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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

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um mich sein und im Wetteifer mit diesen meinen
Jugendgenossen dich üben magst, mit mir nach den
höchsten Dingen zu forschen. Dabei werden wir dann
nicht ermangeln, zu lernen, ob wir für einander be¬
stimmt sind, oder nicht, und wir werden uns nach
einer Zeit gemeinsamer geistiger Thätigkeit so erken¬
nen, wie es gottgeschaffenen Wesen geziemt, die nicht
im Dunkel, sondern im Lichte wandeln sollen!"

Auf diese hochgetragene Zumuthung erwiederte Aqui¬
linus, nicht ohne eine geheime Aufwallung, doch mit
stolzer Ruhe: "Wenn ich dich nicht kennte, Eugenia,
so würde ich dich nicht zum Weibe begehren, und
mich kennt das große Rom sowohl wie diese Pro¬
vinz! Wenn daher dein Wissen nicht ausreicht, schon
jetzt zu erkennen, was und wie ich beschaffen bin, so
wird es, fürchte ich, nie ausreichen. Auch bin ich
nicht gekommen, nochmals in die Schule zu gehen,
sondern eine Ehegenossin zu holen; und was diese
beiden Kinder betrifft, so wäre es, wenn du mir
deine Hand vergönntest, mein erster Wunsch, daß
du sie endlich entlassen und ihren Eltern zurückgeben
möchtest, damit sie denselben beistehen und nützlich
sein könnten. Nun bitte ich dich, mir Bescheid zu
geben, nicht als ein Gelehrter, sondern als ein Weib
von Fleisch und Blut!"

Jetzt war die schöne Philosophin doch roth ge¬

um mich ſein und im Wetteifer mit dieſen meinen
Jugendgenoſſen dich üben magſt, mit mir nach den
höchſten Dingen zu forſchen. Dabei werden wir dann
nicht ermangeln, zu lernen, ob wir für einander be¬
ſtimmt ſind, oder nicht, und wir werden uns nach
einer Zeit gemeinſamer geiſtiger Thätigkeit ſo erken¬
nen, wie es gottgeſchaffenen Weſen geziemt, die nicht
im Dunkel, ſondern im Lichte wandeln ſollen!“

Auf dieſe hochgetragene Zumuthung erwiederte Aqui¬
linus, nicht ohne eine geheime Aufwallung, doch mit
ſtolzer Ruhe: „Wenn ich dich nicht kennte, Eugenia,
ſo würde ich dich nicht zum Weibe begehren, und
mich kennt das große Rom ſowohl wie dieſe Pro¬
vinz! Wenn daher dein Wiſſen nicht ausreicht, ſchon
jetzt zu erkennen, was und wie ich beſchaffen bin, ſo
wird es, fürchte ich, nie ausreichen. Auch bin ich
nicht gekommen, nochmals in die Schule zu gehen,
ſondern eine Ehegenoſſin zu holen; und was dieſe
beiden Kinder betrifft, ſo wäre es, wenn du mir
deine Hand vergönnteſt, mein erſter Wunſch, daß
du ſie endlich entlaſſen und ihren Eltern zurückgeben
möchteſt, damit ſie denſelben beiſtehen und nützlich
ſein könnten. Nun bitte ich dich, mir Beſcheid zu
geben, nicht als ein Gelehrter, ſondern als ein Weib
von Fleiſch und Blut!“

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[7/0021] um mich ſein und im Wetteifer mit dieſen meinen Jugendgenoſſen dich üben magſt, mit mir nach den höchſten Dingen zu forſchen. Dabei werden wir dann nicht ermangeln, zu lernen, ob wir für einander be¬ ſtimmt ſind, oder nicht, und wir werden uns nach einer Zeit gemeinſamer geiſtiger Thätigkeit ſo erken¬ nen, wie es gottgeſchaffenen Weſen geziemt, die nicht im Dunkel, ſondern im Lichte wandeln ſollen!“ Auf dieſe hochgetragene Zumuthung erwiederte Aqui¬ linus, nicht ohne eine geheime Aufwallung, doch mit ſtolzer Ruhe: „Wenn ich dich nicht kennte, Eugenia, ſo würde ich dich nicht zum Weibe begehren, und mich kennt das große Rom ſowohl wie dieſe Pro¬ vinz! Wenn daher dein Wiſſen nicht ausreicht, ſchon jetzt zu erkennen, was und wie ich beſchaffen bin, ſo wird es, fürchte ich, nie ausreichen. Auch bin ich nicht gekommen, nochmals in die Schule zu gehen, ſondern eine Ehegenoſſin zu holen; und was dieſe beiden Kinder betrifft, ſo wäre es, wenn du mir deine Hand vergönnteſt, mein erſter Wunſch, daß du ſie endlich entlaſſen und ihren Eltern zurückgeben möchteſt, damit ſie denſelben beiſtehen und nützlich ſein könnten. Nun bitte ich dich, mir Beſcheid zu geben, nicht als ein Gelehrter, ſondern als ein Weib von Fleiſch und Blut!“ Jetzt war die ſchöne Philoſophin doch roth ge¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/21>, abgerufen am 28.03.2024.