen, dieſe eigene Geſetzgebung aber der reinen, und als ſolche, practiſchen Vernunft, iſt Freyheit im poſitiven Verſtande. Alſo druͤckt das moraliſche Geſetz nichts anders aus, als die Avtonomie der reinen practiſchen Vernunft, d. i. der Freyheit, und dieſe iſt ſelbſt die formale Bedingung aller Maximen, unter der ſie allein mit dem oberſten practiſchen Geſetze zuſammenſtimmen koͤnnen. Wenn daher die Materie des Wollens, welche nichts anders, als das Object ei- ner Begierde ſeyn kann, die mit dem Geſetz verbunden wird, in das practiſche Geſetz als Bedingung der Moͤglichkeit deſſelben hineinkommt, ſo wird daraus Heteronomie der Willkuͤhr, nemlich Ab- haͤngigkeit vom Naturgeſetze, irgend einem Antriebe oder Neigung zu folgen, und der Wille giebt ſich nicht ſelbſt das Geſetz, ſondern nur die Vorſchrift zur ver- nuͤnftigen Befolgung pathologiſcher Geſetze; die Ma- xime aber die auf ſolche Weiſe niemals die allgemein- geſetzgebende Form in ſich enthalten kann, ſtiftet auf dieſe Weiſe nicht allein keine Verbindlichkeit, ſondern iſt ſelbſt dem Princip einer reinen practiſchen Vernunft, hiemit alſo auch der ſittlichen Geſinnung entgegen, wenn gleich die Handlung, die daraus entſpringt, geſetzmaͤ- ßig ſeyn ſollte. Anmerkung I. Zum practiſchen Geſetze muß alſo niemals eine practiſche Vorſchrift gezaͤhlt werden, die eine materiale (mithin empi- riſche)

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/67>, abgerufen am 28.03.2024.